Etwas Selbstkritik, aber wenig Tiefgang

Medien/"Lügenpresse" Der jüngste "Mainzer Mediendisput in Berlin" bot wenig Neues, aber interessante Einblicke in die Sicht der Journalisten auf die Glaubwürdigkeitskrise der Medien

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Dem Vorwurf der „Lügenpresse“ würde er widersprechen, aber es gebe „weiße Flecken“ in der Berichterstattung der Medien, auch der öffentlich-rechtlichen. Das gestand ein Journalist aus dem ARD-Hauptstadtstudio am 2. März beim „Mainzer Medien Disput in Berlin“ ein. Der Insider betonte, dass Weglassen „auch nicht besser“ sei und nannte als eines der Beispiele dafür die „frevelhafte“ Berichterstattung über den jüngsten Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu in Berlin. Die sei so unkritisch wie schon lange nicht mehr gewesen, wie überhaupt das Thema Naher Osten und der Konflikt zwischen Israel und Palästina sehr unkritisch und einseitig dargestellt werde.

Das war noch einer der interessantesten Beiträge der Veranstaltung, der allerdings erst in der Diskussion aus dem Publikum heraus kam. Leider konnte ich den Namen des Journalisten nicht richtig verstehen, da der Saal so voll war und ich nur die Übertragung im Vorraum verfolgen konnte.

Eigentlich sollte es um das Thema „Wie kommt das Neue in den Journalismus?“ gehen. Aber Moderator Thomas Leif, einst investigativer Journalist, gab seinen sechs Gesprächspartnern viel Raum zur Selbstdarstellung. So wurde es erst in der zweiten Hälfte etwas spannend, als endlich danach gefragt wurde, was die im Podium sitzenden Journalisten und Medienvertreter denn zur Glaubwürdigkeitskrise der etablierten Medien sagen. Das eigentlich angekündigte Thema spielte an dem Abend fast keine Rolle. Spannend an den Antworten war eher, mitzuerleben, wie wenig da kam. Susanne Beyer, stellvertretende Chefredakteur des gedruckten Spiegel, sah „gute Zeiten für den Journalismus“. Aber die Journalisten müssten sich auch selbstkritisch fragen, ob sie den Kontakt zur Lebensrealität der meisten Menschen noch haben. Und sie sollten mehr davon erzählen, welche Mühe sie sich geben beim Nachrichtenmachen und Berichten.

Der neue Taz-Chefredakteur Georg Löwisch gab sich „nicht depri“ und erinnerte daran, dass seine Zeitung die letzte Abo-Rettungskampagne vor 15 Jahren gestartet hatte. „Wir sind es gewohnt, zu missfallen und stehen schon immer unter Druck von verschiedenen Gruppen.“ Die Taz wolle auch gar niemand gefallen, so Löwisch, der das Blatt unter seiner Regie tatsächlich als ein linkes bezeichnete.

Weniger optimistisch zeigte sich zumindest Medienkritiker Stefan Niggemeier vom Onlineportal www.uebermedien.de. Er beschrieb nicht nur die Gefahr, dass publizistische Ansprüche immer geringer würden. Diejenigen, welche die etablierten Medien als „Lügenpresse“ bezeichneten, seien zum einen jene, die schon lange diese nicht mehr nutzten. Die anderen Gruppe wären kritische Leser und Nutzer, die enttäuscht seien von den Medien und sich nicht gut genug informiert fühlen. Diese müssten „zurückgewonnen“ werden. Zugleich gebe es neben den Journalisten, die an dem, was sie tun, zweifeln, jene, die die aktuelle Kritik gerade als Begründung für das „Weiter so“ nähmen.

Er nehme den Vorwurf der „Lügenpresse“ und die Kritiker ernst, zählte sich Jörg Quoos, Chefredakteur der Berliner Zentralredaktion der Funke Medien Gruppe (ex-WAZ-Konzern) zur ersten Gruppe auf Seiten der Journalisten. Auch er unterschied zwischen der „Fundamentalopposition gegen die Vielfalt der Medien“ und den „emanzipierten Lesern“. Aber Quoos meinte: „Wir lügen nicht! Ich kenne keinen in den Medien, der bewusst lügt.“ Zwar gestand er ein, dass Journalisten ihre zum Teil oberlehrerhafte Art ablegen müssten. Um aber später für seine Redaktion klarzustellen: „Wir berichten, was ist“. Das sei der Fall, wenn in der Ukraine Russland sich ein Land einverleibe, genauso wie beim Tsunami. „Wir müssen gut sein und an der Qualität arbeiten“, fügte er hinzu. Er merkte nicht. dass er kurz zuvor mit dem Hinweis auf die Ukraine und Russland ein Beispiel für eines der grundlegenden Probleme bundesdeutscher Medien und Journalisten gab: Vorgefertigte Meinungen, die die Berichterstattung färben und auch zum Weglassen von Tatsachen und Zusammenhängen führen, auch zum Verdrehen derselben. Journalisten würden zunehmend Meinung mit Nachricht vermischen, wurde aus dem Publikum heraus kritisiert.

Das Misstrauen sei normal, hieß es später aus dem Publikum: „Leute, die ich nicht kenne, erzählen mir etwas über Ereignisse, bei den ich nicht dabei gewesen bin.“ Journalisten seien Boten, aber die Frage sei, welche Botschaften sie überbringen. Taz-Chefredakteur Löwisch setzt seinen Worten nach gegen die Glaubwürdigkeitskrise u.a. darauf, dass die Leser die Leidenschaft der geringer bezahlten Redakteure seines Blattes spürten. Spiegel-Vizechefredakteurin Beyer beklagte die zunehmend geringer werdenden Ressourcen und fehlende Mittel für Recherche bei vielen Medien. Ihr Magazin wolle sich aber weiter leisten, z.B. wie nach den Anschlägen in Paris im November 30 Redakteure vor Ort zu schicken. Medienkritiker Niggemeier beschrieb als Problem neben der Nähe von Eliten und Journalisten und dabei nicht eingehaltenen Grenzen den Herdentrieb bei Medien, der alle in eine Richtung führe, was aber oft vom Publikum belohnt und gewollt wäre. Die Berichterstattung zu Griechenland sei ein Beispiel dafür.

Ach ja, außer der Geschäftsführerin der ARD-Tochterfirma für Spielfilme Degeto, Christine Strobl, saß auch noch der Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Arlt neben Moderator Leif. Er meinte, dass der Journalismus in der Bundesrepublik nie „so vielfältig und gut wie heute“ gewesen sei. Ansonsten kam er mit seiner ausführlichen Warnung, dass Aufmerksamkeit zu erreichen wichtiger geworden sei als die Informationsvermittlung, nicht ganz zum Zuge. An dem Abend wurde noch mehr gesagt, auch aus dem Publikum heraus. Aber nicht alles kann in einem solchen Text wiedergegeben werden. Vielleicht wird ja von der mitveranstaltenden Otto-Brenner-Stiftung ein Mitschnitt online gestellt.

aktualisiert: 17:45 Uhr

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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