Das nächste bestellte Massaker?

Syrien Statt einer friedlichen Lösung für Syrien gibt es neue Gräuelmeldungen aus dem kriegsgeschundenen Land

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Das nächste bestellte Massaker?

Foto: ABO SHUJA/AFP/Getty Images

In Syrien ist den Meldungen zu Folge wieder etwas Schlimmes passiert: In Vororten von Damaskus, die von „Rebellen“ gehalten werden, sollen bei Angriffen der syrischen Armee viele Menschen ums Leben gekommen sein, darunter Frauen und Kinder. Um das zu steigern, erklären die Gegner von Präsident Bashar al-Assad, die Armee habe Giftgas eingesetzt und so den Tod der Zivilisten verschuldet. „Die syrische Opposition überschlug sich mit Angaben über die Zahl der Toten“, meldete u.a. der österreichische Standard am 21. August 2013. „Mehr als 200, knapp 500, ein Vertreter der oppositionellen Nationalen Syrischen Allianz in Istanbul, George Sabra, sprach am Mittwochnachmittag schließlich von 1300 Menschen, …“ Die Regierungsgegner versuchten seitdem über die sogenannten sozialen Medien ihre Vorwürfe mit Fotos und Videos zu belegen. Die Meldungen wirken, auch wenn die Opferzahlen und die Herkunft der Raketen nicht geklärt sind: „Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich schockiert über den mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien mit mehr als tausend Toten geäußert und schnelle, unabhängige Aufklärung gefordert.“ Das meldete die Stuttgarter Zeitung am selben Tag. Laut Standard forderte die türkische Regierung, die Staatengemeinschaft müsse auf dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit reagieren. „Die USA sind über die Berichte zutiefst besorgt, laut denen hunderte syrische Bürger am Mittwoch bei einem Angriff der syrischen Regierungskräfte, darunter unter Einsatz von chemischen Waffen, getötet wurden“, zitierte die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti den Sprecher des Weißens Hauses, Josh Ernest.

Klar scheint, dass es zahlreiche Tote gab. Bekannt ist, dass die syrische Armee eine Großoffensive auf Stellungen der „Rebellen“ in Vororten der syrischen Hauptstadt begonnen hat. Für die medialen Kriegstreiber wie die von Spiegel online ist der Fall anscheinend klar: Da kann es nur die syrische Armee gewesen sein, auch wenn dafür keine Belege gebracht werden. Die Einschätzungen von Experten wie Stefan Mogl vom Schweizerischen Bundesamt für Bevölkerungsschutz, dass die gezeigten Bilder der Opfer tatsächlich auf einen Einsatz chemischer Kampfstoffe hinweisen, sollen ausreichen. Mutmaßliche Augenzeugenberichte sollen belegen, dass die Raketen von Armeestellungen abgeschossen wurden.

Da stört nur ein Fakt: Just zu der Zeit des Angriffes befinden sich UN-Experten in Syrien, die Vorwürfe über den Einsatz von Chemiewaffen u.a. im März bei Aleppo aufklären sollen. Laut Standard sind sie gar nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt untergebracht. Das lässt eigentlich die Vorwürfe gegen die syrische Armee absurd erscheinen, stört aber Spiegel online anscheinend niemand. Dort wird Riad Kahwaji, Geschäftsführer des Institute for Near East & Gulf Military Analysis (Inegma) in Beirut, zitiert, für den klar ist, dass nur die syrische Regierung schuld sein kann. Diese sende „der Opposition mit diesem Timing ein klares Signal: 'Ihr seid allein, und wir können mit euch machen, was wir wollen.' Der Chemiewaffen-Einsatz im Beisein des Uno-Teams verhöhne die internationale Gemeinschaft geradezu.“ Nein, Beweise werden nicht vorgelegt, wozu auch, Zweifel werden nicht erwähnt, die Schuldfrage scheint geklärt.

Immerhin findet sich bei anderen Medien u.a. ein Zitat des Leiters des UN-Untersuchungsteams, Ake Sellström. Er hat laut der österreichischen Zeitung Standard der Nachrichtenagentur TT am 21. August 2013 gesagt: "Die erwähnte hohe Anzahl Verletzter und Getöteter klingt verdächtig. Es klingt wie etwas, das man untersuchen sollte." Der schwedische Exdiplomat Rolf Ekeus sagte laut der Zeitung: "Es wäre sehr seltsam, wenn die syrische Regierung ausgerechnet in dem Moment zu solchen Mitteln greifen würde, wenn die Beobachter im Land sind." Ekeus hatte in den 90er-Jahren ein Team von UN-Waffeninspektoren im Irak geleitet. "Zumindest wäre es nicht sonderlich schlau." Der Schweizer Tages-Anzeiger veröffentlichte auf der Startseite seiner Online-Ausgabe am selben Tag ein Interview mit dem Nahost-Wissenschaftler Günter Meyer von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er bezeichnete die Berichte über den Chemiewaffeneinsatz als glaubhaft, meinte aber: „Das Regime von Bashar al-Assad hat … absolut kein Interesse am Einsatz von Chemiewaffen.“ Das begründete er so: „Die Regierungstruppen befinden sich auf dem Vormarsch. In den letzten Wochen und Monaten erzielten sie mit Bombardements grosse militärische Geländegewinne, gerade auch in der Region Ghuta nahe Damaskus, wo die Giftgasangriffe erfolgt sein sollen. In einer solchen Situation Chemiewaffen einzusetzen, macht für das Regime überhaupt keinen Sinn. Auch weil Inspektoren der UNO sich zurzeit im Land aufhalten. Das Regime weiss ganz genau, dass die von US-Präsident Barack Obama gesetzte ‚rote Linie‘ überschritten wäre, wenn es Chemiewaffen einsetzen würde und dies von den UNO-Inspektoren auch nachgewiesen werden könnte.“ Nur die „Rebellen“ könnten davon profitieren, so Meyer. „Umso mehr, als das Giftgas dieses Mal, im Vergleich zu den ersten Fällen, anscheinend als Massenvernichtungswaffe eingesetzt worden ist, wenn die oppositionellen Behauptungen von Hunderten von Toten tatsächlich zutreffen sollten.“ Der Wissenschaftler erinnert daran, dass die Assad-Gegner seit langem versuchen, die USA und ihre Verbündeten zu einem militärischen Eingreifen zu bewegen. „Dabei nutzen sie den Umstand aus, dass sich Inspektoren der UNO in Syrien aufhalten. Das alles passt ins Schema, das wir bereits von den ersten Giftgasangriffen im vergangenen März her kennen.“

Das von Meyer beschriebene Schema ist es, was mich auch an den Vorwürfen an die syrische Armee zweifeln lässt. Was die „Rebellen“ und ihre Unterstützer, auch die in deutschen Mainstream-Medien, behaupten, scheint zu gut zusammen zu passen und wirkt zu gleich angesichts der Umstände absurd. Es erinnert an andere bisher erfolglose Versuche, mit einem angeblichen Massaker durch Regierungstruppen den Westen dazu zu bringen, endlich beim Sturz Assads direkt zu helfen. Dafür stehen die Ereignisse in Hula, Homs, Tremseh und anderen Orten, dazu die bisherigen Vorwürfe über Chemiewaffeneinsätze durch die syrische Armee. Immer wieder tauchten solche Berichte just in dem Moment auf, wo in der UNO über den Krieg in Syrien beraten wurde oder versucht wurde, über Verhandlungen eine friedliche Lösung zu finden. Natürlich habe ich auch keine Beweise, dass die Vorwürfe der „Rebellen“ und ihrer Unterstützer falsch sind. Aber alles, was ich dazu in Erfahrung bringen kann, führt mich erneut zu der Frage, die ich im Mai 2012 im Zusammenhang mit dem angeblichen Massaker von Hula stellte: „Für wie blöd werden wir gehalten?“ Ich habe auch schon mehrfach auf die Bereitschaft der „Rebellen“ hingewiesen, Opfer bewußt zu „produzieren“, um ihre Ziele zu erreichen.

Ich kann nur hoffen, dass der allem Anschein nach erneute Versuch, den Westen endlich zu einer Intervention zu bewegen, bevor die syrische Armee endgültig die Oberhand gewinnt, erneut scheitert. Es könnte aber auch diesmal wie 1999 in Racak laufen. Das dortige angebliche Massaker an Kosovo-Albanern wurde von den damaligen OSZE-Beobachtern nicht bestätigt. Doch am Ende ihrer Mission stand der NATO-Angriff gegen Jugoslawien. Dass die Beobachter etwas anderes gesehen hatten als die politischen Kriegstreiber behaupteten, wurde erst später gemeldet. Die nicht beweisbare Behauptung vom Massaker in Racak war nützlich und wurde von vielen geglaubt. Auch Ex-General Heinz Loquai, der als OSZE-Beobachter vor Ort war und die offizielle Darstellung in Frage stellte konnte das damals nicht verhindern. Ob diesmal hilft, was RIA Novosti am Aabend des 21. August 2013 meldete, weiß ich nicht: „Nicht die syrische Regierungsarmee, sondern die Oppositionskämpfer haben nach russischen Angaben am Mittwoch nahe Damaskus eine Rakete mit unbekanntem chemischem Giftstoff eingesetzt. ‚Die selbstgemachte Rakete wurde am frühen Mittwochmorgen von den Stellungen der Regimegegner aus abgefeuert worden‘, erklärte der russische Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch. Ziel des Beschusses sei ein östlicher Vorort von Damaskus gewesen, in dem die syrischen Regierungstruppen in den letzten Tagen intensiv gegen die Oppositionskämpfer vorgegangen seien. Eine ähnliche Rakete haben Terroristen am 19. März 2013 in Khan al-Assal eingesetzt, hieß es.“ Sicher ist: Ein Ende des Krieges in und gegen Syrien bleibt weiter außer Sichtweite, eine friedliche Lösung scheint nicht möglich.

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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