31.000 Granaten - gehärtet und effizient

DIE URAN-MUNITION DER USA UND DAS VÖLKERRECHT Schon die Haager Landkriegsordnung von 1907 verbietet die Anwendung "vergifteter Waffen"

Es besteht kein Zweifel, dass bei der Kosovo-Intervention der NATO in erheblichem Umfang Urangeschosse zur Anwendung gekommen sind. Aufgrund ihrer enormen Durchschlagskraft sind diese Geschosse in besonderer Weise geeignet, starke Panzerungen zu durchbrechen. Umstritten ist dabei allerdings, inwieweit diese Munition beim Aufschlag Strahlung und Gifte freisetzt. Aus der Sicht des humanitären Völkerrechts - der im Gegensatz zu Friedenszeiten geltende Rechtsordnung bewaffneter Konflikte - wirft die Anwendung von Urangeschossen eine Reihe beträchtlicher rechtlicher Fragen auf.

Zunächst einmal vor allem die der "Zurechenbarkeit", das heißt: Ist die NATO, ist der einzelne Mitgliedsstaat überhaupt verpflichtet, humanitäres Völkerrecht einzuhalten? Hier wäre zunächst darauf zu verweisen, dass die Mitglieder des Paktes als Einzelstaaten den einschlägigen Verträgen beigetreten sind, sprich: den vier Genfer Konventionen aus dem Jahr 1949, denen ausnahmslos alle NATO-Staaten angehören. Einige haben zudem die Zusatzprotokolle aus dem Jahr 1977 (ZP I und ZP II) ratifiziert. Daraus wiederum folgt: Für die Einzelmitglieder der Allianz besteht ein unterschiedlicher rechtlicher Bindungsgrad an Regeln humanitären Völkerrechts. Die NATO selbst besitzt in diesem Sinne keine Bindung an völkerrechtliche Verträge, woraufhin denn auch Jugoslawien 1999 nach der Kosovo-Intervention nicht den Nordatlantikpakt, sondern dessen Mitgliedsstaaten wegen der Verletzung des Gewaltverbots vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verklagt hat (das Urteil steht noch aus; vorsorgliche Maßnahmen wurden durch dieses Gericht jedoch abgelehnt). Das heißt, jeder NATO-Staat muss in jedem Fall prüfen, ob sich Entscheidungen der Allianz mit seinen völkerrechtlichen Pflichten decken. Im Falle von Rechtsverletzungen kann Schadenersatz die Folge sein, auch eine internationale, individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit von Militärs ist keineswegs ausgeschlossen.

Da nun die 31.000 Granaten mit abgereichertem Uran offenkundig allein von den US-Streitkräften verschossen wurden, ist im weiteren lediglich auf die völkerrechtliche Pflichtenlage der USA einzugehen - bezogen auf den Umstand, wonach das humanitäre Völkerrecht etliche Verbote von Kampfmitteln einschließt. Falls die Urangeschosse Plutonium freisetzen, so wäre Artikel 23 a der Haager Landkriegsordnung (LKO) vom 18. November 1907 einschlägig. Dieser verbietet die Verwendung von Gift und vergifteten Waffen, woran die USA gebunden sind. Es handelt sich bei diesem Verbot nicht nur um die älteste Einschränkung hinsichtlich der Kampfmittel, die entsprechende Regel der LKO trägt unstrittig auch gewohnheitsrechtlichen Charakter. Dieses Verbot gilt im Übrigen gemäß Artikel 54, Zusatzprotokoll I (ZP I) der Genfer Konvention, auch für die Vergiftung von Nahrungsmitteln. Allerdings unterliegen unbeabsichtigte und unerhebliche giftige Nebenwirkungen von ansonsten erlaubten Kampfmitteln nicht dieser Bestimmung.

Schließlich kennt das humanitäre Völkerrecht ein Verbot bestimmter Kampfmethoden - mit anderen Worten, das Recht der Konfliktparteien, Mittel zur Schädigung des Gegners anzuwenden, ist nicht unbegrenzt. Es ist eindeutig verboten, Angriffe gegen die Zivilbevölkerung als solche zu richten. Zu jeder Zeit muss zwischen Personen, die an Kampfhandlungen teilnehmen und Zivilisten unterschieden werden (Artikel 48 ZP I). Zugleich dürfen nach Artikel 51 des Zusatzprotokolls I der Genfer Konventionen militärische Ziele nur unter "größtmöglicher Schonung" der Zivilbevölkerung angegriffen werden. Da jedoch die USA diese Dokument nicht unterzeichnet haben, sind sie vertragsrechtlich an diese Bestimmung nicht gebunden. Gleichwohl wäre hier aber der "Unterscheidungsgrundsatz" geltend zu machen: eine allgemein verbindliche Norm des Völkergewohnheitsrechts, deren Geltung auch in Washington nicht bestritten wird. Sie verpflichtet dazu, stets danach zu fragen, ob der Angriff auf Panzer in ziviler Umgebung und das Nichtbeseitigen abgeschossener Panzer mit möglichen Gefährdungen für die Zivilbevölkerung diesem "Unterscheidungsgrundsatz" widerspricht. Bisherige Erkenntnisse im Verbindung mit dem Einsatz von Uran-Munition legen einen solchen Schluss nahe - für abschließende Urteile scheint es noch zu früh.

Die Gefährdung von eigenen Soldaten durch die Verwendung von Uranbomben dürfte vom Grundsatz her nicht als ein Problem des humanitären Völkerrechts angesehen werden. Hierbei geht es wohl eher um die "Obhutspflicht" des Staates gegenüber den in seinen Diensten stehenden Personen.

Dr. Hans-Joachim Heintze ist Dozent am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum und verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift Humanitäres Völkerrecht.

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