Assad vor dem "Spiegel"-Tribunal

Syrien Ein deutsches Nachrichtenmagazin hat ein Interview mit dem syrischen Präsidenten geführt. Dabei kam nichts Neues, aber manch Erhellendes heraus

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Assad vor dem "Spiegel"-Tribunal

Foto: -/AFP/Getty Images

Der Spiegel hat mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad Klartext geredet und ihm erklärt, was er tun müsste, um das Wohlwollen des Westens zurückzuerlangen. Diese politische Lektion, als Interview getarnt, veröffentlichte das angeblich investigative Nachrichtenmagazin in seiner Ausgabe vom 7. Oktober (Heft 41/2013). Es ließe sich ja die Frage stellen, ob der Spiegel eventuell auf das reingefallen ist, was die Online-Ausgabe des Magazins am 5. September unter dem Titel „Assads Lügen-Offensive“ so beschrieb: „In einer bisher noch nicht dagewesenen Propaganda-Anstrengung schickt das syrische Regime derzeit seine besten internationalen Botschafter an die Medienfront. Sie sollen Zweifel säen und die Angriffe doch noch einmal abwenden.“ Und dann muss die Redaktion auch noch melden, dass Assads Presseverantwortliche den Text des Gespräches „ohne jede Änderung freigegeben“ haben. Aber wahrscheinlich um solche Vermutungen auszuräumen, wurde gleich zu Beginn des Textes klargestellt, wie Assad zu sehen ist: Als „Feind Europas und Amerikas“, der für Massaker und vom Giftgas getötete Kinder verantwortlich ist.

Die beiden Spiegel-Redakteure Klaus Brinkbäumer und Dieter Bednarz, die in Damaskus mit dem syrischen Präsidenten sprachen, klärten diesen nicht nur darüber auf, dass er zurücktreten müsste, „wären Sie ein aufrichtiger Patriot“, und dass es in Syrien „eine starke Opposition gegen Sie gibt“. Sie konnten sich auch das Lachen nicht verkneifen, als Assad ihnen sagte, „wir haben nie behauptet, keine Chemiewaffen zu haben“. Sie zeigten dem Präsidenten, den sie nicht anerkennen („Die Legitimation Ihrer Präsidentschaft bestreiten nicht nur wir.“), dass sie mehr wissen und behaupteten nicht nur trotz aller gegenteiligen Beweise, das Massaker von Hula vom Mai 2012 sei auf das Konto regimenaher Milizen gegangen. Sie stellten auch klar, dass der Giftgaseinsatz am 21. August bei Damaskus nur von der syrischen Regierungsseite zu verantworten sein kann. Denn: „Präsident Obama hat nach der Untersuchung dieses Verbrechens durch die Vereinten Nationen ‚keinen Zweifel‘, dass Ihr Regime am 21. August eingesetzt hat, wobei mehr als tausend Menschen getötet wurden.“ Zweifel kennen die Spiegel-Reporter anscheinend nicht und so argumentierten sie immer wieder in diese Richtung und beriefen sich auf die „Schlussfolgerungen der Uno-Inspekteure“ und von westlichen Nachrichtendiensten angeblich abgefangene Funksprüche von syrischen Offizieren. Assads Reaktion darauf: „Das ist eine komplette Fälschung. Ich möchte dieses Gespräch nicht auf Grundlage solcher Anschuldigungen führen.“

Er setzte es aber fort und erklärte den Journalisten, die entgegen der Meldungen dazu selbst eine mögliche deutsche Vermittlerrolle zuerst ins Gespräch brachten, dass er sich über Gesandte aus Deutschland freuen würden, wenn sie kämen, „um mit uns über die wahren Verhältnisse zu sprechen“. Darauf hat Außenminister Guido Westerwelle aber keine Lust, wie er gegenüber Spiegel online am 6. September erklärte. Ich hatte mich schon über Assads Optimismus bezüglich der deutschen Rolle gewundert, ist doch die Bundesregierung längst eifrig mit dabei, die syrische Beute nach dem angestrebten Sturz Assads aufzuteilen. Dafür zeigten ihm die beiden Magazin-Vertreter gegen Ende des Gespräches noch einmal, in wessen Auftrag sie unterwegs sind und in wessen Namen sie sprechen: „Für die Weltgemeinschaft tragen Sie die Schuld an der Eskalation dieses Konflikts, dessen Ende nicht abzusehen ist. Wie leben Sie mit dieser Schuld?“ Gegen solch schwere Propagandageschütze musste Assads Verteidigung schwach aussehen: „Es geht nicht um mich. Es geht um Syrien. Die Lage in meinem Land bedrückt mich. Darum sorge ich mich, nicht um mich.“

Natürlich müssen solche Journalisten, die im Auftrag der Weltgemeinschaft unterwegs sind, bei ihren medialen Tribunalen übersehen, was in der Online-Ausgabe ihres eigenen Mediums im Juli 2012 schon zu lesen war: „Wie der Westen in Syrien heimlich Krieg führt“. „Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, sagt: ‚Man kann inzwischen von einem militärischen Engagement sprechen.‘“ Im gleichen Monat meldete Spiegel online, gestützt auf britische Medienberichte, dass die „Rebellen“ in Syrien „offenbar massive Hilfe aus dem Ausland“ erhielten und auch von früheren Mitglieder der britischen Spezialeinheit SAS ausgebildet wurden. Aber der Spiegel war nicht der Erste, der auf die westliche Einmischung in Syrien aufmerksam machte. So hatte Joachim Guilliard schon im März 2012 nachgewiesen: „Nato-Staaten sind längst militärisch in Syrien aktiv“. Wenn schon die eigenen Texte ignoriert werden, dann geschieht das natürlich auch, wenn woanders Ähnliches zu lesen ist. So scheinen Brinkbäumer und Bednarz beim Vorbereiten auf das Gespräch mit Assad ebenfalls nicht gelesen zu haben, was am 2. August in der Online-Ausgabe der FAZ stand: „Der Westen ist schuldig“. Was ist denn schon ein Rechtswissenschaftler im Vergleich zu zwei Redakteuren vom Spiegel, die sich mutig dem „Feind Europas und Amerikas“ gegenübersetzen? Dieser Rechtstheoretiker Reinhard Merkel kann wahrscheinlich aus ihrer Sicht nur Assads Lügenoffensive quasi vorab auf den Leim gegangen sein, als er schrieb: „Der Westen, wenn diese etwas voluminöse Bezeichnung gestattet ist, hat in Syrien schwere Schuld auf sich geladen - nicht, wie oft gesagt wird, weil er mit seiner Unterstützung des Widerstands gegen eine tyrannische Herrschaft zu zögerlich gewesen wäre, sondern im Gegenteil: weil er die illegitime Wandlung dieses Widerstands zu einem mörderischen Bürgerkrieg ermöglicht, gefördert, betrieben hat.“

„Eine Lüge bleibt eine Lüge“, erklärte der syrische Präsident den beiden deutschen Journalisten, „wie immer Sie sie drehen und wenden.“ Die Spiegel-Redakteure ließen sich von ihm aber nicht aus ihrem Konzept bringen, auch wenn er „ruhig, leise, druckreif“ auf sie einredete, mit nach innen gedrehten Füßen und gegeneinander gepressten Knien. Auf solche Details haben sie dabei geachtet, denn auch diese sind wichtig für ein investigatives Magazin beim Aufdecken der Wahrheit. Dass im selben Spiegel-Heft 40 Seiten später ein Interview mit dem Historiker Volker Ullrich über Adolf Hitler unter der Überschrift "Er konnte sehr liebenswürdig sein" zu lesen ist, ist sicher nur publizistischer Zufall, paßt aber irgendwie.

PS: Was die beiden Spiegel-Richter so alles ausließen, zeigen auch neue Berichte zum Giftgaseinsatz am 21. August, die belegen, warum Zweifel an der angeblichen Schuld Assads weiter angebracht sind. Uli Cremer schrieb am 3. Oktober in einem Beitrag auf der Website der Zeitschrift Sozialismus: "Sechs Wochen nach dem Giftgasangriff vom 21.8.2013 ist dieser alles Andere als aufgeklärt." Es sei "politisch kurzsichtig, dass sich die meisten politischen (Mainstream-)Akteure in Deutschland in Ignoranz der Faktenlage bereits mehr oder weniger auf das Assad-Regime als Täter festgelegt haben."
Am 4. Oktober stellte Oksana Boyko vom Sender Russia TV fest: "Glaubwürdigkeit des UNO-Berichts über den Giftgasangriff in Ghouta durch Widersprüche bei den Proben in Frage gestellt". Das erläuterte die Journalistin näher: "Die Inspekteure waren an verschiedenen Orten im Gebiet Ghouta, wo diese schrecklichen Videos entstanden von toten Kindern und Leichen. An einem Ort blieben sie zirka 2 Stunden, an einem anderen zirka 5 Stunden.
Sie sammelten Proben, Umweltproben, Stoffe, Textilien etc. Sie befragten Überlebende und nahmen von ihnen Blutproben.
Das größte Problem dabei: In keiner einzigen Umweltprobe aus West-Ghouta wurde Sarin nachgewiesen, aber eigenartigerweise in allen Überlebenden!"
Interessant ist auch, was Jürgen Todenhöfer im Interview mit der jungen Welt, veröffentlicht am 5. Oktober, über den laut Spiegel-Urteil "Feind Europas und Amerikas" Assad sagte: "Assad wird seine Beziehungen zum Iran und zu Rußland nicht aufgeben, aber er sieht sich nicht als einen Feind des Westens. Die USA sehen Gespenster im Mittleren Osten. Für sie sind diese Regierungen ihre Todfeinde. Ich stoße in Gesprächen mit westlichen Politikern immer wieder auf eine totale Ignoranz. Die Amerikaner haben eine Neigung, Politik sehr persönlich zu verstehen." Todenhöfer ergänzte: "Dabei will Assad mit den USA über alle relevanten Fragen verhandeln. Ich habe den Amerikanern sein Gesprächsangebot übermittelt. Bevor ich mich mit ihm traf, hatte ich die Bundesregierung und die Amerikaner informiert. ... Aber Assad hat sich während des Irakkriegs nicht als hilfreich erwiesen und wird seitdem zur 'Achse des Bösen' gezählt, die in Wirklichkeit eine Achse der Unfolgsamen ist. Jeder, der sich den Amerikanern in dieser rohstoffstrategisch wichtigen Region nicht unterwirft, wird dieser Achse zugerechnet und dämonisiert. Am Ende kann man nicht mehr mit ihnen sprechen. Dann heißt es: Schlächter, Massenmörder."
Das Interview des deutschen Nachrichtenmagazins mit dem syrischen Präsidenten klingt ganz so, als würden die schreibenden Moralrichter ja nicht unfolgsam wirken wollen, wenn in Washington mitgelesen wird.

aktualisiert: 20:53 Uhr

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

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