Fragen und Anmerkungen zu Reyhanli

Syrien/Türkei Bei den Anschlägen im türkischen Reyhanli wurden die Attentäter ganz schnell gefunden, die für Assad gebombt haben sollen. Alles Zufall oder alles Lüge?

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Es scheint alles klar, zumindest für die türkische Regierung: Die beiden blutigen Anschläge in Reyhanli wurde von Terroristen begangen, die mindestens Verbindungen zum syrischen Geheimdienst hatten. Neun Mitglieder der "Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front" (DHKP-C) sowie einer Splittergruppe der "Türkischen Volksbefreiungspartei-Front" (THKP-C) wurden verhaftet, die angeblich bisher von Damaskus unterstützt wurden. Das scheint neben syrischen Nummernschildern an den Bombenautos zu den Grundlagen für die Vermutung zu gehören, dass sie bei ihrer mutmaßlichen Tat vom syrischen Geheimdienst unterstützt wurden. So wird es auch von bundesdeutschen Medien-Mainstream wiedergegeben, voran Spiegel online. Dort wird die offizielle türkische Version von den Bombenlegern übernommen: „‘Die syrischen Geheimdienste und ihre bewaffneten Organe sind die üblichen Verdächtigen, die hinter solch teuflischen Plänen stecken‘, sagte der stellvertretende Regierungschef Bülent Arinç in Ankara.“ Und so wurde auch flugs „Assads türkischer Milizen-Chef“ Mihraç Ural vorgestellt. Dessen Gruppierung Aciciler, die der DHKP-C zugerechnet wird, wird verdächtigt, für die Bomben mitverantwortlich zu sein. Die Meldungen über die Verhaftungen der Mitglieder der vermeintlich marxistisch-lenisnistisch orientierten Splitterpartei kamen in den deutschen Medien erst nach dem Ural-Porträt von Spiegel online von 12. 51 Uhr am 12. Mai 2013, zum Beispiel bei der Süddeutschen online 15.40 Uhr. Aber der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hatte ja zuvor schon klargestellt, „der Anschlag trage die Fingerabdrücke der Verantwortlichen des Massakers in der syrischen Stadt Banias“, zu denen eben Ural gehören soll.

Zweifel oder Fragen zu der vermeintlichen syrischen Verantwortung für die Anschläge sind selten, warum auch, wenn alles mal wieder so eindeutig scheint. Dabei sind in dem Fall Reyhanli Zweifel und Fragen angebracht. Das scheint zumindest Frank Nordhausen von der DuMont-Redaktionsgemeinschaft ähnlich zu sehen. Sein Text vom 13. Mai 2013 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau beginnt so: "Der türkische Geheimdienst weiß bereits seit Mitte April von Anschlags-Plänen, berichtet eine Boulevardzeitung. Jetzt verhängt die türkische Regierung eine Nachrichtensperre. Alles nur Zufall?“ Am Ende des Beitrages erklärt er das genauer: „Am späten Samstagabend verhängte die türkische Regierung eine Nachrichten- und Fernsehsperre über die Region Hatay. Kommentatoren stellten im Fernsehen einen möglichen Zusammenhang her mit einem Bericht der Hürriyet, wonach der türkische Geheimdienst MIT am 23. April detailliert über Pläne eines Anschlags in der Türkei unterrichtet worden sei, diesen aber nicht angemessen nachgegangen sei.“ Laut Hürriyet vom 13. Mai 2013 spricht der türkische Innenminister Muammer Güler in dem Zusammenhang von einer "Sicherheitslücke", die ausgewertet werden soll.

Online sind kaum weitere deutsche Mainstream-Medien zu finden, die diese Information aufgegriffen haben. Dabei wäre das doch eine interessante Frage, wie das dazu kommt, dass der türkische Geheimdienst vorher Bescheid weiß und warum er nichts versuchte, die Anschläge zu verhindern. War es wieder mal die reine Ahnungslosigkeit? Die aber sofort weg war, als es darum ging, verdächtige „Linksextremisten“ zu verhaften und zu präsentieren. Nicht nur diese Schnelligkeit bietet Anlass, sich zu wundern und weitere Fragen zu stellen.

Antworten zu geben ist natürlich fast unmöglich. Aber zumindest kann auf weitere Anlässe neben dem Hürriyet-Beitrag für Zweifel und Fragen aufmerksam gemacht werden. Da ist zum einen die Behauptung der türkischen Regierung: „Das Ziel des Anschlags war eine Provokation, ein Versuch, Hass auf die Flüchtlinge zu schüren“, so der türkische Vizepremier Besir Atalay laut Berliner Zeitung vom 13. Mai 2013. Reyhanli gilt als wichtigster Zufluchtsort von Flüchtlingen aus dem benachbarten Bürgerkriegsland. Die Stadt dient aber auch syrischen „Rebellen“ als Rückzugsgebiet und Logistikstandort, wie u.a. die Tageschau online berichtet. Gleichzeitig gehört die 60.000 Einwohnerstadt zur Region Hatay, die historisch zu Syrien gehörte. Arabisch sprechende Alawiten und Christen stellen die Mehrheit, denen auch Sympathie für Syriens Präsident Bashar al-Assad nachgesagt wird. Sicher führt diese Situation zu Konflikten. Aber wenn der syrische Geheimdienst versuchen sollte, in Reyhanli Attentate zu verüben, warum sind dann nicht die „Rebellen“ und die Orte, an denen sie sich treffen, ausgerüstet und geführt werden, das Ziel? So die bewaffneten Gruppen zu bekämpfen, wäre effektiver und logischer statt des angeblichen Versuches, mit Bomben auf offener Straße vor öffentlichen Gebäuden, Stimmung gegen die Flüchtlinge und die Politik der türkischen Regierung zu machen. Die eingesetzten Autobomben würden dagegen die Gefahr bergen, dass die einheimische Bevölkerung die Sympathie für Assad verliert, wenn sich rausstellt, der syrische Geheimdienst steckt hinter Anschlägen, die Unbeteiligte töten. Oder sollte es sich bei den beiden Gebäuden in Reyhanli um geheime Kommandozentralen der „Rebellen“ handeln?

Vielleicht stimmt an den Behauptungen der türkischen Regierung zumindest, dass ein Geheimdienst seine Hände im Spiel hat. Auf Informationen, dass der türkische Geheimdienstes MIT vorher von den Anschlägen gewusst haben soll, habe ich schon hingewiesen. Ich halte es für bedenkenswert, dass er verschiedenen Berichten zufolge auch mit der DHKP-C, der einige der vermeintlichen Attentäter angehören sollen, in Verbindung stehen könnte. So berichtete u.a. der Focus 2004 über einen enttarnten türkischen Doppelagenten: „Hüseyin H. hatte im Auftrag des türkischen Geheimdienstes von Deutschland aus einen Waffentransport für die Terrorgruppe DHKP-C mitorganisiert. Seine Befehle erhielt H. aus dem türkischen Generalkonsulat in Mainz (FOCUS 11/03)“. Der Mann habe auch noch für den rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz gearbeitet. Von dem folgenden Prozess in Stuttgart-Stammheim berichtete 2009 Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff, dass „die Ermittlungsakten zahlreiche Hinweise enthalten, dass der MIT die Fahrt des H. angeleitet hat und H. als »agent provocateur« tätig war“. Deutschland ist ein zentrales Operationsfeld des türkischen Geheimdienstes MIT, so schon 1999 ein Bericht der Zeitschrift geheim. Zehn jahre später eine weitere Bestätigung: Im Prozess gegen die sogenannte Sauerland-Gruppe 2009 kam laut stern raus, dass der zur Gruppe gezählte Mevlüt K. spätestens seit 2002 V-Mann des türkischen Geheimdienstes war . „Nach Recherchen des stern schreibt das Bundeskriminalamt (BKA) dem türkischen V-Mann eine entscheidende Rolle bei der Planung eines der größten Terroranschläge in Deutschland zu. Er sei der "zentrale Ansprechpartner" für die Beschaffung von 26 Sprengzündern gewesen.“

Die angeblich linksextremistische DHKP-C verkündet, den türkischen Staat bekämpfen zu wollen. Interessant ist, wer sie dazu befähigt hat: Die heutige DHKP-C sei fast zur Gänze von Mitgliedern der türkischen Armee ausgebildet worden, berichtete das Deutsch-Türkische Journal am 14. Februar 2013. Das sei „eine der schockierenden Wahrheiten, die sich im Zuge des Ergenekon-Prozesses herausgestellt hatten. Und sie wurden immerhin durch einen Insider bestätigt – nämlich vom geheimen Zeugen İsmet, der jahrelang im Namen der Dev-Sol und der DHKP/C gearbeitet hat und mit brisanten Aussagen zur Aufklärung des Falles beigetragen hatte.“ Bei dem Ergenekon-Prozess ging es um ein Netzwerk von türkischen Militärs und Nationalisten, das u.a. einen Putsch gegen den heutigen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan geplant haben soll (siehe auch hier). Bei „Ergenekon“ spielen auch die CIA und das NATO-Terrornetzwerk Gladio eine Rolle. Der türkische Anwalt Orhan Kemal Cengiz beschreibt "Ergenekon" als Teil von Gladio. Dieses Relikt aus dem Kalten Krieg sei in der Türkei noch immer aktiv. Es gibt mehr als ein paar Hinweise darauf, dass Ergenekon politische und radikale religiöse Organisationen provozierte, Gewaltaktionen durchzuführen, schreibt Peter Edel in einem Text über die Gladio-Strategie. Das Netzwerk war Mittel für die „Strategie der Spannung“, mit der durch vermeintlich linken Terror jegliche linke politische Alternative diskreditiert werden sollte. "Ergenekon"-Kontakte "bestanden auch zur linksextremen Stadtguerrilla DHKP/C und zur türkischen Hizbullah", schrieb Rainer Herrmann in der FAZ vom 20. Oktober 2008.

Im Zusammenhang mit dem schon erwähnten Mevlüt K. tauchen übrigens auch CIA und Gladio auf. Am 20. April 2009 schrieb Der Spiegel, "der Türke" arbeite seit geraumer Zeit "nicht nur für den Dschihad, sondern nach Angaben mehrerer deutscher Sicherheitsbehörden auch als V-Mann für den türkischen Geheimdienst, der K.s Insiderwissen mit der CIA teilt." In einem Telepolis-Bericht vom 2. Dezember 2011 heißt es: „Anscheinend stand Mevlüt Kar auch mit der amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) in Kontakt bzw. seine Hinweise wurden vom MIT an die CIA weitergegeben. … Für Mevlüt Kar blieb es aber nicht beim bloßen Auskundschaften klandestiner Terrorverbindungen im behördlichen Auftrag, vielmehr gründete er nach dem Gladio-Modell eine eigene Zelle, verriet sie aber sogleich wieder: Am 17. Februar 2003 nahm die GSG 9 die angebliche Terrorzelle aus.“

Ein ganz aktueller Fall mit möglichen Verbindungen zwischen Geheimdienst und DHKP-C ist der „Linksradikale“ Ecevit S., der sich am 1. Februar 2013 vor der US-amerikanischen Botschaft in Ankara in die Luft sprengte, wodurch ein türkischer Wachmann getötet und drei Menschen teils schwerverletzt wurden. "Die linksradikale Untergrundorganisation 'Revolutionäre Volksbefreiungsfront' (DHKP-C) hatte sich zu dem Anschlag auf die US-Botschaft in Ankara bekannt.", so die Tagesschau online zwei Tage später. „Die türkischen Sicherheitsbehörden hatten offenbar Hinweise darauf, dass Ecevit S. einen Bombenanschlag in der Türkei plante.“, meldete Der Spiegel am 9. Februar 2013.

Ich betone, dass ich keine Antworten habe, dafür angesichts solcher Informationen um so mehr Zweifel und Fragen zur offiziellen Version der Anschläge von Reyhanli. Es kann alles nur Zufall sein, aber sicher bin ich mir da nicht.

aktualisiert am 14.5.13, 9. 53 Uhr

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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