Nachdenkliches zur Katastrophe von MH 17

Ukraine/MH 17 Einige Gedanken und Zweifel zu dem, was über die Flugzeugkatastophe von MH 17 über der Ostukraine zu hören und zu lesen ist. Wie immer ohne Anspruch auf Vollständigkeit

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Vorweg muss festgestellt werden: Ich habe natürlich keine Antwort auf die Frage, was da am 17. Juli 2014 tatsächlich geschah und wer den mutmaßlichen Abschuss eines Verkehrsflugzeuges ausgelöst hat. Ich finde diese Katastrophe entsetzlich und unfassbar, nicht nur angesichts von rund 300 Toten. Es fällt mir schwer, mich damit zu beschäftigen. Aber angesichts der medialen Flut an Äußerungen dazu von Kriegstreibern und Brandstiftern tue ich es. Denn für mich gibt es eine klare Sache bei aller Unklarheit: Diese Katastrophe zeigt, dass dieser Krieg in der Ostukraine beendet werden muss! Mit diesem Beitrag will ich nicht spekulieren, wer nun tatsächlich Schuld an der Katastrophe hat. Notwendig erscheint mir aber, vorschnellen einseitigen Schuldzuweisungen zu widersprechen und zu zeigen, dass es Grund für Zweifel darin gibt, sowie ich es schon zum Krieg in und gegen Syrien getan habe.

Für zahlreiche westliche Medien und Politiker scheint wieder einmal sehr schnell klar zu sein, wer schuld ist und die Verantwortung trägt: die Aufständischen in der Ostukraine und Russland, insbesondere der russische Präsident Wladimir Putin. So wird unter anderem bei Focus online am 19. Juli 2014 festgestellt: „Kaum einer zweifelt daran, dass die Separatisten in der Ukraine Schuld daran sind - manch eine Zeitung beschuldigt aber auch Russlands Präsident Putin.“ Bei Spiegel online heißt es am 20. Juli 2014: „Westliche Politiker, allen voran die Briten, erhöhen jetzt den Druck auf Wladimir Putin. Russlands Präsident soll seinen Einfluss auf die Rebellen geltend machen, damit man die Schuldigen doch noch für den Abschuss zur Rechenschaft ziehen kann. Sollte sich herausstellen, dass die Separatisten die Maschine abgeschossen haben, wäre dies ein direktes Resultat der Destabilisierung der Ukraine durch Russland, schreibt Großbritanniens Premier David Cameron in einem Gastbeitrag für die "Sunday Times".“ Umso mehr habe ich Zweifel an dem, was uns da berichtet wird, wie schon bei ähnlichen Ereignissen im Krieg in und gegen Syrien.

Eines hat die Katastrophe des Absturzes des Malaysian Airlines-Fluges MH 17 am 17. Juli 2014 auf jeden Fall schon erreicht: „Wenn sich die Anzeichen für die Schuld der Separatisten an dem Tod der fast dreihundert Menschen verdichten, könnte das eine Wende in der öffentlichen Meinung herbeiführen. Es würde dann nur noch wenige geben, die diese militanten Gruppen in der Ostukraine unterstützen oder moralisch legitimieren. Dieser Abschuss ist so barbarisch, dass jeder vernünftige Mensch als erstes denkt, dass man solchen unberechenbaren und wild gewordenen Paramilitärs so schnell wie möglich die Waffen wegnehmen muss.“ So hat es Sönke Paulsen auf freitag.de am 19. Juli 2014 beschrieben. Und er geht noch weiter: „Die Folgen eines solchen Umschwunges in der öffentlichen Meinung, der auch bei denen stattfinden könnte, die extrem kritisch gegenüber der westlichen Propaganda eingestellt sind, könnte sein, dass sich niemand mehr dagegen wehrt, wenn die ukrainischen Truppen jetzt Präzisions-Artillerie bekommen, mit denen die Truppen Kiews die schweren Waffen der Separatisten vernichten und diese gezielt aus ihren Stellungen herausschießen können, möglicherweise auch gezielt aus den Städten herausschießen können.“ Ich kann das Entsetzen verstehen. Aber die Frage, ob die vom Autor beschriebene Konsequenz so gewollt sein könnte, wird von ihm nicht gestellt. Die muss aber gestellt werden. Denn Paulsens Text zeigt, dass selbst Kritiker inzwischen jenen recht geben können, die sie eigentlich kritisierten. Das ist eine mögliche Antwort auf die Frage: Wem nutzt es? Diese Frage wird viel zu wenig gestellt, dafür umso deutlicher gesagt wie in der FAZ: „Putin hat eine letzte Chance“. Und die medialen Kriegstreiber bei der Zeit schreiben: „Dieser Abschuss verändert alles“. Zwar wird auch geschrieben: „… eine solche Eskalation kann Präsident Wladimir Putin nicht beabsichtigt haben“, aber ebenso wird festgestellt: „Putin hat mehr als einmal bewiesen, wie unberechenbar er ist. Gleiches gilt im Übrigen für die Rebellen in der Ostukraine, die plötzlich als Terroristen jede Legitimation verloren haben: Mit oder ohne den Kreml hinter sich stehen sie nun gefährlich mit dem Rücken zur Wand – ein schneller Frieden in der Ukraine ist damit womöglich außer Reichweite.“ Das Entsetzen über die Katastrophe trübt anscheinend den nüchternen Blick und lässt Zweifel unangebracht erscheinen. Doch ist beides notwendig, gerade angesichts der bisherigen Folgen des Krieges und der weiter drohenden. Ebenso notwendig ist es, an das rechtsstaatliche Prinzip zu erinnern, dass vor dem Urteil eine Schuld des Angeklagten bewiesen werden muss und das genauso gilt: Im Zweifel für den Angeklagten.

Reaktionen wie im Krieg gegen Syrien

Die politische und mediale Resonanz auf das Ereignis erinnert an ähnliche Vorgänge in Syrien. Mit jeder neuen Massakermeldung hieß es: Die syrische Armee war es und der syrische Präsident Bashar al-Assad ist verantwortlich dafür bzw. schuld daran. In der Folge reichten die Forderungen von direkter militärischer Unterstützung für die „Rebellen“ in Syrien bis hin zum direkten militärischen Eingreifen des Westens gegen Assad und die syrische Armee. Dass sich diese eindeutigen Vorwürfe früher oder später als falsch herausstellten, wer fragt heute noch danach? Ebenso danach, warum dieser Krieg in und gegen Syrien weitergeht, unaufhörlich weiter aktiv unterstützt vom Westen und seinen arabischen Verbündeten. Auch deshalb habe ich diesmal deutliche Zweifel an den Meldungen, „Erkenntnissen“ und Behauptungen westlicher Politiker und Medien zu MH 17. Weil es die gleichen sind, die nicht nur bei so vielen Kriegen und Interventionen uns belogen haben und das beim ihrem Versuch des Regimewechsels in Damaskus wieder taten. Am deutlichsten war das bei dem mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz bei Damaskus am 21. August 2013.

Anfangs hieß es, die Aufständischen müssen MH 17 abgeschossen haben, weil sie angeblich ein entsprechendes Buk-Fla-Raketen-System erbeutet haben. Rainer Rupp schrieb dazu am 19. Juli 2014 in der Tageszeitung junge Welt: „Viel spricht aber gegen ihre Täterschaft, insbesondere die Tatsache, daß sich das Buk-System nicht so einfach wie ein Manpad handhaben läßt. Das System besteht aus drei großen gepanzerten Fahrzeugen mit unterschiedlichen, hochkomplexen Anlagen wie Radar, Zielerfassung etc., die beim Einsatz zusammenwirken müssen. Für die Bedienung ist ein eingespieltes Team von Spezialisten notwendig. Es ist schwer vorstellbar, daß die sogenannten Neurussen wenige Tage, nachdem ihnen die Raketen in die Hände gefallen sind, über ein solches Team verfügten.“ Später kam aus Kiew die Nachricht, dass der ukrainischen Armee kein solcher Fla-Raketen-Komplex fehle: "Nach Angaben des ukrainischen Generalstaatsanwalts Vitali Jarjoma haben die Volkswehr-Milizen bei den Kampfhandlungen gegen die regulären Kräfte keine Fla-Raketenkomplexe erbeutet. „Als das Passagierflugzeug abgeschossen wurde, teilten die Militärs dem Präsidenten mit, dass die Terroristen keine Raketensysteme der Typen Buk und S-300 von uns haben. Solche Waffen wurden nicht erbeutet“, erklärte Jarjoma in einem Interview für „Ukrainskaja Prawda“. ..."

Bei Spiegel online und anderen Medien wird daraus geschlussfolgert, dass nur Russland ein solches System an die Aufständischen geliefert haben kann: „Ein hochrangiger Nato-Offizier sagte SPIEGEL ONLINE am Freitag, es gebe mittlerweile Geheimdiensterkenntnisse, dass das Flugzeug mit einer Rakete aus dem Bestand der russischen Armee abgeschossen wurde. Solche Systeme wurden laut dem Nato-Mann in den vergangenen Wochen vermutlich von russischer Seite an die Separatisten geliefert.“ Es müsse sich aber um eine Verwechslung des malaysischen Zivilflugzeuges mit einer ukrainischen Militärmaschine handeln, wird der anonyme NATO-Offizier ebenso zitiert wie Karl-Josef Dahlem vom europäischen Rüstungskonzern MBDA. Der bezweifelt einen möglichen Irrtum, aber: „Die Frage ist, wie gut die Buk-Mannschaft ausgebildet war. Denn für die Bedienung eines solchen Flugabwehrsystems ist eine aufwendige Ausbildung notwendig. ‚Das sind in der Regel mehrwöchige Theoriekurse, gefolgt von Praxistraining‘, so Dahlem. Zudem enthält eine komplette Abwehrstellung ein Fahrzeug mit Überwachungsradar, eines mit der Kommandozentrale sowie mehrere Fahrzeuge mit Feuerleitradar und Abschussanlagen für jeweils vier Raketen. ‚Insgesamt sind dafür rund 20 Mann notwendig‘, sagt Dahlem.

Zivilflugzeuge schon früher abgeschossen

Die Frage, ob Russland solch komplexe Waffensysteme in die Hände von nicht dafür ausgebildeten Aufständischen geben würde, wo die Folgen eines Fehler absehbar waren und sind, wird nicht gestellt. Es wird auch nicht daran erinnert, dass Russland immer wieder vor den Folgen des Krieges in der Ukraine warnte und mehrfach sich für ein Ende desselben einsetzte. Dafür wird daran erinnert, dass Nato-Oberbefehlshaber US-General Philip Breedlove schon im Juni darauf hingewiesen habe, dass Russland auf seiner Seite der Grenze die Aufständischen mit Luft-Abwehrraketen ausrüste und daran trainiere. Dass hätten die US-Überwachungssatelliten gezeigt. Dass es vielleicht nur die russischen Truppen vor der Grenze selbst sein könnten, die da „an schwerer Ausrüstung, an Panzern, gepanzerten Truppentransportern und Flugabwehrsystemen“ ausgebildet wurden, das wird ausgeschlossen. Warum wird nicht weiter gefragt, was es mit den ukrainischen Buk-Fla-Raketen-Komplexen auf sich hat? Zwar wurde u.a. vom Wallstreet Journal am 18. Juli 2014 gemeldet, dass die Ukraine 60 Buk-Systeme im Dienst hat. In dem Beitrag heißt es immerhin: „Um diese Systeme zu bedienen, bedarf es jedoch eines Trainings und eines technischen Wissens, das sich die Rebellen schwerlich angeeignet haben dürften, wenn sie die Waffen erst jüngst in ihren Besitz gebracht hätten – es sei denn, sie wären bereits zuvor militärisch für diese Systeme ausgebildet worden.“ Aber die früheren Nachrichten wie diese der Deutschen Welle vom 3. März 2014 tauchen in dem Zusammenhang nicht auf: „Die ukrainische Armee genießt schon seit Jahren keinen guten Ruf mehr. Sie gilt als chronisch unterfinanziert, korrupt, schlecht ausgebildet und ausgerüstet.“ Hier wäre genauso gut zu fragen, ob der mutmaßliche Abschuss nicht ein Versehen von ukrainischer Seite gewesen sein könnte. Auf diese Möglichkeit machte RIA Novosti am 17. Juli 2014 aufmerksam: "Militärexperte Igor Korotschenko: „Unter Berücksichtigung der Verlegung zusätzlicher Mittel und Kräfte der ukrainischen Luftabwehr in den Osten der Ukraine dürfte bei der Überprüfung der Kampfbereitschaft der Anlagen kraft mangelnden beruflichen Könnens des Personals zu einem versehentlichen Start einer Rakete gekommen sein." Nach russischen Angaben flog die malaysische Boeing 777 „im Wirkungsbereich von fünf ukrainischen Fla-Batterien“. Das meldete u.a. die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti am 18. Juli 2014. „Nach Angaben aus Moskau war ein ukrainischer Flugabwehr-Radar am Donnerstag unweit vom Absturzort in Betrieb. ‚Russische funktechnische Mittel haben am 17. Juli den Betrieb der Radarstation Kupol registriert‘, teilte die Behörde am Freitag mit. Diese Radarstation gehöre zur ukrainischen Batterie der Fla-Raketensysteme Buk-M1, die im Raum Styla, 30 km südlich von Donezk stationiert sei. ‚Die technischen Eigenschaften von Buk-M1 ermöglichen einen Datenaustausch zwischen mehreren Batterien über Luftziele. Deshalb hätte die Rakete von jeder der Batterien abgefeuert werden können, die in Awdejewka (acht km nördlich von Donezk) oder Grussko-Sorjanskoje (25 km östlich von Donezk) stationiert sind‘, so das Verteidigungsministerium Russlands. ... Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums hatte die ukrainische Armee im Raum des umkämpften Donezk insgesamt 27 Flugabwehr-Raketensysteme vom Typ Buk in Stellung gebracht."

Vor Jahren wurde schon einmal ein ziviles Flugzeug versehentlich über der Ukraine abgeschossen: Eine russische TU-154 wurde am 4. Oktober 2001 während einer Übung der ukrainischen Flugabwehr über dem Schwarzen Meer von einer Rakete getroffen. Alle 78 Flugzeuginsassen starben. 2005 waren die USA selbst verantwortlich für 290 unschuldige Opfer: „Das US-Kriegsschiff «Vincennes» schoss während des Krieges zwischen dem Irak und dem Iran über dem Persischen Golf eine iranische Passagiermaschine ab.“ Das Flugzeug wurde angeblich mit einer militärischen Maschine verwechselt und für eine Bedrohung gehalten. Nicht vergessen werden dabei darf der Absturz einer italienischen DC-9 am 27. Juni 1980. Erst im vergangenen Jahr wurde offiziell zugegeben, dass die Maschine von einer Rakete abgeschossen wurde. In der Nähe des Abschusses sollen damals Luftkämpfe zwischen Kampfflugzeugen der NATO und Libyens gegeben haben. Die taz erinnerte daran am 29. Januar 2013: „An jenem Abend hatte sich über dem Tyrrhenischen Meer zwischen Korsika und Sardinien im Westen und dem Festland im Osten ein wahres Kriegsszenario abgespielt, auf der einen Seite diverse Nato-Mächte, auf der anderen Libyen. Etwa 15 französische, britische, italienische und US-Jagdflieger waren in der Luft, während über Elba eine Awacs-Boeing kreiste. Einige der Jagdflieger befanden sich in unmittelbarer Nähe des Passagierflugzeuges, als es abstürzte.“ Es wurde auch an Werner Raith erinnert, der mit seinen Recherchen „justiziellen Aufklärungsversuchen neuen Schwung“ verlieh, wie u.a. in der Zeitung Der Tagesspiegel am 10. Dezember 1999 zu lesen war: „Neben den 81 Flugpassagieren starben 15 weitere Menschen im Zuge der Vertuschungsaktion. Die meisten waren Fluglotsen oder Piloten, die in der fraglichen Nacht Dienst hatten. Einige dieser Spuren führen auch nach Deutschland. Denn zwei der beim Rammstein-Unglück umgekommenen Piloten der "Frecce tricolori" flogen in der fraglichen Nacht im Luftraum über Ponza und sollten wenige Tage nach der Flugschau vor dem Untersuchungsrichter aussagen.“ Raith hatte seine Zweifel an den offiziellen Versionen des Unglücks in dem Buch „Absturz über Ustica“ verarbeitet.

Auch im Fall der MH 17 tauchte in Berichten ein Fluglotse auf, der angeblich per Twitter auf eigenartige Vorgänge im Zusammenhang mit dem Absturz hinwies, so u.a. beim Handelsblatt am 17. Juli 2014: „Auf Twitter meldete der Nutzer @spainbuca, dass kurz vor dem Abschuss zwei Militär-Jets das Flugzeug begleitet haben. Der Account scheint vertrauenswürdig.“ Den Informationen nach handelte es sich um einen spanischen Fluglotsen, der auf dem Kiewer Flughafen Borispol arbeitete. Er hatte nicht nur über zwei Militärjets in der Nähe von MH 17 berichtete, sondern auch darüber dass die Daten des Towers über den Flug kurz nach dem Absturz konfisziert wurden. Inzwischen ist der wohl seit 2010 bestehende Account bei Twitter nicht mehr zu finden. Abgesehen von der Tatsache, dass so die Tweets und ihr Inhalt nicht mehr endgültig überprüft werden können, dürfte es zumindest kaum unglaubwürdig sein, dass ein spanischer Fluglotse auf einem ukrainischen Flughafen mit internationalem Verkehr arbeitet(e). Ebenso wenig, dass er auf seinem privaten Twitter-Account in seiner Muttersprache über das schrieb, was er erlebte und ihn bewegte.

Flug über Sperrzone

Die Information über ukrainische Kampfjets in der Nähe der abgestürzten Maschine ist wahrscheinlich gar nicht so erstaunlich wie sie erscheinen mag. Seit Anfang Juli war der Luftraum über der Ostukraine für den zivilen Flugverkehr gesperrt, wie u.a. die Nachrichtenagentur Ukrinform am 8. Juli 2014 meldete. Solche gesperrten Gebiete werden immer überwacht und von Kampfflugzeugen gesichert, notfalls bis zum Abschuss. Allerdings hatten die ukrainischen Behörden den Luftraum nur „bis zu einer Höhe von 32 000 Fuß gesperrt (9753 Meter) gesperrt“ wie u.a. Der Tagesspiegel am 18. Juli 2014 meldete, sich auf Angaben der europäischen Luftfahrtsicherheitsbehörde Eurocontrol berufend, „die Boeing von Malaysia Airlines MH17 flog aber auf 33 000 Fuß (10058 Meter) und bewegte sich damit im bisher zugelassenen Bereich.“ Nach Berichten am 18. Juli 2014 von RIA Novosti und der Guardian-Reporterin Kate Hodal war MH 17 von der ukrainischen Flugsicherung aufgefordert worden, von 35.000 Fuß auf 33.000 Fuß runterzugehen. Das wurde auch von anderen Medien gemeldet. Der Grund dafür wurde nicht angegeben. Aber damit nährte sich das Flugzeug der Sperrgrenze von 32.000 Fuß, was wiederum das Auftauchen ukrainischer Kampfjets erklärbar macht. Sicher wird nicht erst genau an der Sperrzone gewarnt, in diese nicht einzufliegen. Ob das etwas zu tun haben könnte mit den von RIA Novosti am 17. Juli 2014 gemeldeten Augenzeugenberichten, nach denen ein Kampfjet die malaysische Maschine beschoss, wird aufzuklären sein.

Sicher ist, dass in kürzester Wiese nicht eindeutig zu wissen ist, was genau geschah. Bei den erwähnten Abschussbeispielen hat es zum Teil erst Jahrzehnte gedauert, bis die Ereignisse aufgeklärt wurden. Ebenso gilt grundsätzlich, so unerträglich diese Erkenntnis auch sein mag, dass es in jedem Krieg Gräuelereignisse auf beiden Seiten gibt. Insofern war es leider eine Frage der Zeit, wann solch eine Katastrophe geschieht. Deshalb muss auch jeweils die Frage gestellt werden: Wer hat den Krieg ausgelöst und angefangen? Für den Krieg in der Ostukraine ist das eindeutig festzustellen. Er begann mit dem Staatsstreich in Kiew Ende Februar 2014 und dem folgenden Widerstand in der Ostukraine gegen die Kiewer Putschisten und ihre faschistischen Hilfstruppen. Zur Erinnerung: Diese hatten selbst die u.a. von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mit dem demokratisch gewählten Präsidenten Wiktor Janukowitsch ausgehandelte Übergangslösung ignoriert und beiseite gefegt. In der Folge übernahmen, unterstützt von faschistischen Kräften von „Swoboda“ und „Rechtem Sektor“, u.a. Vertraute von Julia Timoschenko die Macht, so Arsenij Jazenjuk und Oleksandr Turtschinow. Ihre Machtübernahme und ersten politischen Aktionen führten zu Widerstand in der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine und auf der Krim, worauf selbst Spiegel online am 3. März 2014 in einem Beitrag über die „fatalen Fehler der Kiewer Regierung“ aufmerksam machte. Timoschenko verzichtete anfangs auf offene Machtbeteiligung, wollte dann aber Präsidentin werden. Sie unterlag bei der Wahl am 25. Mai 2014 Petro Poroschenko. Die Antwort der Putschisten auf die Unruhen in der Ostukraine war der Befehl zu einer „Antiterroroperation“, verkündet von Turtschinow am 13. April 2014. Damit begann der Krieg gegen die Aufständischen in der Ostukraine.

Daran musste ich denken, als ich bei den erwähnten Tweets des spanischen Fluglotsen in Kiew von einem möglichem Aufstand der ukrainischen Militärs gegen Poroschenko las, mit Timoschenko im Hintergrund („13:36 – 17 de jul. de 2014 Hace dias lo dije aquí, militares de kiev querían alzarse contra el actual presidente, esto puede ser una forma, a las órdenes de timoshenko“). Was manchem wahrscheinlich nach „Verschwörungstheorie“ klingt, wird zumindest von Meldungen gestützt, dass Poroschenko immer mehr unter Druck gerät. „Gleich von zwei Seiten wurden am Sonntag in Kiew Forderungen erhoben, im Osten der Ukraine das Kriegsrecht zu verhängen und den am Montagabend auslaufenden Waffenstillstand im Osten der Ukraine nicht noch einmal zu verlängern“, berichtete u.a. Ulrich Heyden am 30. Juni 2014 auf Telepolis. „Für diese Forderungen demonstrierten am Sonntag mehrere hundert Mitglieder der ukrainischen Spezialeinheiten Asow, Ajdar und Donbass, die im Osten der Ukraine gegen die Separatisten kämpfen.“ Auch auf dem Maidan sei das gefordert worden, so Heyden. „Diese Position hat breiten Rückhalt in der Bevölkerung“, war am gleichen Tag in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung zu lesen, „ihr gilt Poroschenko zunehmend als "lame duck", als einer, der zu viel redet und zu viel gibt. Kein Führer, sondern ein Fürst ohne Land.“ Da dürfte nicht hilfreich gewesen sein, dass selbst Russlands Präsident Putin erklärte, dass er „das Streben der europäischen Regierungen und des ukrainischen Präsidenten Poroschenko nach Frieden“ unterstütze, so am 24. Juni 2014 in Wien. Poroschenko gab dem Druck anscheinend nach und beendete die einseitig verkündete Waffenruhe am 1. Juli 2014 und befahl, den Krieg in der Ostukraine fortzusetzen. Ein weiteres Mal hatte auch Außenminister Steinmeier umsonst mit Russland, der Ukraine und Frankreich verhandelt, „ganz nahe dran an einer Vereinbarung“, wie u.a. n-tv am 1. Juli 2014 berichtete. Der Krieg ging weiter, Poroschenko bejubelte die „Säuberung Slawjansk von Unmenschen“ und versprach die Ostukraine von „Dreck und Parasiten“ zu befreien. „Vergessen scheint eine Vereinbarung, die Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) eben erst bei einem Treffen in Berlin auf den Weg gebracht hat“, hieß es u.a. in der Badischen Zeitung am 7. Juli 2014. „Dabei war vereinbart worden, dass die Führung in Kiew und die Aufständischen in Verhandlungen einen Ausweg suchen – und nicht auf dem Schlachtfeld.

Kein Interesse an friedlicher Lösung

Wer auf ukrainischer Seite kein Interesse an einer friedlichen Lösung hat, zeigen u.a. Äußerungen von Jazenjuk, der bereits mehrmals behauptete, Moskau wolle die Ukraine vernichten. Die Aufständischen, aber nicht nur sie, bezeichnete er als "subhumans" - "Untermenschen", wie Spiegel online am 17. Juni 2014 berichtete. „Gemeint waren sowohl Russen als auch Ukrainer aus dem Osten, die gegen die Regierung in Kiew kämpfen.“ Dazu zählt auch, dass der neue ukrainische Verteidigungsminister Valeri Geletej am 3. Juli 2014 laut RIA Novosti eine „Siegesparade im ukrainischen Sewastopol“ versprach. Inzwischen beteiligt sich Poroschenko selbst an der Kriegs- und auch Rachehysterie: „Für jedes Leben eines unserer Soldaten werden die Terroristen mit Dutzenden und Hunderten ihrer Leben bezahlen“, erklärte er, wie u.a. die FAZ online am 11. Juli 2014 berichtete. Es sind dieser Hass, die Kriegshetze und -hysterie, die sich in solchen Äußerungen nicht nur ausdrücken, sondern die Atmosphäre weiter vergiften und jegliche Verhandlung als Zeichen von Schwäche erscheinen lassen. Dabei darf natürlich Timoschenko nicht vergessen werden, die mit ihren antirussischen Hasstiraden im März 2014 selbst ihren Unterstützern in Berlin Sorgen bereitete. „Timoschenko versucht, die Nationalisten hinter sich zu vereinen. Allerdings auf sehr gefährliche Art und Weise. Sie erklärt Russland und seinen Präsidenten Vladimir Putin zum viel gehassten Feindbild“, schrieb Raoul Sylvester Kirschbichler am 28. März 2014 auf der Website des Austrian Economic Center. Timoschenko verlor zwar die Präsidentschaftswahl, aber „dennoch sollte niemand Timoschenko zu früh abschreiben“, stellte die Frankfurter Rundschau schon am 18. Mai 2014 fest. Die so aufgeheizte Atmosphäre barg und birgt von Anfang mindestens eine Gefahr, die aus dem Kalten Krieg bekannt ist: Jemand drückt zu schnell auf den „Roten Knopf“, ob aus Druck in einer Krisensituation, die falsch eingeschätzt wird, oder aus Versehen. Der Timoschenko-Vetraute Turtschinow hat übrigens bereits die "internationale Gemeinschaft" aufgefordert. der Ukraine militärische Hilfe zu leisten. Die sei nötig um den "Terrorismus" [gemeint ist die Aufstandsbewegung in der Ostukraine - HS], zu bekämpfen. Das berichtete die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine am 18. Juli 2014. Mit modernen und präzisen Waffen könnten die angeblich in der Hand der Aufständischen befindlichen Raketenabschusssysteme zerstört werden, so Turtschinow. Damit hätte der Boeing-Abschuss verhindert werden können. Was bleibt ist der Eindruck, dass die Flugzeugkatastrophe als Mittel genutzt wird, den Krieg fortzusetzen und zu verschärfen. Und mit „Massenmördern“, wie die Aufständischen schon bei Spiegel online bezeichnet wurden, können natürlich keine Verhandlungen geführt werden.

Zu den Fragen, die im Zusammenhang mit der Katastrophe gestellt und geklärt werden müssten gehört auch die nach der Rolle des „Rebellenkommandeurs“ Igor Besler. Die New York Times berichtete am 17. Juli 2014 u.a., dass nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes in einem abgehörten Telefonat von Aufständischen gesagt worden sei, dass der "Rebellenkommandeur" von Gorlowka, Igor Besler, den Befehl zum Abschuss gegeben habe. Der tauchte schon mehrmals in der Ostukraine auf: Das erste Mal im April 2014, als er als angeblicher russischer Oberstleutnant als Beweis für russische Truppen in der Ostukraine galt. Doch es handelte sich um einen ukrainischen Friedhofsdieb. „Das meldete die ukrainische Agentur UNIAN am Mittwoch unter Berufung auf das Internetportal Ostrow“ berichtete RIA Novosti am 16. April 2014. „Am vergangenen Montag hatte der Abgeordnete des Stadtrates von Odessa und Mitglied der Partei UDAR Alexej Gontscharenko, in einem RIA-Novosti-Gespräch gestanden, dass das provokante Video, auf dem ein „russischer Oberstleutnant“ Befehle erteilt, vom Maidan-Aktivisten Alexej Krawzow gedreht worden war.“ Besler kam wieder, diesmal an Anfang Juli 2014 als Kommandeur einer Truppe, die das Polizeihauptquartier in der ostukrainischen Metropole Donezk stürmte. „Die Aktion war mit der politischen Führung der selbsternannten «Volksrepublik Donezk» (DNR) nicht abgesprochen“, berichtete u.a. die Neue Zürcher Zeitung am 4. Juli 2014. „Deren «Premierminister» Alexander Borodai meinte, Besler habe versucht, die Kontrolle über Donezk zu übernehmen. Die Staatsanwaltschaft der DNR habe ein Strafverfahren wegen versuchten Umsturzes eingeleitet.“ „Kiew nimmt die Personalie Besler seit Monaten als Argument, den Aufstand im Donbass als verdeckte Operation Rußlands darzustellen“, stellte Reinhard Lauterbach in der Tageszeitung junge Welt am 17. Juli 2014 fest. Dient Besler nicht Moskau, wie behauptet wird, sondern anderen Kräften? „Wer im Donbass wofür kämpft und in wessen Auftrag, das ist oft unklar.“ Das stellte u.a. die Berliner Zeitung bereits am 19. Mai 2014 fest. Und welche Auffassungen es selbst bei jenen gibt, die die Putschisten in Kiew unterstützen, zeigt ein Interview von Telepolis am 5. Juli 2014 mit Andriy Makarenko, "Programmkoordinator Demokratieförderung" für die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung in der Ukraine: „Man kann einfach nicht so sauber den Krieg führen. Das geht einfach nicht. Das geht nirgendwo, das geht auch nicht bei den Einsätzen in Afghanistan und im Irak. Da werden sowieso Zivilisten getötet.

Florian Rötzer stellte am 18. Juli 2014 auf Telepolis fest: „Die Vorfälle, die zu einer Eskalation führen sollen oder dies jedenfalls tun, häufen sich, zumal weder die USA noch die Nato zur Deeskalation beitragen. Nun also der Verdacht, dass ein über die Ostukraine in 10.000 Meter Höhe hinwegfliegendes Flugzeug von Amsterdam nach Kuala Lumpur abgeschossen worden sein könnte.“ Er erinnerte in dem Zusammenhang u.a. an die Scharfschützen vom Maidan und das Massaker von Odessa. Beide Fälle gelten weiter als nicht aufgeklärt. Und „In beiden Fällen haben die USA und die EU wenig oder keinen Druck auf Aufklärung ausgeübt.“ Gerade der Westen mit seinen Erfahrungen mit Abschüssen von zivilen Flugzeugen sollte statt vorschneller einseitiger Schuldzuweisungen alles dazu beitragen, „damit sich das nie wiederhole“, wie laut RIA Novosti-Meldung vom 19. Juli 2014 Russlands Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow erklärte. Es bleibt eine unfassbare Katastrophe mit nicht erfassbarem Leid für die Angehörigen der getöteten Flugzeuginsassen. Das darf aber nicht vergessen lassen, dass dieser Krieg wie jeder andere auch schon zuvor viel zu vielen Menschen auf beiden Seiten unfassbares Leid brachte. Bereits jetzt gibt es eine gesicherte Erkenntnis aus der Katastrophe von MH 17 und eine Antwort darauf: Schluss mit diesem Krieg!

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aktualisiert: 21.7.14, 14:45 Uhr

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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