Niemand habe mit dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli gerechnet, erklärte der deutsche Islam-Wissenschaftler und „Türkei-Experte“ Udo Steinbach im online am 17. Juli veröffentlichten Interview mit dem Schweizer Tages-Anzeiger. Wenn das ernst gemeint ist, dann ist Steinbach alles, bloß kein „Experte“, oder irgendwas ist auch an diesen Ereignissen nicht so, wie sie uns dargestellt werden.
Als ich am Abend des 15. Juli die ersten Nachrichten vom Putschversuch in der Türkei bekam, war ich erstaunt. Aber nicht vom Ereignis selber, sondern davon, dass vor nicht allzu langer Zeit mindestens in einem deutschen Medium eine solche Möglichkeit beschrieben wurde. Elektrisiert erinnerte ich mich an das Titelbild der Frankfurter Allgemeinen Woche vom 27. Mai, das seit dem Erscheinen auf meinem Schreibtisch lag. Auf diesem war unter anderem zu lesen: „Türkei: Die Armee könnte Erdogan bremsen“. Ich hatte die Ankündigung des entsprechenden Beitrages interessiert zur Kenntnis genommen, den Text von FAZ-Redakteur Rainer Herrmann aber leider bis zum 15. Juli noch nicht gelesen. Das holte ich dann in der Nacht des Putschversuches nach. Die Ankündigung auf dem Titel hatte mich u.a. an die vorherigen Putsche in der Türkei denken lassen und mich auch an die Ereignisse in Ägypten erinnert, als die dortige Armee im Juli 2013 den demokratisch gewählten islamistischen Präsidenten Mohamed Mursi aus dem Amt putschte.
Bei den Nachrichten aus der Türkei wurde ich erneut daran erinnert und fragte mich, wer wohl diesmal das dachte, was vor drei Jahren im Fall Ägypten in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war: „Warum der Militärputsch notwendig war“. Heute, wo der Putschversuch vom 15. Juli endgültig als gescheitert anzusehen ist und sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als Held darstellt, der nun aufräumen werde, will natürlich niemand der üblichen Verdächtigen auch im Westen jemals so etwas gedacht haben. Deshalb lohnt sich immer noch ein Blick in den Beitrag von Herrmann in der Frankfurter Allgemeinen Woche vom 27. Mai. Der Autor berichtete darin von anhaltenden Putschgerüchten in der Türkei und: „Viele hoffen auf ein Eingreifen der Armee, um den Präsidenten zu bremsen“. Laut Herrmann sei die Haltung der Armee gegenüber Erdogan rätselhaft: „Ist es dem allmächtigen Staatspräsidenten gelungen, die Armee als potentielle Gefahr für seine Herrschaft auszuschalten – oder nicht?“ Die Antwort sei wichtig geworden, seitdem Erdogan immer mehr Macht in seinen Händen konzentrierte und wichtige Elemente der Demokratie, sowohl die Legislative, das Parlament, als auch die Judikative, die Justiz, ausgeschaltet habe. Der Autor schrieb auch davon, dass „nicht nur in der Türkei selbst“ die Frage gestellt werde, ob die Armee „die letzte Kontrollinstanz ist, um den Staatspräsidenten in die Schranken zu weisen“. Die Gerüchte würden nicht verstummen, so Herrmann noch im Mai, „dass unzufriedene Offiziere wieder putschen und die Macht übernehmen könnten“. Zwar habe Erdogan über Entlassungen und Gerichtsverfahren gegen hohe Militärs wegen angeblicher Putschpläne die Militärführung neutralisiert und auf seine Seite gebracht. Doch das Unbehagen bei den Uniformierten gegenüber dem Präsidenten sei geblieben, was auch die Sympathien entlassener hoher Militärs für die Gezi-Proteste und die gegen die Islamisierung aufbegehrende Jugend in den Städten zeige. „Zuletzt kursierten in regierungskritischen Medien Ende März fiebrige Spekulationen über mögliche Putschpläne, hinter denen kein geringerer als der amerikanische Präsident Barack Obama stehe.“ Auch habe ein ehemaliger türkischer Offizier kurz danach im Wall Street Journal erklärt, dass die Armee als einzige Institution Erdogan bremsen könne und unter anderem einen türkischen Einmarsch in Syrien verhindert habe. Herrmann beschrieb bei allen Zweifeln an den Gerüchten ein mögliches Szenario, „das abermals zu einem Eingreifen der Armee führt, denn die Türkei ist von Terror bedroht, durch den ‚Islamischen Staat‘ und die kurdische PKK.“ 1980 habe die Armee interveniert, „um der Gewalt auf den Straßen ein Ende zu setzen“, und 1960, 1971 und 1997 um die Republik Atatürks wiederherzustellen. „Auch das ist heute nicht auszuschließen, sollte Erdogan versuchen, die Republik, die 2023 ihren 100. Geburtstag feiert, weiter zu islamisieren.“
Doch der mutmaßliche Versuch dazu kurze Zeit nach Herrmanns Beitrag scheiterte nun und Erdogan stellt sich in der Folge als Retter der Nation dar und diffamiert die Putschisten unter anderem damit, dass sie die Waffen gegen das türkisch Volk erhoben hätten, „gegen deine Mutter und deinen Vater“. Als ich das im Radio in der Übersetzung seiner Rede nach dem Putschversuch hörte, musste ich abschalten, weil mir bei solcher Demagogie speiübel wird. Über die tatsächlichen Hintergründe der Ereignisse vom 15. Juli kann natürlich nur spekuliert werden. Interessant finde ich den Hinweis von „Türkei-Experte“ Steinbach, dass der Putschversuch „ganz offensichtlich von niederrangigen Offizieren“ ausgegangen und die aktuelle Militärführung nicht involviert gewesen sei. Vielleicht haben die Putschisten einen Faktor unterschätzt, der beispielsweise 1980 eine Rolle spielte und auf den der deutsche Islam-Wissenschaftler im Tages-Anzeiger-Interview ebenfalls hinwies: „Damals hat die Armee geschlossen die Macht übernommen – nach vorheriger Absprache mit den Nato-Verbündeten. Man war froh, dass die Militärs eingreifen und das Land vor dem Verfall retten.“ Vielleicht haben die „niederrangigen“ Putsch-Militärs die internationale Kritik an Erdogans Politik überbewertet und missverstanden. Das Titelbild der Juli-Ausgabe der deutschen Zeitschrift Konkret konnten sie sicher nicht kennen: Darauf Erdogan als „Unser Mann am Bosporus“ mit der Unterzeile „Die deutschen Deals mit der Türkei“. Sie haben wahrscheinlich nicht klar gesehen, wie willkommen den führenden westlichen Mächten die Politik Erdogans im Nahen Osten tatsächlich zu sein scheint, auch nicht, dass die westliche Kritik an der undemokratischen Politik des türkischen Präsidenten im Inneren nur „Opium fürs Volk“ ist. Was kümmerte die Herrschenden und Mächtigen des Westens jemals die Demokratie, wenn sie ihre Interessen gefährdet sahen? Auch deshalb wird mir bei den aktuellen westlichen Erklärungen zum Putschversuch in der Türkei ebenfalls speiübel.
"Unser Mann am Bosporus" als Sieger
Zu den Ergebnissen der Ereignisse vom 15. Juli gehört neben vielen Todesopfern und einem Rachefeldzug der unbesiegt Gebliebenen das Gegenteil des Angestrebten: „Erdogan wirkt wie eine Heldenfigur, die gegen den Putschversuch einen Sieg der Demokratie erstritten hat.“ Das erklärte der türkische regierungskritische Journalist Baris Ince ebenfalls in einem ebenfalls vom Schweizer Tages-Anzeiger am 17. Juli online veröffentlichten Interview. Erdogan habe nun „freies Spiel“, meinte Ince und ergänzte: „So wurden bereits zahlreiche Richter und Teile der Sicherheitskräfte verhaftet, mit der Begründung, den Aufstand unterstützt zu haben.“ „Erdogan wird jetzt noch entschlossener gegen seine Kritiker und Gegner vorgehen“, erklärte der der Istanbuler Politologe Can Büyükbay gegenüber dem Tages-Anzeiger am 16. Juli. „So wird er die Armee säubern. Die Armee, die sich als Hüterin einer laizistischen Staatsordnung sieht, verliert endgültig ihre Position als Gegenmacht.“ Für Büyükbay handelte es sich beim dem schlecht organisierten Putschversuch um einen Teil des Machtkampfes zwischen Erdogan und dem in den USA lebenden islamistischen Prediger Fethullah Gülen. Letzterem stünden einige der gescheiterten Putschisten nahe. „Das ist auch die Ansicht der meisten Politanalysten und -kommentatoren – obwohl die Gülen-Bewegung betont, dass sie nichts mit dem Putsch zu tun. Warum es gerade jetzt zum Umsturzversuch gekommen ist, ist allerdings unklar.“
Eine andere mögliche Erklärung lieferte ein online am 16. Juli veröffentlichter Bericht der FAZ aus Istanbul. Darin zitierte Yasemin Ergin einen Kellner einer Istanbulder Hotelbar: „Das ist doch alles geplant, und morgen ist der Putsch dann vorbei und er führt das Präsidialsystem ein.“ Das habe sie mehrfach gehört, und: „Immer wieder hört man Menschen darüber diskutieren, dass die Bilder von den Demonstranten, die auf Panzer klettern, zu perfekt inszeniert wirken, dass Staatspräsident Erdogan, der von einem sicheren Ort aus das Volk zum Marsch auf die Straßen aufruft, zu gut vorbereitet wirkt.“ Die Proteste gegen den Putschversuch seien orchestriert, sagte der regierungskritische Journalist Ince auch gegenüber dem Tages-Anzeiger.
Putsch-Prophet Herrmann meinte übrigens in der Online-Ausgabe der FAZ vom 16. Juli zum gescheiterten Putsch-Versuch, dass dabei „eine Menge Fehler“ gemacht wurden, weshalb er scheitern habe müssen: „In der Nacht auf Samstag deutete jedoch vieles schon früh darauf hin, dass dieser Versuch nicht generalstabsmäßig geplant sein konnte und daher scheitern musste.“ Das Vorgehen der Putschisten „war … derart plump, dass es Zweifel an der Professionalität der zweitgrößten Armee der Nato weckte.“ Und Herrmann meinte: „Ein entscheidender Unterschied zu früheren Coups ist zudem, dass in der türkischen Gesellschaft kaum jemand Partei für die Putschisten ergriffen hat.“ Und fügte hinzu: „Nie aber haben die Generäle das Land demokratischer und freier gemacht. Groß bleibt daher der Zweifel an den politischen Absichten und Zielen der Armee.“ Ohne Hinweis auf seinen Beitrag vom 27. Mai schrieb der Autor nun: „Zivile Fachleute in Ankara, die sich mit der türkischen Armee auskennen, bestätigen seit Monaten, dass die Unzufriedenheit in der Armee zunehme. Wiederholt hatte das Wort von einer möglichen bevorstehenden ‚Meuterei‘ die Runde gemacht, nicht aber von einem Putschversuch. Der Generalstab sah sich denn auch zu einer Erklärung veranlasst, dass in der Türkei kein Coup mehr stattfinden könne.“
Wie auch immer: Auch der Westen dürfte damit zufrieden sein, denn der vermeintliche Widerstand in der Bevölkerung gegen den Putschversuch zeigt ja die anscheinende Unterstützung für Erdogan. Wer will dagegen schon was sagen und noch daran zweifeln, dass in der Türkei alles demokratisch zugeht? Damit dürften es auch Kritiker der westlichen Unterstützung für Erdogan schwerer haben. Obama, Merkel und wie sie alle heißen, werden die Politik des türkischen Präsidenten sicher weiter unterstützen. Nur manchmal werden sie ihn vielleicht doch wieder an 1980 erinnern … Die Frage, wem der Putschversuch vom 15. Juli tatsächlich nützte, bleibt weiter zu stellen, aber auch die der Süddeutschen Zeitung von vor drei Jahren, ob ein Militärputsch manchmal notwendig sein kann. Wer darüber redet, sollte Beispiele wie die „Nelken-Revolution“ 1974 in Portugal, als Soldaten der "Bewegung der Streitkräfte", der Movimento das Forças Armadas (MFA), das faschistische Salazar-Regime stürzten, nicht außer acht lassen. Aber die Zeit des damaligen Aufbruches in Portugal währte nur kurz, was auch nicht vergessen werden darf. Die dafür sorgten, dass die porutgiesischen Nelken der Hoffnung schnell verblühten, setzen auch heute wieder und weiter ihre Interessen durch, nach allen Regeln der Demokratie, aber wenn nötig auch mit Putsch und Diktatur und auch mit Islamisten.
Kommentare 31
danke und gerne gelesen.
und zu ihrer frage "wem der Putschversuch vom 15. Juli tatsächlich nützte? eine vorläufie antwort von gudrun harrer:
"Die "Cui bono"-Frage – wem nützt es – ist nach dem Putschversuch in der Türkei in diesem Moment ganz eindeutig zu beantworten: Präsident Tayyip Erdogan hält in triumphalistischer Manier überhaupt nicht hinter den Berg damit, dass er nun aufzuräumen gedenkt und hat ja auch schon damit begonnen. " (Der Faktor Dummheit)
bytheway: ich habe mir auch gedanken über die anderen (perspektivwechsel) "Kaputschisten" gemacht ....
Danke für den Hinweis auf Harrers Kommentar. Wenn ich auch über manche Aussage darin diskutieren würde, gebe ich ihr in einem recht, nämlich wenn sie am Ende festellt: "Und wie das alles wirklich ausgeht, ob Erdogan am Ende wirklich als Sieger übrig bleibt, wird man erst später sehen."
* * * * * Danke für den Beitrag!
Mercie, diese Gedanken (Stichwort "Nelkenrevolution") sind bedenkenswert.
lesenswert von peter schaber in jw:Das Geschenk Allahs.
bei der gelegenheit ein durchaus aktueller artikel von schaber, der ebenso lesenwert ist (passend zu der möderischen attacke in nizza):Die westliche Trauergemeinde
Die Live-Berichte der TV-Medien, die journalistische Aufarbeitung des Vorfalls und der Einzelsituationen haben bei mir eigentlich nur ein Bild bestätigt. Daß einer hilflosen deutschen Medienlandschaft in sehr weiten Teilen, die, um es mal etwas neutraler auszudrücken, den Eindruck vermittelte von hilflos Alleingelassenen. Ob das nun von vorauseilendem Gehorsam, dem das Element der Gehorsamkeit fehlte, oder dem Gehorsam, dem das Element des Vorauseilens mangels Selbstständigkeit des Denkens wegbrach, sei dahingestellt.
Es gibt ja zum Glück noch eigene Infokanäle und internationale Nachrichtensender mit Qualitäten des Bewertens und Analysierens. Daß sich Politiker in solchen Momenten vorsichtig ausdrücken ist normal. Daß sie lieber den Mund halten sollten statt die Wortstanze anzuwerfen nicht mehr Usus
Den Bock hatte SPD-Schulz abgeschossen, der bräsig und nichtssagend nach dem Putschende verkündete, daß nun das Recht wieder herrsche. Kurze Zeit später wurden fast 3000 Richter, Anwälte und sonstige Personen verhaftet. Auch die Zahl der Übergriffe seitens eines wildgewordenen Mobs steigt inzwischen.
Quod erat vorrauseilend demonstrandum, Schulz?
Irgendwie staune ich, dass es in unseren Medien erstaunlich schnell ging mit zweifelnden (bzgl. Putschhergang und -entstehung) und mahnenden Stimmen hinsichtlich der Folgen und des Triumphes Erdogans.
Der Putschversuch kam alles andere als überraschend für Erdogan. Ich unterstelle, er hat ihn geschehen lassen; gerade so lange, dass es dramatisch genug wurde, um als strahlender Sieger daraus hervorzugehen.
Was die "Experten" angeht ... nunja ...
"... gerade so lange, dass es dramatisch genug wurde ..."
Nennt man das im Fußball nicht Abseitsfalle?
Die außenpolitische Zweideutigkeit Ankaras konnte auch nicht ewig weitergehen. Solange sich die Türkei nicht zum Eingreifen in Syrien drängen lässt, ist der Rest Beiwerk bzw. Kollateralschäden. Die anstehenden Säuberungen werden brutal sein, aber die Alternative wäre noch weitaus schlimmer.
Jaa ... könnte man damit vergleichen. Fussballmetaphern sind ja in der Politik tatsächlich sehr beliebt geworden.
Was hier aber noch als sehr krasses Moment hinzukommt: Erdogan hat ja den Putschversuch sofort als "Geschenk Gottes" bezeichnet. Man muss sich mal überlegen, wie zynisch das ist! Da sind bald 200 Leute umgekommen, weit über 1000 verletzt! Der nimmt überhaupt kein Blatt vor den Mund und die Leute feiern ihn trotzdem. 'Sie haben auf deine Mutter geschossen, deinen Vater, auch deine Brüder und Schwestern ... - sie werden die höchste Strafe ...' na usw. Pathos, Märtyrertum. Ja, das wollen die Leute.
"strahlender Sieger"
da könnte durchaus demnächst etwas strahlen. in incirlik sind einige Atomwaffen stationiert.
lesenswert von flassbeck:
Nach einem solchen Attentat kann kein Politiker an einem Mikrophon vorbeigehen, ohne zu sagen, wie wichtig die „freiheitliche Gesellschaftsordnung“ ist und dass wir sie mit Zähnen und Klauen und offenem Krieg gegen den Terror verteidigen werden. Wann wird der erste sagen, dass wir auch die Gesellschaft der Gleichen verteidigen wollen oder dass uns die Brüderlichkeit ganz besonders am Herzen liegt?Keine Frage, die freiheitliche Gesellschaft in Europa, in Amerika und in den meisten Entwicklungsländern ist zu einer Gesellschaft der Ungleichheit und der Unbrüderlichkeit verkommen. Es interessiert diese Gesellschaft nicht, wie viele Menschen zu Hause und in der Welt auf Dauer bettelarm sind und jede Lebensperspektive verlieren. Es interessiert diese Gesellschaft
Obama, Merkel und wie sie alle heißen, werden die Politik des türkischen Präsidenten sicher weiter unterstützen. stimmt und auch gleichgülig ob eine militärische oder zivile diktatur in der türkei herrscht:
"Eine Militärdiktatur wäre da keine gute und sicherlich keine nachhaltige positive Lösung. Fakt ist aber auch, dass ein offensichtlich zumindest halb inszenierter Militärputsch nicht unbedingt eine vertrauensbildende Maßnahme ist. Ich sehe aber nicht, dass daraus eine nachhaltige Vertrauenskrise innerhalb des Bündnisses erwachsen könnte. Dazu ist die Türkei strategisch einfach zu wichtig für den Westen.(hier:„Ich glaube, das war zum Teil inszeniert“)
und vorm sprung ins bett, der gute spannienkenner ralf streck: Türkei: Putsch oder Inszenierung?Es drängen sich Parallelen zum letzten Putsch in Spanien 1981 auf, der zur Absicherung der Monarchie diente
apropos spanien (eigenwerbung, perdon...aber gegen das geschichtsvergessen kenne ich nix):Der Militärputsch in Spanien. lichtblickkinoplakatt bitte beachten!
Bedenkenswertes und Nachdenklichmachendes zur Rolle der USA war auch hier zu lesen:
Politico.com, 16.7.16: "Did Obama get Erdogan wrong?
'You have to deal with the Turkey you have, rather than the one you'd like to have,' a former U.S. ambassador says.
A few months before Friday’s attempted coup in Turkey, pro-government media outlets there published reports that the United States was actively plotting to depose Turkish President Recep Tayyip Erdogan. Things came to a head at a State Department briefing in late March, when a Turkish reporter confronted spokesman John Kirby with the rumor: “Does the U.S. government try to overthrow the Erdogan government?” he asked.
Kirby called the question ridiculous and refused to dignify it with an answer. There was no evidence to the charge. And when Turkey’s military actually did move against Erdogan on Friday, the Obama administration swiftly condemned the action.
That doesn’t mean Obama has any love for Turkey’s longtime leader. Though he once saw him as a potential role model for Muslim leaders, Obama now considers Erdogan a thuggish autocrat who threatens Turkey's democracy almost as much as the generals who tried to overthrow him. But Obama also understands that he's stuck with Erdogan, a NATO partner he must deal with on critical security issues like the Islamic State and Syria. "You have to deal with the Turkey you have, rather than the one you'd like to have," said James Jeffrey, a former U.S. ambassador to Turkey under Obama. ..."
Zuvor bei Counterpunch.org, 24.2.16: "Regime Change in Ankara? More Likely Than You Think
... We continue to believe that the US-Kurdish (YPG) alliance does not really advance US strategic interests in Syria. The US is not interested in Kurdish statehood nor do they care if jihadist militias control the northern quadrant of Syria’s border-region. The real purpose of the US-YPG alliance is to enrage Turkey and provoke them into a cross-border conflict with the Russian-led coalition. If Turkey deploys ground troops to Syria, then Moscow could face the quagmire it has tried so hard to avoid. Turkish forces would serve as a replacement army for the US-backed jihadists and other proxies that have prosecuted the war for the last five years but now appear to be in full retreat.
More importantly, a Turkish invasion would exacerbate divisions inside Turkey seriously eroding Erdogan’s grip on power while creating vulnerabilities the US could exploit by working with its agents in the Turkish military and Intel agency (MIT). The ultimate objective would be to foment sufficient social unrest to incite a color-coded revolution that would dispose of the troublemaking Erdogan in a Washington-orchestrated coup, much like the one the CIA executed in Kiev.
It is not hard to imagine Obama secretly giving Erdogan the greenlight, and then pulling the rug out from under him as soon as his troops crossed over into Syria. A similar scam was carried out in 1990 when U.S. Ambassador to Iraq, April Glaspie, gave Saddam Hussein the nod to invade Kuwait. The Iraqi Army had barely reached its destination before the US launched a massive military campaign (Operation Desert Storm) that forced Saddam to speedily withdraw along the infamous Highway of Death where upwards of 10,000 Iraqi regulars were annihilated like sitting ducks in a vicious and homicidal display of American firepower. That was the first phase of Washington’s plan to overthrow Saddam and replace him with a compliant Arab stooge.
Is the same regime change trap now being set for Erdogan? ..."
Auf deutsch hier in der Luftpost
Und aus einer alles anderen als linken Ecke dazu: Michael Rubin am 21.3.16 im Blog des neokonservativen „American Enterprise Institute“: "Could there be a coup in Turkey?
The situation in Turkey is bad and getting worse. It’s not just the deterioration in security amidst a wave of terrorism. Public debt might be stable, but private debt is out-of-control, the tourism sector is in free-fall, and the decline in the currency has impacted every citizen’s buying power. There is a broad sense, election results notwithstanding, that President Recep Tayyip Erdoğan is out-of-control. ..."
Beachtenswertes war auch 2013 in der Österreichischen Militärischen Zeitschrift zu lesen: "... Ein Blick auf die Landkarte erklärt die besondere geopolitische Lage der Türkei und warum sie so wichtig für die westliche Energieversorgung ist. Die Türkei liegt mitten in der „Energie-Ellipse“ (Naher Osten/Zentralasien), in der ein Großteil der weltweiten Gas- und Ölreserven lagern. Die Trassen von den wichtigsten Förderländern zu den wichtigsten Verbraucherländern führen zwangsläufig über die Türkei, wenn man Russland und Iran umgehen will. Mit jeder weiteren Pipeline stärkt die Türkei ihre Position als Energiekorridor.
Um ihre Bedeutung als Transitland für Europas Gasversorgung und die Ölversorgung der USA zu festigen, unterstützt die Türkei im internationalen Verbund Pipeline-Projekte in die Fördergebiete Nahost- und Zentralasiens.[18]) Tendenz steigend! Aufgrund ihrer geopolitischen Lage ist die Türkei an fast allen Pipeline-Projekten - mittelbar oder unmittelbar - beteiligt, ob amerikanisch, europäisch oder russisch.[19]) Im Wettstreit zwischen South Stream und Nabucco-Pipeline hat Ankara sogar eine Schlüsselposition. Die Türkei ist aber nicht nur ein Drehkreuz für „Gas- und Ölpipelines“, vielmehr kann die Energieversorgung unschwer mit der „Wasserversorgung“ verbunden werden. Denn wer vitale Versorgungslinien planen und sichern möchte, muss neben Gas- und Ölpipelines auch die „Fernwasserleitungen“ in die geopolitische Gesamtbetrachtung einbeziehen. Hierbei spielt das GAP-Projekt eine zentrale Rolle. ..." Und unsichere Kantonisten und Unruhestifter in Ankara gefährden westliche Interessen ... Warum sollte es einem Möchtegern-Sultan da anders ergehen als anderen Gefährdern westlicher Interessen? Und oft schon wurden selbst Islamisten vom Westen als nützliche Idioten für einen gewünschten Regimewechsel unterstützt. Die lassen sich ja danach wieder bekämpfen ...
So erging es ja einem anderen früheren US-Verbündeten: "US-Präsident betont Wille zum Regimewechsel". Das war allerdings 2003 und das Ziel war Saddam Hussein im Irak ...
Das klingt doch in dem Zusammenhang auch nicht uninteressant, ist aber schon von 2011: "Zumindest scheint sich eine “neue” Türkei herausgebildet zu haben, die sich durch ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung, Trotz und Arroganz auszeichnet, schreibt der EU-Abgeordnete Elmar Brok (EVP) in einem Standpunkt auf EurActiv.de. Die EU brauche indes eine neue Türkei, die sich wieder auf alte Werte und Leitlinien ihrer Außenpolitik besinnt. ..."
Wie auch immer, bedenkenswert ist das, aber es kann natrülich alles auch ganz anders sein ...
Ulli Gellermann hat auf seiner Rationalgalerie am 16.7.16 noch Bemerkens- und Bedenkenswertes beigesteuert: "Türkei-Putsch nicht ohne USA"
"Niemand will in der Türkei einen Putsch!", April 2016:
Die Türkei vor einem Putsch?
Der Tagesspiegel:
Nach dem Putschversuch in der Türkei "Alle waren überrascht"
Auszug: Wird die Todesstrafe wieder eingeführt?
Die Sondersitzung des Parlaments am Samstag hat Lea Nocera aber sehr beunruhigt. Mehrere Abgeordnete hätten die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert, berichtet Nocera. Am Sonntag deutete auch Erdogan selbst an, dass gegen die Putschisten die Todesstrafe angewendet werden könnte. Der Generalsekretär des Europarates Thorbjørn Jagland kritisierte das scharf. Dem Tagesspiegel sagte er: "Kein Mitgliedsstaat des Europarates darf die Todesstrafe anwenden. Das ist eine Verpflichtung unter dem Statut des Europarats. Die Türkei hat beide Protokolle, Nummer 6 und 13, ratifiziert, mit der die Todesstrafe unter allen Umständen abgelehnt wird." Die 47 Mitgliedsstaaten des Europarates hatten 1983 entschieden, die Todesstrafe abzuschaffen und dieses Bekenntnis 2002 um den Zusatz "unter allen Umständen" ergänzt.
Die Regierung in Ankara selbst sprach am Samstag von 104 während der Auseinandersetzungen bereits getöteten Putschisten. Offenbar gab es auch Fälle von Lynchjustiz. Demonstranten haben offenbar mehrere Soldaten zu Tode geprügelt.
Auch bei dem Thema gilt wie gehabt: Danke für jeden weiteren Hinweis und jeder weiterführende Info
Politiker.Innen pflegen vergesslich zu sein; besonders nach einer Wahl fällt denen (alternativlos) nicht mehr ein, wer sie gewählt hatte.
Darum ist die Sammlung im Archiv wichtig für die nächste Wahlentscheidung ==> 2017
Griechenland-Türkei: Diplomatisches Dilemma
Mehmet Celebi
Stellv. Vorstandsvorsitzender Zentralrat der Muslime in Deutschland
"Auch Möchtegern-Humanisten und Demokraten aus türkischen Reihen haben sich teilweise mit den Putschisten, die mehr als 100 Zivilisten getötet haben, solidarisiert bzw. keine Gelegenheit ausgelassen, ihr eigenen Volk zu verschmähen. Die Spreu hat sich vom Weizen getrennt und die Masken sind gefallen. Das türkische Volk vergisst auch diejenigen nicht, die sich in schwerster Stunde heimtückisch gegen das Volk gestellt haben. Das Blut der unschuldigen Menschen klebt auch an euren Händen.
An alle die sich auf eine Türkei unter Militärdiktatur gefreut haben: das Volk hat gesiegt. Jeder, der nur im leisesten Mitgefühl für die Putschisten hat: bitte entfernt mich aus eurer Freundschaftsliste.
Mit Allahs Hilfe beginnt heute eine neue Ära."
http://www.huffingtonpost.de/mehmet-celebi/tuerkei-militaerputsch-das-volk-hat-gesiegt_b_11030126.html
Demnach sind die Putschisten von Incirlik aus mit Versorgungsflügen unterstützt worden.[11] Gestern sind der Kommandeur der Luftwaffenbasis, General Bekir Ercan Van, und weitere dort stationierte Militärs wegen Beteiligung an dem Putsch festgenommen worden.
„Die Spreu hat sich vom Weizen getrennt und die Masken sind gefallen.
Falls Erdogan diesen Putschversuch inszeniert haben sollte, war auch das seine Intention. „Schaun wir mal, wer da mit macht ...“
Die Oppositionellen sind da weitestgehend nicht drauf reingefallen. Sind nun aber aus Angst, Opfer der 'Säuberung' zu werden verstummt. Tragisch für die, die auf den umfangreichen Erdogan-Feind-Listen stehen. Die werden dennoch kaum entkommen können.
Interessant, dass auch die nach Griechenland geflohenen Soldaten steif und fest behaupten, sie wären nicht in die Putschpläne eingeweiht gewesen, sie hätten lediglich Befehlen Folge geleistet und hätten nun um ihr Leben zu fürchten.
Die Annahme, man könne mit ca 1000 Soldaten, die nicht wissen, worum es in ihrem Einsatz eigentlich geht, die Macht im Staate übernehmen, ist vollkommen absurd. Insofern erledigt sich auch ein Verdacht, die USA könne da in irgendeiner Weise involviert gewesen sein
.
„Mit zehn Panzern, 1000 Soldaten, sechs Kampfflugzeugen und zwei Hubschraubern könne man keinen Putsch machen, stellt der Militärexperte Mehmet Tezkan von der Zeitung "Miliyet" fest. "Es war von Anfang an hoffnungslos.“
Tagesschau.de
Hallo fro, hier ein interessanter Beitrag von Schaber in lowclassmagazin
Drei Theorien gibt es bislang, woran es gelegen haben könnte, dass der Putsch so unprofessionell blieb. Die erste besagt: Er sei eine Inszenierung Erdogans gewesen, um seine eigene Macht ausbauen zu können. Der Hashtag #darbedegiltyatro (kein Putsch, sondern ein Schauspiel) trendet seit Tagen. Diese Einschätzung kann an vielen tatsächlichen Fakten anknüpfen. So ist es sicherlich erstaunlich, wie schnell Erdogan zu wissen vorgab, wer hinter dem Staatsstreich steht. Und die Listen, die den tausenden Verhaftungen zugrunde liegen, die auf den gescheiterten Coup folgten, sind sicher auch nicht erst Samstag Nacht erstellt worden. Aber: Die Inszenierungstheorie kann nicht erklären, aus welcher Motivation heraus sich doch recht zahlreiche hochrangige Militärs für so ein Schauspiel zur Verfügung stellen sollten, das für sie nun mit Folter und lebenslänglicher Haft, wenn nicht mit der Hinrichtung endet.
Das Problem scheint mir zu sein, dass immer wieder geglaubt wird, was aus der Türkei von Regierungsseite verlautbart wird. Die verhafteten Generäle haben nichts mit dem Putsch zu tun, oder wurden reingelegt – das wäre ja auch möglich. Und es wurden bisher so viele Generäle und Offiziere verhaftet, da fragt man sich, wo waren denn diese und vor allem deren Untergebene während des Putschversuchs eigentlich.
Nur damit es nicht übersehen wird, auch wenn es vielleicht ein Irrtum ist: Der US-Publizist Michael Collins hatte im Februar 2016 auf The Saker die Konflikte zwischen der US-Administration und der Türkei unter Erdogan beschrieben und kommt zu dem interessanten Schluss: "Erdogan is already doomed. He just doesn’t know it." Vielleicht war Erdogan diesmal nicht ganz unwissend und nur etwas schneller. Alles ist möglich, wenn ein solcher Putschversuch als so "überraschend" dargestellt wird.
Dazu passt auch das noch, was Finian Cunningham schon 2014 schrieb, nämlich dass Erdogan den USA nicht traut, auch weil er weiß, dass diese ihren "Verbündeten" auch mal das Messer in den Rücken rammen, wenn sie sie nicht mehr für nötig halten: "Erdogan is holding back because deep down in his mutual Machiavellian mindset he knows that the US cannot be trusted. He could be left stuck in a deadly Syrian quagmire if the treacherous Americans were to stab him in the back, as they are prone to doing eventually with all their client regimes."
Wem ist bei all dem schon zu trauen?
Moral ist teilbar
Unisono tönt es durch den Europarat und die ganze EU, daß die Türkei keine Todesstrafe einführen darf. Sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen, wird für alle Europäer eine Rote Linie überschritten.
So weit, so gut.
Trotzdem verhandelt die EU-Kommission weiter das TTIP-Abkommen mit den USA um den Beitritt zur Freihandelszone EU, obwohl die USA die Todesstrafe nicht abgeschafft haben und auch gar nicht daran denken.
Hier noch etwas Doku:
Türkei nach Putschversuch: Wer sind die Putschisten und was sind die Motive?
Die Türkei am Wendepunkt: Der Kemalismus ist am Ende
Pensionsfond OYAK der Türkischen Streitkräfte