Lichtenhagen 1992 und die Schreibtischtäter

Hass auf Ausländer Karsten Laske erinnert in seinem Beitrag "Katalysator Hass" an die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen 1992. An die politischen Brandstifter muss auch erinnert werden.

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Der Autor hat aus meiner Sicht Recht, wenn er in seinem Text nicht nur am Beispiel Lichtenhagen darauf hinweist, dass soziale Not und soziale Ängste oftmals dazu führen, dass die "Deklassierten" sich nicht gegen die wenden, die verantwortlich sind für ihre Lage, sondern auf die Nächstschwächeren, die noch eine Stufe unter ihnen auf der sozialen Leiter stehen, oder einfach auf die "Anderen" neben ihnen, losgehen. Das hat sich ebenfalls 1992 bei den Unruhen in Los Angeles nach dem Überfall weißer Polizisten auf den Afroamerikaner Rodney King und dem Freispruch für die Uniformierten gezeigt, als hauptsächlich asiatische Ladengeschäfte angezündet und geplündert wurden.

Doch zu solchen Ereignissen und auch Lichtenhagen 1992 gehören die politischen Brandstifter, die den Hass auf Ausländer und die "Anderen" anfeuern, weil er ihnen ins Konzept passt, auch in das Konzept der Ablenkung. Damals lief in der Bundesrepublik und schon seit Jahren eine intensive Diskussion um das Asylrecht, das rechte politische Kräfte in fast allen Parteien in der dann vereinheitlichten Bundesrepublik verschlechtern wollten, mit dem Ergebnis, dass am 26. Mai 1993 mit einer Grundgesetzänderung das Grundrecht auf Asyl weitgehend abgeschafft wurde.

Weil an die damaligen Ereignisse, ihre Ursachen und Folgen, auf vielfältige Weise erinnert werden muss, habe ich mich entschlossen, an dieser Stelle zu wiederholen, was ich schon in einem Kommentar zum Laske-Text schrieb, damit der Inhalt nicht vergessen oder übersehen wird:

Nein, die Politik war und ist nicht unschuldig am Hass auf Ausländer. Und die Wut und der Frust der "Deklassierten" ist es nicht allein, die zu so etwas wie damals in Lichtenhagen führte. Dazu gehören auch die Schreibtischtäter, die politischen Hetzer aus der Mittel- und Oberklasse.

Dazu sei aus einem Rundbrief vom 12. September 1991 des damaligen CDU-Generalsekretärs und Bundestagsabgeordneten Volker Rühe an die Parteigliederungen und-fraktionen zitiert:

"Sehr geehrte Damen und Herren,
vor dem Hintergrund der besorgniserregenden Entwicklung der Asylbewerberzahlen und der damit verbundenen Probleme hat die öffentliche Auseinandersetzung über das im Grundgesetz verankerte Asylrecht in den zurückliegenden Monaten einen neuen Höhepunkt erreicht. Die hohe Zahl der den Kommunen zugewiesenen asylbegehrenden Ausländer stellt diese vor Probleme, die mancherorts kaum noch zu lösen sind.

Der weitaus größere Teil der Asylbewerber kommt aus Staaten, in denen es politische Verfolgung nicht oder inzwischen nicht mehr gibt. Wirtschaftliche Motive sind häufig der Grund, einen Asylantrag zu stellen oder so zumindest ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu erwirken. ...

Notwendig ist ... eine Ergänzung des Grundgesetzes mit dem Ziel, Antragsteller aus Ländern, in denen eine Verfolgung nicht stattfindet, an den Grenzen zurückzuweisen bzw. ausweisen zu können. ...

Die Verweigerung der SPD-Führung trifft in ihren Auswirkungen insbesondere die Kommunen , die für die Unterbringung der Asylbewerber zu sorgen haben. In den Städten und Gemeinden atrikuliert sich in der Bevölkerung auch am ehesten Unmut und mangelnde Akzeptanz des praktizierten Asylrechts. ...

Ich bitte Sie daher, in den Kreisverbänden, in den Gemeinde- und Stadträten, den Kreistagen und in den Länderparlamenten die Asylpolitik zum Thema zu machen und die SPD dort herauszufordern, gegenüber den Bürgern zu begründen, warum sie sich gegen eine Änderung des Grundgesetzes sperrt – oder aber öffentlich die Bereitschaft zu bekunden, innerhalb der eigenen Partei für eine Änderung der bisherigen Politik einzutreten. Die CDU muß sich jetzt überall dafür engagieren, daß das vorgesehene Gespräch zwischen den Parteien zur Asylproblematik zu konkreten Fortschritten führt.
Mustervorlagen für die Argumentation, für Resolutionen, Anträge und Anfragen sowie eine Muster-Presseerklärung füge ich diesem Schreiben bei. Ich bitte herzlich um Ihre Mitwirkung und Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Rühe"

Die beigefügten Materialentwürfe haben es in sich. So sollten die CDU-Stadtratsfraktionen einen Antrag einbringen, in dem u.a. steht: "... Das Recht auf Asyl darf nicht ausgehöhlt und gefährdert werden. Deshalb muß ein Mißbrauch des Asylrechts mi allen rechtsstaatlichen Mitteln verhindert werden. Der Rat der Stadt ... stellt fest, daß eine weitere Aufnahme von Ayslbewerbern aus Ländern, in denen eine Verfolgung nicht stattfindet, unterbunden werden muß. ..." Undsoweiter undsofort ...

Interessanterweise ist dem Material noch eine Anzeige der SPD aus der Zeitung "Die Norddeutsche" vom 2.10.1991 beigefügt, in der unter anderem zu lesen ist: "... Die Flut von unechten Asylanten und Aussiedlern (!) überfordert uns im Landkreis Osterholz.
Wir fordern deshalb:
Änderung des Art. 16 GG (Asylrecht) und Art. 116 GG (Aussiedler),
damit unechte Asylanten nach kurzer Überprüfung schon an der Grenze zurückgeschickt werden können, und damit Aussiedler nur noch begrenzt aufgenommen werden. ...

Heiner Grotheer - Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion/Arne Börnsen - Mitglied des Bundestages"

Die verbalen Brandstifter saßen nicht nur in der CDU.

Ich habe eine Kopie des Materials.

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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