Migration: Mittel gegen demografische Ängste?

Migration/Integration Es wird so viel über Integration geredet und so wenig über Fluchtursachen. Ein Grund: Die Fluchtbewegung soll den EU-Staaten gegen den Bevölkerungsschwund helfen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das Abendland geht unter – aber nicht durch die Flüchtenden, die zu ihm strömen. Es geht unter, weil es zu wenig Nachwuchs hat. Deshalb braucht es die Migranten, um die eigene zunehmend alternden Bevölkerung aufzufrischen. Das war zusammengefasst die Antwort des Migrationsforschers Dr. Rainer Münz am 4. März in Berlin auf die Frage nach dem "Untergang des Abendlandes". Gestellt hatte sie die Bertelsmann-Stiftung gemeinsam mit dem Deutschlandradio und dem österreichischen Sender ORF III. Die Frage wurde versehen mit dem Untertitel „Identität und Zusammenhalt im 21. Jahrhundert“. Wie die in Zukunft hierzulande und in Österreich aussehen sollen, beschäftigte eine illustre Runde in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz.

Die Zuwanderung nach der EU wird nicht aufhören“, zeigte sich Migrationsforscher Münz sicher. Er fügte hinzu: „Und sie soll nicht aufhören, weil wir als alternde Gesellschaft darauf angewiesen sind.“ Mancher vermutet, dass hinter der aktuellen Migrationsbewegung auch zielgerichtete Politik der Zielländer stecken könnte. Was Münz da sagte, klang wie eine Bestätigung. Und er dürfte wissen, wovon er spricht: Der Mann ist als Mitglied des European Political Strategy Centre Berater der EU-Kommission und der Bundesregierung. Es gehe darum, „besser auszusuchen, wer zu uns kommt“, erläuterte er. Für die Migranten müssten Chancen auf Arbeit geschaffen werden. So könnten die Menschen hierzulande sie als „wertvolle Mitglieder der Gesellschaft“ ansehen und akzeptieren.

Das war eine der Antworten auf die Frage, wie mit den Ängsten der Bevölkerung umgegangen werden könne. Münz‘ Einblicke in politische Strategien wurden aber nicht weiter hinterfragt. Denn Eines schien klar: Integration muss sein. Nur die Frage nach dem Wie wurde unterschiedlich beantwortet. Große Teile der Politik, vor allem die Regierungen, hätten jahrelang ihren Bevölkerungen nicht reinen Wein eingeschenkt. Das sei eine der Ursachen für die heutigen Probleme, meinte Alev Korun, Sprecherin für Menschenrechte, Migration und Integration der Grünen im österreichischen Nationalrat, in der Diskussionsrunde. Die Politik habe versagt, stellte sie fest, auch, weil nicht offen gesagt wurde: „In Syrien ist Krieg.“ Zudem seien die Verhältnisse in Folge der Fluchtbewegung woanders viel prekärer. So habe der Libanon bereits 1,4 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien aufgenommen. Damit sei dort inzwischen jeder vierte Einwohner ein Flüchtling. Korun forderte, solche Realitäten und Verhältnisse sichtbar zu machen.

Gegen die Ängste und Verunsicherung hätte geholfen, wenn die Gesellschaft früher auf die Migrationswelle vorbereitet worden wäre. Das beschrieb Naika Foroutan, Integrationsforscherin an der Humboldt-Universität zu Berlin, als vertane Chance. Seit Jahren kämen Flüchtende über das Mittelmeer, ergänzte sie Koruns Hinweis darauf, dass der Krieg in Syrien seit fünf Jahren tobe. Doch es habe eine vorausschauende Politik gefehlt, die die Infrastruktur ebenso wie die Bevölkerung hätte vorbereiten müssen. Foroutan bezeichnete es als „absurd“, selbst bei einer Million Flüchtlingen den „Untergang des Abendlandes“ herbeizureden. Diese machten nur knapp einen Prozent der derzeitigen Bevölkerung aus.

FAZ-Redakteur Reinhard Müller zeigte Verständnis für die aktuelle Abschottungspolitik Österreichs gegenüber der Flucht- und Migrationswelle. Es sei doch auch „eine nationale Frage, ob der Staat Bestand hat“. Das Problem aus seiner Sicht: Die Flüchtenden kämen völlig unkontrolliert ins Land. Er sprach sich für eine Einwanderung nach US-Muster aus. Das bedeute, die Frage „Wen wollen wir ins Land lassen?“ zu beantworten, Müller warnte vor einem „blöden unliebsamen Gebräu“, das aus unkontrolliertem Zustrom und Terrorangst entstehe. Der Eindruck des Kontrollverlustes sei gefährlich. Der entstehe auch, weil der Staat seine eigenen Regeln missachte.

Das führe zu Ängsten in der Bevölkerung, bestätigte EU-Berater Münz. Jährlich würden schon rund eine Million Ausländer regulär in die EU kommen. Nun käme noch einmal die gleiche Zahl an Flüchtenden hinzu. Diese müssten aber das Gebiet der EU erst irregulär betreten, um regulär Asyl zu bekommen. Münz sprach sich dafür aus, Einwanderung legal zu ermöglichen und Asyl ohne gefahrvolle Fluchtwege beantragen zu können. Die österreichische Grünen-Politikerin Korun bezeichnete es als Illusion, das Problem einfach mit geschlossenen Grenzen beantworten zu können. Die EU-Politik müsse ein solidarisches System für die Aufnahme der Migranten schaffen. Die Angst in der Bevölkerung bezeichnete sie als „nachvollziehbar“. Aber diese sei immer ein schlechter Ratgeber, erinnerte Korun.

Für FAZ-Redakteur Müller war klar, dass es weiter eine Massenflucht nach Europa unter anderem aufgrund der Kriege im Nahen Osten und der Lage in Afrika gebe. „In Syrien wird noch in 30 Jahren Krieg sein“, meinte er wie nebenbei. Aus dem Publikum wurde auf eine Fehlstelle dieser und vieler ähnlicher Diskussion aufmerksam gemacht: Die Frage „Was kann und muss Politik tun, um die Gründe für Flucht zu verringern?“ werde nicht oder kaum diskutiert. Darauf meinte Ko-Moderatorin Doris Simon vom Deutschlandfunk nur, dass das ja auch nicht das Thema sei. Zwar hatte die Grüne Korun auf den Waffenexport aus Europa in Krisengebiete als einer der Faktoren hingewiesen. Aber ansonsten schienen alle wie der FAZ-Journalist davon auszugehen, dass Fluchtursachen wie Krieg, Terror und Not natürlich gegeben und kaum zu ändern seien. Vielleicht sind ja eben Krisen, Konflikte und Kriege in anderen Weltgegenden sogar willkommen. Ebene weil sie dem alternden und geburtenschwachen Europa in den Farben der EU helfen, sein demografisches Problem zu lösen, wie es EU-Berater Münz beschrieb. Wozu da auch nach politischen Lösungen für Konflikte, Kriege und Elend suchen, die Menschen dazu bringen könnten, ihre Heimat nicht mehr zu verlassen, weil sie dort eine Perspektive hätten. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass zum Beispiel die mitveranstaltende Bertelsmann-Stiftung viele Studien und Publikationen über Integration und Zuwanderer als Fachkräfte herausgab und gibt. Eine Broschüre zum Thema Fluchtursachen und Rolle der Politik lag nicht aus. Ein Blick auf den Einfluss dieser Stiftung auf die Politik hierzulande lässt erahnen, worum es dieser geht, wenn sie mal Flüchtlinge willkommen heißt und sie dann wieder gar nicht erst hereinlassen will. Insofern war die Diskussionsrunde am 4. März aufschlussreich und bot mehr als nur eine weitere Debatte über Integration.

Auf der Homepage des Deutschlandfunks kann die Veranstaltung samt der Diskussion mit dem Publikum nachgehört werden.

aktualisiert: 15:23 Uhr

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden