Über "Krieg gegen Terror" in den Faschismus?

USA Zwei ehemalige hochrangige US-amerikanische Geheimdienstmitarbeiter warnten in Berlin vor den Folgen antidemokratischer Entwicklungen und der Kriegspolitik in den USA

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Seit Anfang November läuft in einigen bundesdeutschen Kinos der Dokumentarfilm „A Good American“. Die meist kleinen Studio- oder Alternativkinos zeigen einen Film über eine große Geschichte. Es ist so etwas wie ein dokumentarischer Thriller über Überwachung, Macht und auch Widerstand. Und über einen Menschen, der an alldem aktiv beteiligt war und ist: William Binney. Der US-Amerikaner war Technischer Direktor der National Security Agency (NSA), bevor er seinen Dienst 2001 quittierte. Er wollte nicht mehr Teil dessen sein, was er mit entwickelt und ins Laufen gebracht hatte. Nach den Anschlägen von 11. September 2001 wurde ihm klar, dass es nicht mehr darum ging, Freiheit zu sichern und zu schützen. Binney weigerte sich, daran mitzuwirken, Freiheiten einzuschränken und Überwachung einzusetzen, um Macht zu sichern. Seit 2011 macht er wie andere Whistleblower öffentlich auf die NSA-Datensammelwut aufmerksam. Edward Snowden soll gesagt haben, dass er ohne Binney nicht getan hätte, was er tat. Der Film zeigt Binneys Weg vom Crypto-Mathematiker, der hilft, Daten über alles und jeden zu sammeln und effektiv zu analysieren zum Warner vor den Folgen. Aber auch, was jenen geschieht, die aussteigen und warnen.

Am 7. November 2016 berichtete Bill Binney in dem kleinen Coop Antikriegs-Café in Berlins Mitte selbst darüber. Er tauchte überraschend bei der Veranstaltung eines anderen US-Amerikaners und ehemaligen Geheimdienstmannes auf. Ray McGovern, früherer hochrangiger CIA-Analytiker mit Spezialgebiet Sowjetunion/Russland, war ein weiteres Mal in die Stadt gekommen. „Welche Rolle spielt Deutschland in Syrien, in der Ukraine und in den Drohnenkriegen?“, war das Thema des Abends mit ihm. Moderatorin und Dolmetscherin Elsa Rassbach machte dabei auch auf die US-Initiative "Hands Off Syria" ("Hände weg von Syrien") aufmerksam. Und als sich McGovern nach fast zwei Stunden verabschieden wollte, entdeckte er im Publikum Binney und bat ihn zu sich. Was der ehemalige NSA-Mann beisteuerte, das machte den Abend kurz vor der Wahl in den USA noch interessanter.

Binney berichtete, dass sich bis vor kurzem kein US-Verleih für den Film des Österreichers Friedrich Moser über seine Geschichte gefunden habe. Diese zu erzählen, dazu habe niemand in den US-Medien den notwendigen Mut gehabt. Themen im Zusammenhang mit der „nationalen Sicherheit“ schreckten ab. Immerhin werde „A Good American“ nun doch ab 2017 auch in seiner Heimat gezeigt. Gemeinsam mit McGovern wies er daraufhin, dass und wie die Herrschenden in den USA die Verfassung des Landes und deren Grundsätze ignorieren. Das habe aber schon vor dem 11. September 2001, im Februar des Jahres, begonnen, in dem unter anderem die NSA den Auftrag bekam, auch US-Bürger zu überwachen und Telekomfirmen zustimmten. Nach den Anschlägen damals wurde das dann endgültig ausgeweitet.

Hoffnung auf Kooperation statt Konfrontation mit Russland

Binney und McGovern warnten beide vor einer US-Präsidentin Hillary Clinton, die zu dem Zeitpunkt noch möglich schien. Sie sei eine „Anwältin für den Regimechange in vielen Ländern“, sagte der ehemalige NSA-Mitarbeiter und erinnerte an den Irak, Libyen, Syrien und auch die Ukraine. „Clinton hat nie einen Krieg gesehen, liebt aber die Kriege“, hatte zuvor Ex-CIA-Mann McGovern festgestellt. Er selbst habe für Jill Stein gestimmt, berichtete er und freute sich, dass im Raum einige saßen, die von der Präsidentschaftskandidatin der US-Grünen wussten. Steins Engagement für die Umwelt habe ihn dazu bewogen, ein Thema, das in den Debatten zwischen Hillary Clinton und Donald Trump nur einmal erwähnt worden sei. Auch für McGovern war die Wahl eine zwischen Pest und Cholera: „Wir wissen, was Frau Clinton tun will. Aber wir wissen nichts über Trump.“ Dieser sei ein Desaster in der Innenpolitik, „aber vielleicht ist er weniger geneigt, Kriege zu machen“, meinte der Ex-CIA-Analytiker, der fast den ganzen Abend deutsch sprach.

Trump habe sich aber für mehr Kooperation mit Russland ausgesprochen. Das Verhältnis zu Russland, das Land, das er jahrzehntelang als Geheimdienstanalytiker beobachtete, beschäftigt McGovern bis heute. Und so ging er bei seinem jüngsten Auftritt in Berlin immer wieder auf die Beziehungen zwischen Moskau und Washington ein. Nach seiner Einschätzung wird der russische Präsident Wladimir Putin zwischen der Wahl und der Vereidigung des neuen US-Präsidenten Trump alles tun, um die russische Position zu stärken und zu sichern. McGovern nannte es „sehr traurig“, dass das von Putin in einem Beitrag für die New York Times im September 2013 beschriebene neue Vertrauen zwischen ihm und US-Präsident Barack Obama wieder zerstört wurde. Das sei eine Folge der Politik der sogenannten Neocons, die Syrien schon damals angreifen wollten, was aber die russische Initiative zur Zerstörung der syrischen Chemiewaffen verhinderte. Putin sei für sie daran schuld gewesen, „und einige Monate später kam der Putsch in Kiew, in der russischen Nachbarschaft“, verwies McGovern auf die Zusammenhänge. Dem seien später die Sanktionen gegen Russland gefolgt, welche anfangs von den Europäern, auch den Deutschen nicht gewollt waren. „Dann wurde ganz plötzlich ein Zivilflugzeug abgeschossen und 298 Menschen getötet über der Ukraine.“ US-Außenminister John Kerry habe ganz schnell behauptet, Putin sei daran schuld. Dafür seien bis heute keinerlei Beweise vorgelegt worden, auch nicht durch die vom ukrainischen Geheimdienst unterstützten Untersuchungen. Doch neun Tage nach dem Abschuss von MH 17 hatten die USA die Europäer überzeugt, den antirussischen Sanktionen zuzustimmen, erinnerte der Ex-CIA-Mann.

Er schätzte die aktuelle Lage als gefährlich ein: „Ich habe Angst, dass es noch schlimmer wird.“ McGovern wunderte sich auch über Kerry, der in einer Veranstaltung auf die Frage nach der Lage in Syrien gesagt habe, er habe nie eine so komplizierte Lage gesehen. Es gebe in dem Land nicht nur einen Krieg, sondern mehrere Kriege gleichzeitig. Kerry habe es als sehr schwer für die Großmacht USA bezeichnet, alles unter Kontrolle zu halten. Der erfahrene ehemalige Geheimdienstanalytiker empfand es als peinlich, dass der US-Außenminister sich so unwissend darstellte. „Wenn er gewusst hätte, dass es kompliziert ist, dann hätte er nicht diese Politik betrieben?“ Putin hoffe auf Vernunft nach der Rhetorik des US-Wahlkampfes, erinnerte McGovern in Berlin und schloss sich dem an. „Aber es gibt keine Garantie“, ergänzte er. Zu den Problemen zähle, dass in den USA kaum etwas bekannt sei über die Ursachen und Zusammenhänge solcher Konflikte wie dem in der Ukraine. Das erlebe er immer wieder selbst bei Veranstaltungen auch in der US-Friedensbewegung, in denen unter anderem wider die Fakten von der russischen Aggression in der Ukraine geredet werde.

Machtvoller Komplex aus Militär, Industrie und Geheimdiensten

„Die Propaganda ist so stark“, stellte McGovern fest. Er habe seit 50 Jahren in Washington viele Veränderungen gesehen, „aber es gibt eine Veränderung, die ist viel wichtiger als all die anderen, und das ist die Realität, dass wir heutzutage keine freien Medien mehr haben“. Der dritte US-Präsident Thomas Jefferson habe einst gewarnt, dass ohne freie Presse eine Diktatur herrsche. Ex-NSA-Mitarbeiter Binney stimmte McGovern uneingeschränkt zu und warnte wie dieser vor einem möglichen Faschismus in den USA. Der drohe aber weniger durch Trump, als durch die Allmacht des Sicherheitsapparates in Folge des „Krieges gegen den Terror“, die er schon am eigenen Leib gespürt habe. US-Präsident George W. Bush und sein Vize Richard „Dick“ Cheney hätten den Weg begonnen, die Demokratie in den USA zu untergraben. Binney gehört zu den vier bekannten NSA-Whistleblowern und ist nach anfänglichen Versuchen, intern auf die Probleme aufmerksam zu machen, an die Öffentlichkeit gegangen. Mehrfach wurde versucht, ihn zum Schweigen zu bringen. Er erinnerte daran, wie Bush und Cheney 2001 den US-Kongress auf ihre Seite brachten, der dann als Mittäter selbst bei demokratischer Mehrheit ihre Politik unterstützte. Das hatte unter anderem zur Folge, dass in den USA fast keine Gewaltenteilung mehr existiert, wie Ex-CIA-Mann McGovern zu Beginn des Abends feststellte. „Noch schlimmer ist in dieser Lage, dass die Militärs ab und zu dem Weißen Haus den Gehorsam verweigern.“ Ein Beispiel dafür sei der Angriff der US-Luftwaffe auf die syrische Armee wenige Tage nach der von Russland und den USA ausgehandelten Waffenruhe in Syrien. „Es war kein Fehler, sondern absichtlich getan und hat den Waffenstillstand annulliert.“ Der russische Außenminister Sergej Lawrow habe eingestanden, dass sein US-Kollege und „guter Freund“ Kerry versuchte, Frieden zu machen. Aber die Militärs würden machen, was sie wollen.

Es handele sich um ein „Modell auch für andere Länder, die Demokratie zu untergraben“, warnte der ehemalige NSA-Mitarbeiter Binney in Berlin. „Auch hier in Deutschland,“ ergänzte McGovern, „besonders hier in Deutschland“. Binney verwies auf die Länder, die die US-Politik der Totalüberwachung unterstützen, darunter nicht nur die „Five Eyes“. Er finde an Trump gut, dass dieser die US-Verfassung und den Rechtsstaat restaurieren wolle, und wünsche sich von ihm, dass er Hillary Clinton einsperre, gestand er. Das müsse dann aber auch mit Bush und Cheney und der Obama-Administration geschehen. Binney befürchtet, dass die Geheimdienste, aber auch die Washingtoner Administration Trump als nun neuen US-Präsidenten mit Falschinformationen täuschen werden. Seiner Meinung nach stammten die Informationen über die E-Mails von Clinton vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten aus dem US-Sicherheitsapparat, von FBI-Insidern aus der mittleren Ebene. Das FBI habe freien Zugriff auf die Daten, die die NSA sammle und habe, darunter alle E-Mails von Clinton. Dass es sich nicht um russische Hacker gehandelt habe, sei ihm von Anfang an klar gewesen und nachvollziehbar. Clintons Behauptung, dass Putin dahinter stecke, sei ohne Sinn, ergänzte McGovern. Aber die US-Medien hätten das aufgegriffen, mit der Folge: „Nun hassen wir die Russen noch mehr.“ Kaum jemand frage noch nach dem Inhalt der Clinton-E-Mails, weil alle nur noch auf die vermeintlichen russischen Bösewichte starrten.

NSA-Whistleblower Binney verwies in Berlin auf die Macht des Komplexes aus Militär, Industrie und Geheimdiensten nicht nur in den USA (siehe auch hier). Und er stellte klar: Es geht immer um Geld und Profit. Er bejahte auch die Frage nach der Korruption der Entscheidungsträger in den Nachrichten- und Sicherheitsbehörden wie dem FBI. Binney wie auch McGovern kennen die Bücher des kanadischen Politikwissenschaftlers und Diplomaten Peter Dale Scott über den „Tiefen Staat“ in den USA, wie sie auf meine Frage bestätigten. Der Ex-NSA-Mann verwies dabei auf das Netzwerk aus Washington, Wall Street und Silicon Valley. Zum Ende des Abends zitierte McGovern den Whistleblower Snowden: „Ohne Bill Binney gäbe es keinen Ed Snowden.“ Er erinnerte an einen weiteren ehemaligen NSA-Mitarbeiter, der die geheimen Machenschaften mit öffentlich machte: Thomas Drake. Der gegen diesen in Gang gesetzte jahrelange Gerichtsprozess sei vom Geheimdienst mit gefälschten Dokumenten gefüttert worden. Das habe aber nachgewiesen werden können, was zum Freispruch für Drake geführt habe, der das aber nicht nur mit all seinem Geld bis hin zu seiner Rente, sondern auch mit seiner Gesundheit bezahlt habe. McGovern hofft nicht nur darauf, dass die Bundesrepublik die US-Kriegstreiber bremst. Er wünschte sich in Berlin auch: „Lehrt uns, was Faschismus bedeutet!“ Das sei notwendig, um zu verhindern, dass in den USA der „Krieg gegen den Terror“ zum Faschismus führt.

Buchtipps zum Thema:

• "Die USA am Ende der Präsidentschaft Barack Obamas - Eine erste Bilanz"
Herausgeber: Gellner Winand, Horst Patrick

• "TRUMPLAND - Donald Trump und die USA"
Von Walter Niederberger
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"Die USA am Ende der Präsidentschaft Barack Obamas - Eine erste Bilanz"
Herausgeber: Gellner Winand, Horst Patrick

"Das Buch zieht eine erste Bilanz der Präsidentschaft Barack Obamas. Es dokumentiert die Ergebnisse der Wahlen zum Kongress und in den Einzelstaaten, die an Bedeutung zunehmen. Analysiert werden die Einflüsse der Tea Party, der Wahlkampffinanzierung und der Super PACs auf den politischen Wettbewerb, der polarisiert ist wie selten zuvor in der amerikanischen Geschichte. Welche Spuren diese neuen politischen Entwicklungen im Kongress und in den Strategien der Kongressmitglieder hinterlassen, wird ebenso untersucht, wie die Folgen für das politische Erbe Obamas. Die Gründe, warum der erste afro-amerikanische Präsident der Vereinigten Staaten die hohen Erwartungen an seine „transformative Präsidentschaft“ nur begrenzt erfüllen konnte, werden anhand der wichtigsten Handlungsfelder des Präsidenten erörtert: Obama als „executive leader“, als „legislative leader“ und in seinem Verhältnis zur Judikative. Auf die Gesundheitsreform als dem zentralen innenpolitischen Vermächtnis des Präsidenten legt das Buch ein besonderes Augenmerk – wie auch auf die Außenpolitik, die das Bild Obamas in der Welt bestimmen wird." (Verlagsinformation)
"Die USA am Ende der Präsidentschaft Barack Obamas - Eine erste Bilanz"

Herausgeber: Gellner Winand, Horst Patrick
Springer Verlag, 2016
Softcover, 404 Seiten
44,99 €
ISBN 978-3-658-11063-5
Auch als e-Book erhältlich
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"TRUMPLAND - Donald Trump und die USA"
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"Der schier unaufhaltsame Aufstieg des Donald Trump, seine triumphalen Erfolge in den Vorwahlen markieren schon jetzt den wichtigsten innenpolitischen Wandel in den USA der letzten fünfzig Jahre. Noch nie hat die Führung einer Partei so massiv, so offen und so wirkungslos versucht, ihren eigenen Spitzenkandidaten zu demontieren. Und noch nie wurde eine Partei von einem ihrer Kandidaten so vor sich hergetrieben wie die der Republikaner von dem Alleszermalmer Trump." (Verlagsinformation)
"TRUMPLAND - Donald Trump und die USA"

Von Walter Niederberger
Orell Füssli Verlag, 2016
Broschur, 224 Seiten
17,95 €
ISBN 978-3-280-05638-7
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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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