Klima-Check: Ab jetzt befinden wir uns im Vormärz

Koalition Von 2022 an wird jedes Jahr am 15. März geprüft, ob Ministerien und Sektoren ihre CO2-Einsparungsziele erfüllen. Wer sie verfehlt, muss nachbessern. Das Verfahren ist kein Papiertiger, sondern endlich Klimapolitik mit Biss
Ausgabe 47/2021
Auch die Landwirtschaft muss künftig auf ihre Emissionen achten
Auch die Landwirtschaft muss künftig auf ihre Emissionen achten

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Im Feuilleton wird ahnungsvoll debattiert, ob eine wirkliche Klimapolitik demokratieverträglich sei. Nimmt man die Feuilleton-übliche Überspitzung weg und fügt stattdessen Kenntnis des Politiksystems hinzu, so ist die Diagnose: Ja, die überkommene Machtverteilung in Deutschland wird nicht nur, sondern ist bereits wesentlich verschoben worden. Das wissen die Parteien der Ampelkoalition natürlich. Für das allgemeine Publikum aber wird erst in der Zeit von März bis April 2022 der Vorhang gehoben werden.

Hintergrund ist die Art, wie Klimapolitik gegenwärtig gedacht und gemacht wird: Weil der menschengemachte Klimawandel, der Temperaturanstieg, proportional ist zur Gesamtmenge an emittierten Klimagasen, bedeutet das Aufhalten des Klimawandels (Netto-)Null-Emissionen bis zum Jahr 2050. Bis dahin steht eine begrenzte Menge, ein „Budget“, an Emissionen noch zur Verfügung. Klimapolitik ist, in diesem „framing“, Budget-Begrenzung, oder anders: Verhindern einer Budget-Überschreitung.

Diese Leitvorstellung ist von der UN-Ebene auf die EU-Ebene anteilig heruntergebrochen worden, und von der wiederum auf die Ebene Deutschlands. Prinzipiell gilt in Deutschlands Klimapolitik seitdem: Der Bund hat ein Klimagasbudget einzuhalten.

Nahe hätte gelegen, der Bund hätte die nächste Ebene unter sich – die Bundesländer – eingebunden und die Verpflichtung, welche die Bundesebene nach oben, gegenüber der EU, eingegangen ist, weitergereicht. Das hat er aber nicht getan. Gegenwärtig besteht da kein Konflikt, die Länder haben sämtlich eigene Klimagesetze verabschiedet, mit denselben Globalzielen wie der Bund. Doch wenn es ernst und eng wird, kann sich ein Konflikt noch auftun.

Regierungspraktisch ist die Aufgabe, ein Budget zu verwalten, nicht neu – sie ist eine bestens bekannte und eingespielte Tätigkeit. Das leistet auf Ebene des Bundes das Bundesministerium der Finanzen. Eigentlich wird diese Leistung dort von nur einer Abteilung erbracht, von der Haushaltsabteilung. Die ist so bedeutend, dass sie andernorts namensgebend für das ganze Ministerium ist, das angelsächsische „Treasury“ lässt dies anklingen.

Eine klare Machtverschiebung

Man könnte also – nach dem Vorbild der etablierten Praxis des Haushaltsministeriums – zum Zwecke der Einhaltung des Emissionsbudgets ein „Klimaschutzministerium“ einrichten. Andere Ressorts der Regierung werden dann als Exponenten der jeweiligen „Sektoren“ verstanden: das Bauministerium für den Sektor Wohnungsbau, das Landwirtschaftsministerium für die Landwirtschaft und so fort. Natürlich emittieren die Ressorts selbst keine Klimagase, aber ihnen wird zugeschrieben, für die Emissionen „ihres“ Sektors verantwortlich zu sein. Das Klimagas-Budget Deutschlands wird dabei nicht nach dem Regionalprinzip auf Bundesländer aufgeteilt, es wird vielmehr auf Sektoren verteilt. Das alles ist mit dem Bundesklimaschutzgesetz aus dem Jahre 2019 so geschehen. Die einschlägigen Fachressorts erhielten die Aufgabe zugewiesen, ihren Sektor mit politischen Maßnahmen dazu zu bringen, dass er die Budgetgrenze einhält – und das in jedem Jahr.

Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien heißt es dazu, man werde "das Klimaschutzgesetz noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln und ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg bringen", jeder Gesetzesentwurf werde in Zukunft auf seine "Klimawirkung und die Vereinbarkeit mit den nationalen Klimaschutzzielen hin" geprüft.

Das Bundesklimaschutzgesetz hat es dabei aber nicht belassen, sondern die Klimagrenze mithilfe eines unabhängigen Dritten härter vertretbar gemacht. Eingerichtet wurde dafür der „Expertenrat für Klimafragen“. Das Klimaschutzgesetz sieht vor, dass zunächst eine Behörde, das Umweltbundesamt, bis zum 15. März eines jeden Jahres den Stand der Emissionen des Vorjahres sektorscharf schätzt und dabei zweierlei feststellt: ob eine Grenze überschritten wurde und ob das für die nächsten Jahre bei gegebenem Stand umgesetzter politischer Maßnahmen zu befürchten sei. Der Expertenrat hat dann innerhalb eines Monats die Vorjahresschätzung des Umweltbundesamts zu bewerten und gegebenenfalls eine Budgetüberschreitung festzustellen. Konsequenz, so besagt es das Klimaschutzgesetz, ist, dass „das zuständige Bundesministerium (...) innerhalb von drei Monaten (...) ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vorlegt, das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt“.

Das ist immerhin ein Revisions-Vorschlag des zuständigen Ressorts, aber auch nur das. Zur Umsetzung braucht es die Zustimmung der Bundesregierung, insbesondere des Finanzministers – und auch die des Gesetzgebers. Wie das erreichen? Das ist im Gesetz nicht mehr angesprochen.

Deshalb ist es gut, dass es eine zweite Anregung gibt: Die geht über das Geld. Die EU-Ebene war so klug, für die CO₂-Emissionen, die nicht aus Großanlagen kommen, ebenfalls eine Grenze zu ziehen. Das betrifft vor allem Fahrzeuge und Gebäude sowie die Landwirtschaft. Überschreiten deren Emissionen die Freirechte, die Brüssel dafür an die Mitgliedstaaten vergeben hat, so sind die Regierungen verpflichtet, aus Haushaltsmitteln die fehlenden Rechte durch Kauf beizubringen. Da wird zwar auch jahresscharf berechnet, aber nur alle fünf Jahre abgerechnet. In der Zwischenzeit ist Verschieben möglich, man kann sich bei Verfehlen etwas zum Ausgleich aus zukünftigen Jahren „leihen“. Doch nach fünf Jahren ist es bitterer Ernst, da wird über das Budget aller Jahre gerechnet – im Falle eines Überschreitens hat der Bund Rechte bei Dritten zuzukaufen. Das ist nun direkt haushaltswirksam. Richtig verstanden würde dieser Mechanismus das Finanzministerium und den Haushaltsausschuss an die Seite eines strikten Klimaschutzes bringen und sie die strikte Einhaltung von Budgets auch an Klimagasen zu ihrer Sache machen lassen.

All das heißt aber: Wir befinden uns fortan gleichsam im Vormärz. Jedes Jahr zum 15. März „ermittelt“ das Umweltbundesamt, „wie viele Treibhausgase im Vorjahr in Deutschland insgesamt und in den Sektoren ausgestoßen wurden. Der (...) Expertenrat für Klimafragen überprüft die Daten und begleitet die Bundesregierung beim schnellstmöglichen Beschluss von Sofortprogrammen, falls eine Nachsteuerung notwendig ist.“

Das bedeutet: Das Votum des Expertenrates entscheidet über die Notwendigkeit einer Nachsteuerung – da wurde schon ein erhebliches Stück Macht aus der Hand gegeben. Nicht geschlossen ist aber in diesem Regelkreis die Verbindung mit den möglichen finanziellen Folgen für den Haushalt des Bundes. Das ist verwunderlich. Schließlich sollten die Haushälter, im Bundestag wie im Finanzministerium, die ersten sein, die daran ein Interesse haben.

Auf Ebene des Bundes ist nach angelsächsischem Vorbild eine Institution eingerichtet worden, welche die Aufgabe hat, die Folgen, insbesondere die Kosten-Folgen, von Gesetzentwürfen der Bundesregierung zu checken, bevor sie dem Bundestag zugeleitet werden. Ihr Name ist „Normenkontrollrat“. Doch dieses berufene Gremium befasst sich bislang nicht mit den absehbaren Haushaltsbelastungen aus einer budgetüberschreitenden Klimapolitik. Der Grund sind Regeln im Kleingedruckten, eine Beschränkung auf „direkte“ Kostenfolgen: eine Governance-Lücke, groß wie ein Scheunentor. Der Bundesrechnungshof sieht diese Lücke – und schweigt dazu. Willkommen im Vor-März.

Jochen Luhmann ist Emeritus am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie

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