Immer mehr arbeiten für immer weniger

Niedriglohn Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist der Anteil derjenigen, die für wenig Geld arbeiten müssen, gestiegen. Das ist ein Beleg für das, was läuft: Klassenkampf.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Aus der nüchternen Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 10. September 2012: "Im Jahr 2010 arbeiteten 20,6 % aller Beschäftigten in Betrieben mit zehn und mehr Beschäftigten für einen Niedriglohn. Im Jahr 2006 lag der Anteil der Beschäftigten mit Niedriglohn noch bei 18,7 %. „Mit dieser Steigerung setzte sich ein längerfristiger Trend fort“, sagte Roderich Egeler, Präsident des Statistischen Bundesamtes, heute anlässlich einer Pressekonferenz in Berlin, auf der er Ergebnisse der Erhebung der Struktur der Arbeitsverdienste 2010 vorstellte. ...
Die meisten Beschäftigten, die 2010 einen Niedriglohn erhielten, waren atypisch beschäftigt. Zur atypischen Beschäftigung, teilweise auch als flexible Beschäftigungsformen bezeichnet, werden vier Erwerbsformen gezählt: Teilzeitbeschäftigung mit bis zu 20 Wochenarbeitsstunden, befristete Beschäftigung, Zeitarbeit und Mini-Jobs. Fast jeder zweite (49,8 %) atypisch Beschäftigte erhielt 2010 einen Verdienst unter der Niedriglohngrenze. Einen besonders hohen Niedriglohnanteil wiesen die geringfügig Beschäftigten mit 84,3 % auf. Bei Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen lag der Anteil hingegen bei 10,8 %. Als Normalarbeitsverhältnis gilt eine unbefristete Beschäftigung mit über 20 Wochenarbeitsstunden, die nicht als geringfügige Beschäftigung und nicht als Zeitarbeit ausgeübt wird. ..."

Mehr zum Nachlesen gibt es hier. Zuvor hatte schon der DGB auf die Situation aufmerksam gemacht und laut Berliner Zeitung festgestellt: "Zwei von fünf der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Vollzeitjob verdienten heute weniger als 2500 Euro brutto im Monat ... Den höchsten Anteil an schlecht bezahlten Vollzeitjobs haben dem DGB zufolge die ostdeutschen Länder. An der Spitze liegt hier Mecklenburg-Vorpommern, gefolgt von Sachsen und Thüringen und Sachsen-Anhalt. ..."

Es sind weitere Belege für den Umbau der bundesdeutschen Gesellschaft, der seit 1989 läuft, für die fortgesetzte Umverteilung von unten nach oben. Demnächst wird das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung das mit dem neuen Verteilungsbericht bestätigen. In der Ausgabe von 2011 hieß es: "Der Anteil der Gewinn- und Kapitaleinkommen am Volkseinkommen ist im ersten Halbjahr 2011 wieder deutlich gestiegen, die Lohnquote ging zurück. Damit setzt sich die langjährige einseitige Verteilungsentwicklung in Deutschland fort ..." Der langfristige Trend bleibe ungebrochen, betonte WSI-Chef Claus Schäfer. "'Die Lohneinkommen verlieren an Gewicht gegenüber den Gewinn- und Kapitaleinkommen, die überwiegend einer relativ kleinen Bevölkerungsgruppe zufließen.' Die Nettogewinnquote stieg im ersten Halbjahr 2011 auf 33 Prozent und ist damit fast wieder auf dem historischen Höchststand von 33,6 Prozent vor der Finanzkrise 2008."

Der Umbau der Gesellschaft und der Abbau des Sozialstaates wurde aber nicht erst 1989 mit dem Mauerfall begonnen, sondern schon vorher in Angriff genommen. Darauf haben die NachDenkSeiten (NDS) am 10. September 2012 hingewiesen, indem sie an das "Lambsdorff-Papier" vom 9. September 1982 erinnerten. Die darin beschriebene Linie wird seitdem fortgesetzt und auch fortgeschrieben. Der Mauerfall 1989 wirkte und wirkt nur wie ein Katalysator. Er hat der Abrißbrigade neuen Auftrieb gegeben und die Gegenkräfte geschwächt. Das Letzteres gezielt geschehen ist und auch schon vor 1989, darauf haben auch die NDS hingewisen, mit einem Beitrag vom 3. Mai 2011. Darin wird der ehemalige britische Notenbanker Sir Alan Budd mit seinen Erinnerungen an die Regierungszeit von Margaret Thatcher zitiert: "... die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war mehr als wünschenswert, um die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen. […] Hier wurde – in marxistischer Terminologie ausgedrückt – eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, die die industrielle Reservearmee wiederherstellte, und die es den Kapitalisten fortan erlaubte, hohe Profite zu realisieren.“

Es sind nüchterne Fakten, die das belegen, was einer der bekannten reichsten Menschen ganz offen zugibt: "Actually, there’s been class warfare going on for the last 20 years, and my class has won." Warren Buffett hat das vor knapp einem Jahr gegenüber CNN gesagt. Und das war nicht das erste Mal, dass er vom Klassenkampf spricht, was sich nicht mal Linkspartei-Vertreter so offen trauen: "It's class warfare, my class is winning, but they shouldn't be." (CNN, 19. Juni 2005) Damals sagte Buffett noch, seine Klasse sollte nicht gewinnen. Sechs Jahre später stellte er nur noch fest, dass sie gewonnen hat.

Gibt es wirklich keine Alternativen mehr?

aktualisiert: 17.20 Uhr

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden