Die Regensburger Rede Benedikts XVI. löste weltweite Proteste unter Moslems aus, die gegen eine Verbindung zwischen Islam und Gewalt protestierten. In der Tat leitete Benedikt mit einem solchen Bezug seinen Vortrag ein, der indes eine völlig andere thematische Ausrichtung hat. Benedikt kritisiert vielmehr den universitären Szientismus, der Fragen nach Gott und der Religion als unwissenschaftlich ausklammere. Genau das, so der Papst, aber verletze am allermeisten religiös geprägte andere Kulturen und fördere gerade keinen interkulturellen Dialog.
Nicht nur Gottlosigkeit werfen denn auch traditionell eingestellte Moslems gerne dem Westen vor. Sie ärgern sich besonders - und damit dem Vatikan gar nicht so fern - über das öffentliche Auftreten von Homosexuellen, über eine emanzipierte Frau, die sich der Ehe nicht mehr unterordnet, deren Outfit alles andere als züchtig erscheint und die häufig zu einer Promiskuität neigt, die man islamisch, katholisch und konservativ nur dem Mann zugesteht. Wie konnte dann die Regensburger Rede Benedikts solche Empörung auslösen? Oder handelt es sich um eine böswillige Fehlinterpretation?
Anstatt gegen den Islam wendet sich Papst Benedikt gegen die modernen Wissenschaften, die die Theologie seit Galilei als übergeordnete orientierende Kraft ablehnen, ja manchmal der Theologie ihre wissenschaftliche Existenzberechtigung absprechen, weil ihr Gegenstand - Gott - nicht existiere. Benedikt, der ehemalige Chef der Kongregation für Glaubensfragen, der Nachfolgeorganisation der Inquisitionsbehörden, rüttelt dabei an den Grundprinzipien der modernen Wissenschaften. Er kritisiert nichts anderes als deren mühsam errungene Einsicht in die eigene beschränkte Reichweite der Vernunft. Ob Kant, Einstein, Heisenberg, Zufalls- oder Chaostheorien, sie wissen darum, dass alle ihre Erklärungen man made bleiben und die Natur, wie sie an sich beziehungsweise wirklich ist, nicht zu erfassen vermögen. Diese Einsicht, die angesichts gefährlicher Technologien dringend geboten erscheint, die zudem eine selbstkritische Reflexion einschließt, gefiele Benedikt sicherlich dann, wenn daraus eine Bescheidenheit gegenüber dem Glauben resultierte. Doch kann die Vernunft keine letzten Wahrheiten über das Diesseits formulieren, dann erst recht nicht über ein Jenseits, das sich völlig der Erfahrung entzieht. Fragen nach dem Warum, dem Woher oder dem Wohin relativieren sich damit zwangsläufig, erhalten einen subjektiven Charakter, wenn sie nicht sogar jeden Sinn verlieren: Die Wissenschaften beantworten eben keine religiösen Sinnprobleme der Menschen.
Benedikt aber erklärt genau solche Fragen als die "eigentlich menschlichen Fragen", so dass die "Verkürzung des Radius von Wissenschaft und Vernunft ... in Frage gestellt werden muss". Damit zeichnet sich ein neuerlicher Kampf um das Menschenbild ab. Wenn die modernen Wissenschaften auf solche Fragen keine Antworten geben können, dann müssen sie sich - so die implizite, letztlich hochpolitische Forderung Benedikts - unter das Primat der Theologie zurückbegeben, die eben diese Fragen stellt und beantwortet. Im Grunde, das meint der Papst, müssen sie sich von der Theologie ethisch leiten lassen, nicht von Ethikräten. In diesem Sinn greift der Katholizismus auch in jede technologische Debatte ein, die ihm ethisch relevant erscheint, bestimmt er bei der Besetzung zahlreicher Universitätsprofessuren gerade in Bayern fleißig mit. Wenn zudem heute diverse Wissenschaften die Politik beraten - eine Beratung, die die Politik in einer komplexer werdenden Gesellschaft immer stärker benötigt -, dann würde die katholische Kirche darauf natürlich gern Einfluss nehmen.
Benedikt gibt auch einen Grund an, warum eine Unterordnung unter die Theologie sogar im Interesse der Wissenschaften selbst liege. Denn mit diesem selbstkritischen Subjektivismus verlören die modernen Wissenschaften ihr sicheres Fundament in der Welt. Der sich reflektierende wissenschaftliche Geist wisse eben nicht, ob er die Welt wirklich richtig erfasst oder bloß nach seinen Maßstäben und mit seinen Mitteln interpretiert. Auf solch schwankendem Untergrund hat sich der Wissenschaftler indes längst eingerichtet. Doch dem Theologen bereitet das immer noch Kopfzerbrechen: Daher möchte er dem Wissenschaftler gerne seine Theologie aufoktroyieren, für die selbstredend ein gütiger Gott die Welt so geschaffen hat, dass der Mensch mit der von Gott verliehenen Vernunft die Welt auch richtig erfasst.
Um dem eigenen Zweifel und den Ungewissheiten zu begegnen, müssen die Wissenschaften dann aber nicht nur auf die selbstkritische Reflexion verzichten. Das betrifft auch die avanciertesten Einsichten der modernen Sprachphilosophie, schlicht dass das Wort keine feste Bedeutung hat, dass es die Welt gerade nicht abbildet, dass Sprache gar ein Spiel ist, bei dem jeder an den Regeln mitdreht. Nein, die Regeln sind wie die Worte - der Logos, den die Regensburger Rede ständig anführt - von Gott gegeben und müssen beachtet werden. Genauso gelten die obersten ethischen Prinzipien absolut und können nicht verändert werden. Dann erscheint der Papst also immer legitimiert, sich in die Wissenschaften, in die Politik wie in das Sexualleben der Menschen einmischen zu dürfen.
Die eigenen Bemühungen der modernen Wissenschaften, eine rationale Ethik zu entwickeln - man denke an Kant, Jürgen Habermas, John Rawls, Hans Küng oder die zahlreichen Ethikkommissionen -, erklärt Benedikt für unzureichend. Natürlich können sie keine absoluten Werte begründen, da die modernen Wissenschaften ja letztlich um ihre subjektive Perspektive Bescheid wissen. Benedikt schreibt: "So aber verlieren Ethos und Religion ihre gemeinschaftsbildende Kraft und verfallen der Beliebigkeit. Dieser Zustand ist für die Menschheit gefährlich: Wir sehen es an den uns bedrohenden Pathologien der Religion und der Vernunft, die notwendig ausbrechen müssen, wo die Vernunft so verengt wird, dass ihr die Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören." Damit braucht offenbar gerade auch die Politik wieder die Religion, ohne die sich die Gesellschaft nicht stabilisieren lässt: Das ist Benedikts Botschaft hinter seiner Wissenschaftskritik. Bestimmte grundlegende Fragen sollen also wieder gestellt und die Einwände der Wissenschaften dagegen übergangen werden. Es geht Benedikt um "den rechten Gebrauch der Vernunft", der die religiösen Dimensionen nicht nur mit einschließt, der vielmehr nur durch deren Berücksichtigung möglich wird.
Aber woher weiß Benedikt denn, wie man die Vernunft richtig gebraucht? Just dazu beruft er sich auf den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos aus dem 14. Jahrhundert, der darauf insistiert, dass Glauben und Vernunft zusammengehören. Verwunderlich ist dabei nur, dass er nicht Thomas von Aquin zitiert, der ein Jahrhundert früher im Rückgriff auf Aristoteles die Fundamente des katholischen Weltbildes mit einer Verbindung von Glauben und Vernunft so legt, dass sie bis heute Bestand haben. Nebenbei gesagt - es war die islamisch arabische Hochkultur, die die griechische Philosophie wie die Mathematik in den Westen vermittelte, nachdem das Christentum Jahrhunderte lang gerade Aristoteles verdrängte. Hier hätte sich sogar eine Chance geboten, den Islam als zumindest indirekten Wegbereiter des "richtigen" Verhältnisses von Vernunft und Glauben einzubinden, also auch des katholischen Weltbildes.
Aber Benedikt geht es um eine andere Verbindung. Er bedauert, dass man in Europa während der Renaissance beginnt, sich von diesem katholischen Weltbild zu lösen. Die Reformation gibt sich mit einem vernünftig durchschaubaren Gott nicht mehr zufrieden. Gottes Wege werden unergründlich: Glauben an ihn muss man, wiewohl der Augenschein nicht dafür spricht, erscheint die Welt doch eher grausam und unvernünftig. Auch die evangelische Theologie im 19. Jahrhundert - so Benedikt - verstärkt diesen Trend, wenn sie sich als historische Wissenschaft begreift, die mit wissenschaftlichen Methoden die Wege des Neuen Testaments nachzeichnet. Dies schließt an die Entfaltung der modernen Wissenschaften an, die insgesamt Glauben und Vernunft nachhaltig trennen. Primär dagegen - nicht gegen den Islam - richtet sich Benedikts Vortrag.
Warum aber leitet Benedikt seinen Vortrag dann überhaupt mit einem Rückgriff auf den Islam ein? Warum zitiert er denn den umstrittenen Satz Manuels II. Palaeologos, auf dessen schroffen Ton er gar zweimal hinweist? "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Nun, man beachte: Benedikt weist gleichfalls darauf hin, dass der islamische Gott ähnlich wie der protestantische unergründlich verschwimmt und sich damit jedem rationalen Zugriff entzieht. Religion und Vernunft treten also im Islam wie im Protestantismus oder in den modernen Wissenschaften auseinander. Doch um darauf hinzuweisen, hätten Benedikt ebenfalls jene Bemerkungen genügt, in denen Manuel II. Palaeologos Gott mit der Vernunft verbindet. Den bösen Satz hätte er weglassen können. Ja, den Islam hätte er gar nicht erwähnen müssen. Protestantismus und moderne Wissenschaft hätten als Beispiele für die Trennung von Religion und Vernunft ausgereicht.
So deutet sich eine andere Intention an, eine noch weitreichendere implizite Kritik an den modernen Wissenschaften: Nicht nur wenn man Gott nicht mit der Vernunft verbindet, führt das zur Gewalttat, sondern vor allem umgekehrt - wenn man die Vernunft nicht Gott unterstellt. Was die modernen Wissenschaften betrifft, so denke man nur an Auschwitz, Hiroshima und die Klimaerwärmung - Benedikt richtet seinen Blick wohl eher auf die Antibabypille, die Abtreibung, die Stammzellenforschung. Der Islam dient insofern als Anschauungsobjekt für eine fehlende Verbindung von Religion und Vernunft, die in die Gewalt führt. Warum sonst schreibt Benedikt als Einleitung zu jenem Satz des Palaeologos die Sure des Korans, die Gewalt in Glaubenssachen ausschließt, einem noch machtlosen Mohammed zu? Was ist das anderes als eine Relativierung einer vielleicht doch ernst gemeinten Norm? Welche Macht hatte Jesus zu Zeiten der Bergpredigt? Braucht man sie deshalb nicht ernst zu nehmen? Es könnte sein!
Dass der harte Satz Manuels II. Palaeologos die Meinung des Papstes überhaupt nicht tangiere, ist aus noch einem anderen Grund wenig glaubwürdig. Denn im weiteren Text zitiert er den byzantinischen Kaiser mehrfach als Kronzeugen für die - Benedikt doch so am Herzen liegende - Verbindung von Glauben und Vernunft. Manuel hat also eine zentrale Einsicht, die Islam, Protestantismus und moderner Wissenschaft abgeht. Vor einem solchen Hintergrund erscheint der böse Satz Manuels höchstens etwas schroff formuliert.
Natürlich bleibt als Konsequenz dann nur der Katholizismus, der Glaube und Vernunft einander "richtig" zuordnet, während die moderne Wissenschaft, Protestantismus und Islam dazu nicht in der Lage sind und daher zur Gewalt neigen. Man kann dabei Benedikt durchaus zugestehen, dass der Katholizismus sich in aristotelischer Tradition eines Thomas von Aquin um das Verhältnis von Glauben und Vernunft intensiv bemühte. Dass ihn das aber zur Gewaltlosigkeit geführt hätte - das daraus abzuleiten -, entfaltet angesichts der Kirchengeschichte keine überzeugende Kraft. Man denke nur an die Mission der Indios. Noch weniger besitzt es eine immanente Logik: Bedient sich nicht auch die Vernunft selbst - wie der Glaube - häufig der Gewalt, um sich durchzusetzen? In der Politik allemal!
Hans-Martin Schönherr-Mann ist Professor für Politische Philosophie am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
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