Wenn zwei das Gleiche tun ist das noch lang nicht das Selbe. So sagt es eine alte Weisheit. Ist das immer so? Was ist es dann? Nur das Gleiche?
So meldet u.a. die österreichische Tageszeitung Die Presse online am 21. Juli 2016: "Die türkische Regierung hat die Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) angekündigt. Der Schritt folge der Ausrufung des Ausnahmezustandes, erklärte Vizeregierungschef Numan Kurtulmus, wie der Sender NTV berichtete. ...
Zwar versprachen Politiker der AK-Partei, dass sich für türkische Bürger trotz des Ausnahmezustandes nichts ändern werde. Die Menschenrechtskonvention werde aber ausgesetzt, so Kurtulmus, der in diesem Zusammenhang Frankreich als Vorbild nannte. Dort wurde nach den Paris-Anschlägen vom November ebenfalls der Ausnahmezustand verhängt und die EMRK unter Berufung auf Artikel 15 der Konvention teilweise ausgesetzt. ..."
Zum erwähnten Beispiel Frankreich meldete u.a. die ebenfalls österreichische Zeitung Der Standard online am 25. November 2015: "Nach den Pariser Anschlägen mit 130 Toten hat Frankreich die Europäische Menschenrechtskonvention teilweise ausgesetzt. ...
Frankreich begründet die Maßnahme mit dem nach den Anschlägen vom 13. November ausgerufenen Ausnahmezustand, der mittlerweile auf drei Monate verlängert wurde. Dabei beruft sich die Regierung auf Artikel 15 der Konvention. Demnach können Unterzeichner von den Verpflichtungen "abweichen", wenn "das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht" wird und die Lage im Land das "unbedingt erfordert". ..."
Nur zur Erinnerung an die letzten Anschlägen in türkischen Städten hier der Hinweis auf einen Beitrag der FAZ online vom 29. Juni 2016 über die Anschlagserie in der Türkei in den letzten Monaten.
Ich habe einem Freund, der von mir ein klares Bekenntnis gegen die Politik des türkischen Präsidenten Erdogan haben wollte, gesagt, dass ich ihm das nicht geben kann. Ich habe das damit begründet, dass ich nicht genau weiß, was da in der Türkei vor sich geht und wer da welches Spiel mit welchen Mitteln spielt auf Kosten viel zu vieler Opfer. Deshalb kann ich auch die Frage nicht beantworten, was das im konkreten Fall nun genau ist, wenn zwei das Gleiche tun, ob es etwa gar in dem einen Fall gut, in dem anderen aber schlecht ist. Auf jeden Fall finde ich in beiden Fällen die (mir bekannten) Ursachen für die konkreten Entwicklungen und deren Folgen für viele Unbeteiligte nicht gut. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist beides wie auch jedes ähnliche Ereignis anderswo nicht gut
aktualisiert: 16:46 Uhr
Kommentare 51
Nun, wenn man vermeint, sich in beiden Fällen keinen Standpunkt erlauben (erarbeiten) zu können und als Fazit dann schreibt: "Auf jeden Fall finde ich in beiden Fällen die (mir bekannten) Ursachen für die konkreten Entwicklungen und deren Folgen für viele Unbeteiligte nicht gut.", dann ist der geneigte Leser genauso "schlau" wie vorher und fragt sich doch, was denn mit dem Beitrag gesagt werden sollte.
Bei einem Militärputsch halte ich einen vorübergehenden Ausnahmezustand für durchaus berechtigt (was würde wohl bei uns abgehen!), aber nicht die nun folgenden Maßnahmen, die kaum einer spontanen Reaktion geschuldet sein können und den Plänen Erdogans, betreffend dem Ausbau seiner Macht, entgegenkommen.
Mit Frankreich lässt sich das nicht vergleichen und deshalb halte ich dort den Ausnahmezustand aufgrund terroristischer Anschläge von Einzeltätern für unangemessen. Vernünftige Polizeiarbeit in Verbindung mit den Geheimdiensten sollte völlig ausreichen.
Aber mir ist auch klar, würde sich vergleichbares zurzeit bei uns ereignen, wäre das geradezu eine Steilvorlage für alle Scharfmacher (siehe Silvester Köln) und der Ausnahmezustand (wahrscheinlich mit weiteren Gesetzesverschärfungen) die Folge.
Vielleicht sollte man die Europ. Menschenrechtskonvention mal lesen:
Abweichen im Notstandsfall, Art. 15, Abs. 1: Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Maßnahmen treffen, die von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert und wenn die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen.
Wird in beiden Staaten tatsächlich das Leben der Nation bedroht? In der Frankfurter Rundschau steht heute im Leitartikel, dass wir uns angesichts der Anschläge nicht einschüchtern und die Angst nicht in uns aufkommen lassen sollen. Die Möglichkeit, einem Atentat zum Opfer zu fallen, sei äußest gering, viel geringer als bei einem Vekehrsunfall zu Tode zu kommen.
dann ist der geneigte Leser genauso "schlau" wie vorher und fragt sich doch, was denn mit dem Beitrag gesagt werden sollte
Ich wollte mit dem Beitrag weniger sagen, als eben selbst fragen, auch Antworten provozieren, die mir selbst helfen, klarer zu sehen. Dazu hat die Ihrige beigetragen, der ich durchaus zugeneigt bin.
lieber hans,
ich weiß nicht, warum du in diesem fall so vorsichtig mit einem urteil bist. für mich deutet alles datauf hin, dass die machthaber, die machtkranken, die gelegenheit nutzen, sich mehr macht zu verschaffen. das ist in jedem fall eine negative entwicklung.
ein detail lässt nicht gutes erwarten: die massenentlassungen und verhaftungen sind auf die schnelle nur möglich, weil es längst vorbereitungen für diesen putsch/diese "säuberung" gab. das heißt, diese entwicklung war von langer hand vorbereitet. die machtkonzentration ist nie eine gute entwicklung für ein land.
hierzulande ist das krokodil etwas ähnliches.
Das Gleiche (Ausnahmezustand) ist eben nie das Selbe, Hans Springstein. Sie schreiben es. Es stimmt. Weil es stimmt, geht es eben um Differenzierung.
In Frankreich hat keine Zeitung, kein Journalist, kein Volk, Angst davor, die Regierung zu kritisieren, gegen sie öffentlich und mit fast allen Mitteln, einschließlich Sachbeschädigung und Brandstiftung, einschließlich Gewalt gegen Ordnungskräfte, zu demonstrieren, Regierungsvertreter anzugehen und zu beleidigen oder gar auszubuhen.
Die Richter und Untersuchungsrichter des Landes, lassen sich sehr selten was von der Regierung sagen. Die Intellektuellen und Eliten, egal welcher Couleur, halten nicht vorsorglich die Klappe, um Ärger mit den Diensten und Ordnungskräften zu vermeiden. Oppositionelle fürchten nicht die "Strafe des Volkes" auf der Straße, einschließlich Kopfschuss oder schrecken zurück, weil sie keinesfalls mit der staatshörigen Spezialpolizei in Kontakt geraten möchten, die ihre Wohnungen und Büros verwüsten, ihre Arbeitsmittel beschlagnahmen, sogar Bücher als Beweismittel konfiszieren und ganz offen damit drohen, sie sozial und gesellschaftlich zu ruinieren.
Das alles, ist in Frankreich unmöglich, trotz des verlängerten Ausnahmezustandes, der dort zu vereinzelten Verletzungen der Rechtsordnung führte, aber die Klage dagegen nicht unmöglich machte und nicht ganz Bevölkerungsteile vorweg als mögliche Terroristen einschätzt.
Trotzdem droht Frankreich, in die Hände einer rechten Partei zu fallen, die sich um die Gewaltenteilung, den Ausgleich Opposition- Regierung, Regierung- Verfassung, ebenso wenig kümmern wird, wie derzeit die AKP und ihr kleinbürgerlich- spießiger Anhang, der selbst bei uns relativ unbehindert Drohungen aussprechen darf.
Weil viele Bürger, wie in GB, für ihre Frustrationen und ihre Vorurteile, immer häufiger eben nach Vollstreckern suchen, die die Welt für sie und in ihrem Sinne heilen und ordnen sollen, ist das im Moment ein starker Trend. Dafür sind sie bereit, über viele Dinge, die einen freien Staat eigentlich ausmachen, hinwegzusehen.
Das genaue Gegenteil der franzöisischen Zustände herrscht schon länger in der Türkei:
Die Armee dort, dachte nie weniger autoritär, als die AKP und der Präsident, nur eben in eine andere Richtung!
Erdogan gab ihnen fast unbegrenzte Vollmachten in den Kurdengebieten, die dort schon länger praktisch alles erlauben. Da können Städte zerstört, Ortschaften aufgelöst und umgesiedelt werden. Dort können Menschen einfach verschwinden. Da gibt es täglich Folter, da ist niemand der kurdisch ist oder als Opposition, bzw. kritisches Medium gilt, noch geschützt, wenn er unter irgend einen Verdacht gerät. Ermächtigte Milizen arbeiten mit Polizeivollmacht.
Im Rest der Türkei herrscht das Volk der AKP auf der Straße und ihre Anhänger und Funktionäre erobern, mit Gewalt, meist jedoch mit "sanftem Druck", wie sich das für die Übergangsphase von der Demokratie zum autoritären Staat gehört, Funktionen in den Verwaltungen und Behörden, an Schulen, in Hochschulen und in allen denkbaren Medienbereichen.
Das meiste läuft über Drohungen und mit dem harmlosen Halbsätzchen, man "lege den Rücktritt nahe".
Wir müssten das doch kennen!
Die Türkei ist, obwohl dort gewählt wird und das Volk offenbar dem "Führer" mehrheitlich folgt, keine Demokratie mehr. Das Ausmaß der staatlichen Eingriffe übersteigt auch längst jenes Maß, das im gelenkten Staat Russland derzeit die Regel ist.
Das war schon vor dem Putsch so. Der autoritäre Staat hat sich nun, nach dem Militärputsch, noch verfestigt und weiter ausgebaut. Die Bürger die sich noch zeigen, stören sich nicht daran. Die Bürger, die sich daran noch stören, sind verunsichert, denn nun kann sie jedes Widerwort als "Terrorist" oder "Staatsfeind", nein, als "Volksfeind", brandmarken.
Alles das, ist derzeit in Frankreich noch völlig undenkbar.
Inhaltslose Dialektik führt zur Entdifferenzierung und dann wird alles gleich.
Beste Grüße
Christoph Leusch
"Die Türkei ist, obwohl dort gewählt wird und das Volk offenbar dem "Führer" mehrheitlich folgt, keine Demokratie mehr. Das Ausmaß der staatlichen Eingriffe übersteigt auch längst jenes Maß, das im gelenkten Staat Russland derzeit die Regel ist."
Das Problem ist auch in Europa angekommen, wie die FAZ schreibt: Hier können Sie Nachbarn denunzieren.
Nur gut, dass sich diejenigen in Facebook, Twitter und ähnlichen Medien tummeln, ansonsten gäbe es hier in der FC sicher diverse "Neuanmeldungen" mit entsprechenden Reaktionen.
Klar. Ich hoffe die Videoclips zu den Übergriffen und solche Denunzianten- Telefonnummern, führen zu staatsanwaltlichen Ermittlungen, zu spürbaren Geldstrafen oder eben einigen Tagen Knast, sowie zur Beobachtung der Superdemokraten bei der "Union Europäischer Demokraten“ (UETD). Mit europäischer Demokratie hat die Denunzianten- Nummer so wenig zu tun, wie die derzeitgen Vorgänge in der Türkei.
Ich verrate Ihnen was. Mir gehen schon so manche Wortmeldungen hier in die von ihnen angedeutete Richtung. Ich schreibe nichts mehr dazu, weil da weder Einsicht zu erzielen wäre, noch sprachliche Mäßigung in der Antwort zu erwarten ist.
Die dFC bleibt noch weitestgehend verschont, weil vielem, was hier so über den Tag abgeladen wird, kaum noch widersprochen wird, auch wenn es der größte Käse ist. Der Hauptgrund ist aber die Marginalität des Mediums. Es lohnt ganz einfach nicht, hier im Stile der sozialen Netzwerke oder im Kommentarstil bei den großen Publikumszeitschriften, sowie auf den völlig unzitierbaren Seiten des Webs, abzuselchen.
Die Lust und Aggressivität läuft sich hier tot, weil einfach in größeren Medien dieser Art, immer genügend Leute auf den Schwachsinn reagieren.
Nicht nur ein plappernder BND- Chef hatte das Motto: "No risk, no fun". Das ist leider auch die Schreibhaltung eines erheblichen Teils der Teilnehmer an Webcommunities. Abwägung und Differenzierung ist nicht gefragt.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ich beurteile die Ereignisse in der Türkei auch nach den Berichten und Bildern:
Die Türkei am Wendepunkt: Der Kemalismus ist am Ende
Dr Unterschied zwischen Frankreich und der Türkei ist, daß der Ausnahmezustand in Frankreich erklärt wurde, damit jede(r) weiß, daß die Polizei nicht behindert werden darf; in der Türkei wurde der Ausnahmezustand erklärt, weil Übergriffe der staatstragenden Macht bereits erfolgt waren.
Columbus hat das Wesentliche zu dieser absurden Gleichsetzung geschrieben. Ich hatte so etwas Ähnliches schon früher erwartet. Aber -sorry, wenn es hart kling, ich bin da eher verzweifelt - wer die Unterschiede nicht sieht, nicht sehen will oder kann, dem ist nicht zu helfen.
Auf das dünne Brett ist Augstein auch schon gekommen. Die Freitagslinke lässt keine Gelegenheit aus.
Der Unterschied zwischen der Türkei und Frankreich ist, dass Hollande verzweifelt (und wohl auch vergeblich, da hat Augstein recht) versucht Le Pens rechtsextremen Front National zu verhindern. Indem er starker Mann spielt und den Franzosen Handlungsfähigkeit vorgaukelt. Und Sicherheit, die es - Ausnahmezustand hin oder her - nicht gibt, wie wir wissen. Während der rechtsextreme Herr Erdogan den Ausnahmezustand nutzt, um sich zu ermächtigen. Das ist der Unterschied.
So schwer wäre das nicht zu verstehen, wenn man nicht krampfhaft nach etwas suchte, an dem man mal schnell seinen Hass auf den Westen abarbeiten kann.
|| Das Ausmaß der staatlichen Eingriffe übersteigt auch längst jenes Maß, das im gelenkten Staat Russland derzeit die Regel ist. ||
Ja, tatsächlich. Dachte, ich stimme dem einfach mal explizit zu. Schaden kann's ja nicht.
|| Alles das, ist derzeit in Frankreich noch völlig undenkbar. ||
Noch, ja. Und obwohl es sonst nicht meine Art ist, bete ich schon, dass das auch noch ein Weilchen so bleibt. Gerne auch zwei...
LG!
|| Ich habe einem Freund, der von mir ein klares Bekenntnis gegen die Politik des türkischen Präsidenten Erdogan haben wollte, gesagt, dass ich ihm das nicht geben kann. ||
Da ihr Freund Sie vermutlich noch besser kennt als ich, dürfte ihn das kaum gewundert haben.
...wer die Unterschiede nicht sieht, nicht sehen will oder kann, dem ist nicht zu helfen.
Ich lass mir schon mal helfen. Außer den türkischen AKP-Anhängern wird jeder die Unterschiede sehen. Die Frage nach Frankreich gerichtet, ist doch: Ist es legitim, den Ausnahmezustand wegen des Attentats bis 2017 zu verlängern? Ist tatsächlich die Nation bedroht? Denn dies ist die Voraussetzung, den Notstandsfall auszurufen:
Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht...
Ist es nicht eher so, dass man mit Blick auf den Front National die Fußball-EM und die Tour de France besser über die Bühne bringen wollte? Ist es weiterhin akzeptabel, dass in Frankreich Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss angeordnet werden können, ebenso das Abhören von Telefonaten oder das Verbot von Kundgebungen? Zum Jahreswechsel wird dann in Frankreich seit mehr als ein Jahr im Ausnahmezustand regiert.
Wie werden sich angesichts dieser Art zu regieren, andere europäische Regierungen verhalten, sollten weitere EU-Staaten von ähnliche Gewalttaten heimgesucht werden? Europa könnte dann ohne Menschnerechtskonventionen regiert werden. Das ist keine angenehme Vorstellung.
"Wenn zwei das Gleiche tun ..." , dann sollte man, wenn man wissen will , ob es wirklich das Gleiche ist, zuerst auf die Gründe schauen warum sie es tun. Wenn die unterschiedlich sind , dann ist es doch nicht das Gleiche gewesen , sondern möchte allenfalls als das Gleiche gelten. Was dann logischerweise nur auf den Zweiten zutreffen kann, der es tut, slbst wenn der erste es schon aus zweifelhaften Gründen getan haben sollte.
"Ist es legitim, den Ausnahmezustand wegen des Attentats bis 2017 zu verlängern? Ist tatsächlich die Nation bedroht?"
Nein es ist nicht ligitim, aber machbar, wie man sieht - also wird es gemacht. Damit ist nicht ganz richtig , was @ Columbus weiter oben meinte, dass nämlich die Gefahr bestehe, "Frankreich würde in die Hände einer rechtsradikalen Partei fallen". Frankreich ist bereits in den Händen einer rechtsradikalen Partei, die sich gerade durch den Ausnahmezustand selber dazu erklärt hat. Das zumindet ist die Meinung intellektueller Beobachter (Franzosen) aus meinem Umfeld.
Der Ausnahmezustand ist nicht legitimiert , weil er nichts bewirkt oder bewirken kann ausser faktische Verluste der Bürgerrechte. Es sind 2 Anschläge eben nicht durch den Ausnahmezustand verhindert worde, durch die er sich ja legitimieren soll. Das ist das übliche tautologische "Spiel" der Antidemokraten.
Vielen Dank für die sachlichen, auch in der Sache gegensätzlichen Bemerkungen. Ich halte das alles auf jeden Fall für bedenkenswert, was die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des französischen und türkischen Ausnahmefalls angeht.
Die persönlichen Bemerkungen .. naja, ab in die Tonne. Wobei manche mir davon so eine leichte Ahnung davon geben, dass für mnache auf dieser Plattform vielleicht sowas wie ein mentaler oder Meinungs-Ausnahmezustand willkommen wäre oder schon gilt. Jede abweichende Position, jeder zuweifel an dem scheinbar und anscheinend Offensichtlichen darf nicht sein, das muss mindestens verbal bekämpft werden ... naja. Sicher ein harter Vorwurf, der auch nur für ganz wenige gilt, für ganz ganz Wenige, die aber anscheinend nicht an sich halten können und anderen das vorwerfen müssen, was sie selbst praktizieren ganz nach dem Motto: Ich habe Recht, weil mir meine Meinung besser gefällt.
Aber wie gesagt, das sind auch hier noch Ausnahmen, auch beim Thema Ausnahmezustand.
Ansonsten bin ich gespannt, wie es weiter geht. Frankreich wirft schon mal aus Rache Bomben in Syrien und hat Soldaten nach Libyen geschickt. Was passiert da eigentlich im Inneren? Ist der französische Ausnahmezustand tatsächlich nur Attrappe? Hat schon mal jemand an die Massenproteste gegen unsoziale Gesetze gedacht, was das für diese bedeutet, dass auch in Frankreich die Europäische Menschenrechtskonvention zeitweise außer Kraft gesetzt wurde? Ist die zeitliche Gleichheit mit den Anschlägen nur Zufall, weil Islamisten auf andere Protesttermine keine Rücksicht nehmen?
Ist Erdogan tatsächlich so wie Putin sein soll, hinterhältig, nichts als machtbesessen, rücksichtslos, und all seine Wähler und Anhänger alles nur von der falschen Koranauslegung besessen oder gar unter Drogen gesetzt? Oder werden die gleichen einfachen Erklärungsmuster auch im Fall der Türkei angewandt, weil es uns so passt, etwas nicht so einfach Erklärbares so zu deuten, weil es nicht unseren Mustern entspricht? In einem gewerkschaftsblatt fand ich vor ein paar Tagen einen Bericht über die ICCI 2016, die Energiemesse in Istanbul, mit vielen deutschen Unternehemen. Die Überschrift des Textes: "Riesiger Markt am Bosporus" und dann u.a. der Hinweis dass die türkische Wirtschaft die 18tgrößte Volkswirtschaft der Welt ist und deutliche Wachstumsraten aufweisen könne. Das interessiere deutsche Firmen sehr, bis dahin, dass die ICCI 2016 von eine türkischen Tochter der Hannover-Messe ausgerichtet wird. Hat das nichts mit den Ereignissen zu tun? Spielt politische Ökonomie keine Rolle in den aktuellen Vorgängen? Sollen oder wollen wir das nicht erkennen?
Aber sicher führt das zu weit vom Thema der Ausnahmezustände dort und dort weg. Das hat alles nichts miteinander zu tun. und als Putin-Versteher kann ich natürlich gar nicht anders als zu versuchen zu verstehen, was Erdogan tut und warum.
Da fällt mir ein, das ich vor ein paar Tagen nochwas anderes las: Dass die CIA hinter dem Putschversuch in der Türkei stehen könnte. Das hätte glatt von mir sein können, gebe ich zu. War es aber nicht. Sondern vom früheren US-Diplomaten Lawrence Wilkerson, der mal für Colin Powell arbeitete, als der US-Außenminister war. Ja, und der hat das gegenüber Sputnik gesagt. Aber da kann das ja gar nicht im Ansatz eine mögliche Möglichkeit sein ... Und der Wilkerson, der auch Ex-Oberst ist, der hat ja noch so andere komische Sachen gesagt und die USA gar als "den Händler des Todes in der Welt" bezeichnet, der ist ja auch noch voll unamerikanisch ... Oder der ist von Moskau bezahlt. Geht gar nicht anders.
Aber was rege ich mich auf? Die einen sollen bitte weiter zweifeln, auch an dem, was ich schreibe, und die anderen können ruhig weiter träumen, dass alles nur Moskaus 5. Kolonne ist, und die, die mir zustimmen, sollen bitte nicht aufhören damit. Tut auch mal gut.
Danke für die Bestätigung meiner Befürchtungen aus dem realen Lebensumfeld in Frankreich. Es gibt tatsächlich kritische und sehr kritische Stimmen, die das Vorgehen der französischen Regierung mit viel Skepsis beobachten. Die Zeit-Korrespondentin aus Nizza schreibt:
Tatsächlich setzt die Polizei mit dem Segen des Innenministeriums ihre erweiterten Befugnisse nicht allein für den Kampf gegen potenzielle Terroristen, sondern auch gegen kritische Bürger ein. In den vergangenen Monaten wurden beispielsweise Demonstrationen verboten, obwohl die Bürger etwa gegen den Bau eines Flughafens oder gegen ein umstrittenes Arbeitsgesetz auf die Straße gehen wollten.
Das deutet sehr stark darauf hin, dass die französische Regierung das Geschäft des FN mitbetreibt, aber gleichzeitig politische Ziele verfolgt, indem sie, wie hier geschildert, legitime politische Kundgebungen mit Hilfe des Artikels 15 verhindert. Es nützt also nichts, wenn sozialdemokratische (sozialistische?) Regierungen an der Macht sind. Sie sind es gerade, wie auch bei uns in Deutschland, die den Sozialabbau umsetzen oder, wenn es aus deren Sicht nötig erscheint, bürgerliche Grundrechte außer Kraft setzen.
Danke für die Hinweise auf die Vorgänge in Frankreich, die auch meine Befürchtungen bestätigen. Das Zitat aus der Zeit passt genau zu meinen Bemerkungen oben: Was passiert da eigentlich im Inneren? Ist der französische Ausnahmezustand tatsächlich nur Attrappe? Hat schon mal jemand an die Massenproteste gegen unsoziale Gesetze gedacht, was das für diese bedeutet, dass auch in Frankreich die Europäische Menschenrechtskonvention zeitweise außer Kraft gesetzt wurde? Ist die zeitliche Gleichheit mit den Anschlägen nur Zufall, weil Islamisten auf andere Protesttermine keine Rücksicht nehmen?
Erdogan macht vielleicht nur nach, was die westlichen Hüter von Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ihm vormachen ... Halte ich überhaupt nicht für verwunderlich, auch wenn es das in keinem Fall besser macht.
Und zum westeuropäischen Entsetzen über die Äußerungen Erdogans zur Wiedereinführung der Todesstrafe sei an Folgendes erinnert: Eine Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 25. März 2011: "Der Tod eines Demonstranten beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua im Jahr 2001 hat keine juristischen Folgen für Italien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am Donnerstag rechtskräftig, daß die tödlichen Schüsse eines Carabiniere auf den Demonstranten Carlo Giuliani nicht menschenrechtswidrig waren." Dietrich Antelmann schrieb im Jahr 2010 in Ossietzky u.a. Folgendes: "… zum effektiven Schutz vor einer nicht mehr alles hinnehmenden Bevölkerung ermöglicht der Lissabon-Vertrag die Todesstrafe und die Tötung im ›Aufstand‹ oder ›Aufruhr‹. In den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden, heißt es zum Artikel über das Recht auf Leben: ›Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.‹"
Wer es nicht versteht, sollte das nochmal ganz in Ruhe lesen.
Nochmal persönlich Dank für die Bemerkungen zu Frankreich
Beachtenswert ist auch die Überschrift des Textes von Antelmann: "Kehrt die Todesstrafe zurück?"
Das Frustrierende an Despoten und deren Speichelleckern ist doch, dass sie große Überzeugung bei der Vermittlung ihrer kranken gefährlichen Sichtweisen entwickeln, anscheinend nicht nur in scheinbar linken Meinungsmedien, sondern vor allem im realen politischen Umfeld.
Dabei dürften im Kontext dieses Threads allein die Begriffe "doppelte Standards" oder "zweierlei Maß" genügen, um diesen hier (wie es Columbus in seiner freundlichen Art schon anmerkte) für obsolet zu erklären.
Mit diesem Kontext kommt bei mir "wenn zwei das Gleiche tun...." wie eine bewusste Provokation an, auf die ich deshalb bewusst nicht weiter eingehen werde.
Eigentlich finde ich es schlimmer, was Hollande tut als das, was Erdogan macht. Auf einen tatsächlich versuchten Militärputsch mit Toten und Bomben auf das Parlament mit dem Ausnahmezustand zu reagieren, finde ich absolut legitim. Wie würde denn Deutschland bitteschön auf so etwas reagieren? Hallo, das war ein echter militärischer Putschversuch! Dagegen finde ich, auf IS-Anschläge mit einem jetzt bis Ende des Jahres geltenden Ausnahmezustand zu reagieren, absolut überzogen. Um gegen terroristsiche Gewalttäter vorzugehen, müssten eigentlich die normalen Gesetze vollkommen ausreichen. Und handelt es sich um Einzeltäter mit normalen Gebrauchsgegenständen als Tatwaffen (also eigentlich Amokläufer), hilft sowieso kein Ausnahmezustand. Wie sieht es eigentlich mit Wahlen unter einem Ausnahmezustand aus? Können die abgehalten werden? Oder kann man damit eventuell Le Pen verhindern - falls Umfragen ihren Sieg voraussagen würden?
Wenn terroristische Anschläge dazu benutzt werden, den Ausnahmezustand auszurufen, dann kann das immer und überall erfolgen und auch manipuliert werden. Darin sehe ich eine echte Gefahr für die Demokratie.
Übrigens bin ich gerade in Italien. Da meint fast jeder, die Amis hätten das ja wieder mal total versaut, das mit dem Putsch in der Türkei. Die kennen halt ihre Gladio.
Ich bin überzeugt, wäre der Putsch in der Türkei erfolgreich verlaufen, hätten genauso 'Säuberungen' stattgefunden wie jetzt, wenn nicht noch Schlimmeres. Das wäre bei uns bedauert worden und damit wäre die Sache dann vom Tisch gewesen. Während jetzt so getan wird, als hätte Erdogan geputscht. Aber hallo! Und nein, ich mag Erdogan und seine Politik überhaupt nicht. Das spielt in dem Fall aber überhaupt keine Rolle.
Danke.
Ich bin überzeugt, wäre der Putsch in der Türkei erfolgreich verlaufen, hätten genauso 'Säuberungen' stattgefunden wie jetzt, wenn nicht noch Schlimmeres.
Das teile ich, und nicht nur das.
warum wundert mich das nicht?
Nicht nur an Sie gerichtet, Idog.
Es gibt unter den irgendwie Linken und Linken Europsa seit ewigen Zeiten welche, die ganz unbeabsichtigt und eben aus Prinzip, das Geschäft der Rechten mitbesorgen. - Das hat gar nichts mit "Querfront" zu tun, die hier bei uns auch nur eine Art Modethema linker Randgruppen ist, die sich dazu Jahre und Jahrzehnte kloppen können, weil das von echter von realer Politik weitestgehend abhält und trotzdem den Aggressionsstau beseitigt.
Entweder, indem sie in der Prinzipienstarre ihres Denkens selbst dafür sorgen, nie etwas mit dem Regierungshandeln zu tun zu haben oder aber, indem sie die bestehenden Regierungen, gleich einmal mit autoritären und/oder rechten Regierungen gleichsetzen, also davon ausgehen, der Staat sei schon rechts positioniert. - Das ist zwar alles barer Unsinn, bei uns und in Frankreich, aber es wird in Foren fleißig verbreitet.
In den letzten Wochen und Monaten hat es zahlreiche, meist gewerkschaftlich oder von Bauern organisierte, sowie von Schülern und Studenten getragene Arbeitskampfmaßnahmen und Demonstrationen gegen die Regierung und ihre neuen "Reformen" gegeben. Übrigens sehr oft mit Begleiterscheinungen, die bei uns hier allerhöchstens als die übliche Jahresrandale linker Spinner durchgingen. In Frankreich gehört auch die Übertretung des Ausnahmezustandes durch die Bürger zum guten politischen Stil.
Tatsächlich sind auch Demonstrationen verboten worden. Aber nicht etwa wegen des Anlasses und der politischen Absicht der Demos, sondern weil es Gefahr gab und es auch an Orndungskräften mangelt. U.a. wegen des langen Ausnahmezustandes. Andere haben stattgefunden oder wurden sogar illegal, gegen die eigentlichen Regeln des Ausnahmezustandes, durchgeführt.
Es musste dazu auch kein Staatsoberhaupt aufrufen und sie waren allermeist nicht regierungsfreundlich oder, regional bezogen, verwaltungsfreundlich.
Ich bin sehr überzeugt, dass die Rechte, kommt sie mit einer ausreichenenden Mehrheit an die Macht, die erste beste Gelegenheit nutzen wird, sehr ähnliche Maßnahmen wie jene in Polen oder Ungarn (Justiz und Medienkontrolle), durchzuführen. Das ist die erste Etappe, wenn man noch nicht über eine größer Mehrheit in der Bevölkerung verfügt, es noch knapp ist. Der nächste Schritt sieht dann aus, wie in der Türkei. Ich will nur noch einmal daran erinnern, dass sich in Ungarn die Linke praktisch aufgelöst hat und nun die größte Oppositionspartei noch weiter rechts steht, als die Regierung. Das ist der Weg des Populismus und Nationalismus, den Orban übrigens gerade wieder beim Treffen der Visegrád- Gruppe allen Teilnehmern wärmsten empfahl.
Den französischen Ausnahmezustand mit dem in der Türkei zu vergleichen ist einigermaßen mutig. Da machen auch nur ganz abgebrühte und verhärtete Aktivisten und DenkerInnen, die es mit der Wahrhaftigkeit nicht so genau nehmen.
Ich bin ziemlich sicher, dass die derzeitige, erneute Verlängerung des Ausnahmezustandes in Frankreich die letzte Fristverlängerung war. Danach geht es im Nachbarland weiter wie bisher und nicht wie in der Türkei, geradewegs in eine Präsidialdiktatur. Es sei denn, es gibt einen großen Rechtsruck bei den Wahlen.
Wie gesagt: Auf den "Ruck" kann man, wenn man dort und bei uns aktiv politisiert, sich auch mit gänzlich honorigen, gar linken Absichten und meist eher versehentlich, hinwirken und sich nacher sogar die Geschichte erklären, als Fortsetzung des Ist- Zustandes.
Dafür bin ich aber zu dumm.
Beste Grüße
Christoph Leusch
„Hallo, das war ein echter militärischer Putschversuch!“
Behaupten Erdogan und Anhänger.
Es ist doch offensichtlich, dass der angebliche 'Putschversuch' einiger Soldaten (ca 1000), die sich meist auf einer Militärübung wähnten, ein wichtiger Teil des von Erdogan geplanten Putsches, der ihn zum alleinigen Herrscher machen soll, ist.
Ohne diesen 'Putschversuch' könnte Erdogan die anscheinend sorgfältig geplante 'Säuberung' und totale Machtergreifung nicht so widerstandslos durchführen.
Hier etliche Ungereimtheiten, die den Verdacht aufkommen lassen, der 'Putschversuch' wäre von Erdogan inszeniert. Wenn in den Medien nicht mehr über diese ungeheuerliche Möglichkeit berichtet wird, dann deshalb, weil man es zur Zeit nicht beweisen kann; und die (berechtigte) Furcht als Verschwörungstheoretiker stigmatisiert zu werden bei vielen zu Denk- und Schreibhemmungen führt.
Und in die Runde:
Ich würde es übrigens bedauerlich finden, wenn Erdogans 'Politik' von den Freunden Russlands in irgendeiner Weise verharmlost würde, nur weil Putin eine strategische Kooperation mit der Türkei sucht.
Erdogans 'Politik' von den Freunden Russlands in irgendeiner Weise verharmlost würde
Das müsste aber belegt und bewiesen werden, wenn das ein ernstgemeinter Vorwurf sein sollte.
Und yep, das hätten sie gern, die Putinhasser und Regimewechsler und Demagogen der Herrschenden und wie sie alle heißen, dass wir uns wegen Putin, Erdogan und sonst wem noch gegenseitig angehen. Aber das würde ich auch bedauerlich finden und sicher ist das gar nicht so.
volle Zustimmung und darüber hinaus:
Ich würde es übrigens bedauerlich finden, wenn Erdogans 'Politik' von den Freunden Russlands in irgendeiner Weise verharmlost würde, nur weil Putin eine strategische Kooperation mit der Türkei sucht.
können Sie den Konjunktiv beiseite lassen: sie tun es, und nicht nur Erdogans Gewaltorgien sondern auch Trumps Prekarisierung allen Sozialverhaltens, Hauptsache es trifft das gehasste westliche System "Demokratie".
Aber Erdogan und Trump bieten ein Instrumentarium, die Spreu vom Weizen, besser die Glaubwürdigkeit der Diskursteilnehmer zu bestimmen, immerhin dafür sind die beiden richtig "gut".
Möglich ist vieles. Aber selbst in der FAZ stellen sie sich immerhin die Frage: "Und wenn Erdogan recht hat?"
Das müsste aber belegt und bewiesen werden, wenn das ein ernstgemeinter Vorwurf sein sollte.
ganz einfach: lesen Sie beispielsweise Ihre Beiträge, das genügt schon als Beleg. Auch wenn Sie mitunter die Intention dahinter verschwurbeln, wie es dieser Thread hier beweist.
Entschuldige, aber selbst wenn es nur 1000 Soldaten gewesen waren, die an dem Putschversuch beteiligt waren bzw. ihn umsetzen sollten, dann sind das immer noch mehr als "einige" und da der Putsch von Militärs versucht wurde und anscheinend keine bzw. kaum zivile Kräfte daran beteiligt waren war es eben nichts anderes als ein echter militärischer Putschversuch. Das ist nichts weiter als ein Fakt. Wir sollten das Ganze nicht vom Misserfolg des Versuches aus bewerten.
Die völlige Unverhältnismäßigkeit, wegen 1000 angeblicher Putschisten inzwischen mehr als 60.000 Menschen , verhaftet, entlassen, verschleppt oder getötet wurden, scheint Ihnen dabei aber entgangen zu sein.
Das ist nichts weiter als ein Fakt.
Das war kein Vorwurf - lediglich ein allgemeiner Denkanstoß.
Ich bin auch ein „Freund Russlands“ und schreibe auch gegen die Destabilisierungs- und Kriegspolitik der NATO gegenüber Russland.
Leider wird oft (von allen Seiten) der Fehler gemacht, sich mit einer Seite bis in die Regierungsspitzen hinein gemein zu machen – oder zumindest der Eindruck entsteht es wäre so. Das kann leicht passieren, wenn man eine geopolitische/strategische Perspektive einnimmt.
Russland- und Putin-Bashing finde ich auch bescheuert.
Mir wäre es sowieso lieber, wenn man Politik mehr aus der Perspektive der Menschen bzw Bürger bewerten würde. Auch das nur allgemein in den Raum gesprochen.
Danke für die Erläuterung.
Frage: Wie halten Sie's mit der Demokratie?
Sind Erdogan und meinetwegen auch Orbanz nicht von einer Mehrheit demokratisch gewählt worden? Sie sind's. Find ich deren Politik teilweise entsetzlich? Ja. Muss ich trotzdem ein demokratisches Votum akzeptieren? Ja, das muss ich.
Wenn Änderungen z.B. im Medienrecht durch eine gewählte Regierung durchgesetzt werden, muss ich das erst mal akzeptieren, auch wenn ich dagegen bin. Wenn das der Mehrheit der Bevölkerung nicht gefällt, kann sie die Regierung bei den nächsten Wahlen ja abwählen und das Gesetz wiederum ändern. Sollte das demokratische Wahlrecht abgeschafft werden, wäre das natürlich eine andere Frage. Geht es aber z.B. in Deutschland nicht nur um Einzelgesetze, sondern tatsächlich um Grundgesetzänderungen, bräuchte es dazu eine 75% Mehrheit im Bundestag. Da sind sehr hohe Hürden gesetzt. Und da sehe ich erst mal keine Gefahr - solange nicht auch ein Ausnahmezustand ausgerufen wird.
Die Ausgangsfrage war aber eine ganz andere: Was unterscheidet den Ausnahmezustand von Frankreich und von der Türkei? Und ich bin nach wie vor der Ansicht, derjenige in Frankreich ist richtig gefährlich für die Demokratie. Übrigens: Gibt es in Frankreich nicht auch ein präsidiales System mit sehr großer Machtbefugnis für den Präsidenten? Und wurden dort nicht gerade Arbeitsgesetze sogar gegen die Mehrheit des Parlaments per Sonderdekret durchgesetzt?
Ich habe den Eindruck, vielen hier wäre es recht gewesen, wenn der Putsch erfolgreich verlaufen wäre. Wir haben ja wieder das alte Thema: Es gibt ein Regime (Erdogan-Regierung heute im TV so benannt) und bald wird er ein Diktator sein und dann muss er weg - egal, ob gewählt oder nicht.
Den Putsch jetzt Erdogan anzuhängen, das halte ich ehrlich gesagt für lächerlich. Er hat wohl all die Generäle und sonstigen daran beteiligten Militärs dazu gebracht, gegen ihn zu putschen, oder wie? Aber einem wie Erdogan ist halt alles zuzutrauen!
Ich habe leider den Eindruck, dass bei uns daran gearbeitet wird, Ausnahmezustand und sogar Putsche für legitim und gerechtfertigt zu halten. Es soll jetzt sogar mit dem Gedanken gespielt werden, Trump wegzuputschen, sollte er tatsächlich in den USA gewählt werden. Alles natürlich im Namen der Demokratie. Für mich ist das ein Spiel mit dem Feuer.
Und wie sagte schon Brecht: Wenn der Regierung das Volk nicht passt, soll es sich doch ein anderes wählen. (oder so ähnlich...)
Wissen Sie, was ich an der Politik im Moment am allerentsetzlichsten finde? Dass sie mich in die Situation bringt, Politiker verteidigen zu müssen, deren Politik ich zutiefst verabscheue.
Ich finde Ihre Argumentation gut. Und kann Ihnen wieder nur zustimmen.
Das mit dem Präsidialsystem in Frankreich ist mir auch aufgefallen. Da wäre auch die USA zu nennen. Im Online-Universal-Lexikon gibt es Aufklärung: "Das Modell des Präsidialsystems ist unter dem Einfluss der Gewaltenteilungslehre Montesquieus konzipiert worden, mit großer Konsequenz in der Verfassung der USA."
Aber was die einen sich rausnehmen, darf der andere nur, wenn er es nicht im eigenen nationalen Interesse macht. Wie kommt der Erdogan nur darauf, westliche Modelle kopieren zu wollen, wie es ihm passt? Und wie das politische System in der Türkei gestaltet ist und wird, wie kommen die Türken darauf, darüber selbst bestimmen zu wollen? Und was kümmern uns Mehrheiten, wenn nur eine Minderheit laut genug dagegen ist, egal aus welchem Motiv?
Das mit dem Gewöhnen an Putsche dürfte nicht zu weit weg von der Realität sein.
"Der Verein für Kriegsdienstverweigerung Vicdani Ret Derneği will Aussagen der am Putsch beteiligten Soldaten unterster Ränge gesammelt haben. ....
Die Aktivisten erklären in ihrem Statement, viele Soldaten hätten gar nicht gewusst, dass sie an einem Putschversuch teilnahmen.
Einfache Soldaten sperrten auf Anweisung ihrer Generäle in dieser Nacht die Bosporus-Brücke und den Atatürk-Flughafen in Istanbul; sie sollen gedacht haben, dass es sich um eine Übung handelt, so der Verein. Als sie diesen Irrtum realisierten, seien einige desertiert. (Imc TV)"
Aus bento
Lieber Columbus, Ihre derzeitige defätistische Nörgerlei über die Community geht schon auf die Nerven. Auf den Geist kann man ja nicht sagen, da um Sie herum anscheinend keiner mehr weht, wie aus Ihren Äußerungen zu entnehmen ist:
♦ Den französischen Ausnahmezustand mit dem in der Türkei zu vergleichen ist einigermaßen mutig. Da machen auch nur ganz abgebrühte und verhärtete Aktivisten und DenkerInnen, die es mit der Wahrhaftigkeit nicht so genau nehmen.
♦ Mir gehen schon so manche Wortmeldungen hier in die von ihnen angedeutete Richtung. Ich schreibe nichts mehr dazu, weil da weder Einsicht zu erzielen wäre, noch sprachliche Mäßigung in der Antwort zu erwarten ist.
♦ Die dFC bleibt noch weitestgehend verschont, weil vielem, was hier so über den Tag abgeladen wird, kaum noch widersprochen wird, auch wenn es der größte Käse ist.
♦ Die Lust und Aggressivität läuft sich hier tot, weil einfach in größeren Medien dieser Art, immer genügend Leute auf den Schwachsinn reagieren.
♦ Nicht nur ein plappernder BND-Chef hatte das Motto: "No risk, no fun". Das ist leider auch die Schreibhaltung eines erheblichen Teils der Teilnehmer an Webcommunities. Abwägung und Differenzierung ist nicht gefragt.
In demokratisch organisierten Gesellschaften gilt immer noch das Prinzip "One man, one vote" oder aktueller formuliert: One person, one vote. Egal wie blöd oder vermeintlich unterinformiert jemand ist, es wird jeder Person das gleiche Teilnahmerecht zugestanden. Meine ehemalige Deutsch-Lehrerin plädierte für einen Akademikerbonus beim Wählen, also für eine doppelte oder dreifache Stimmenzahl. Weil die besser Gebildeten, so ihr Argument, die gesellschaftlichen Sachverhalte besser verstünden. Als Schüler habe ich darin ein rationales Argument gesehen. Heute nicht mehr.
Ich hoffe, Sie ertragen meinen Ausflug auf die Beziehungsebene. Er ist keine Kampfansage sondern ein Hinweis, eine Anmerkung gütlicher Art.
Aber einem wie Erdogan ist halt alles zuzutrauen!
Ja, so ist das wohl. Erdogan ist nun gerade mal der Buhmann vom Dienst, hat diesbezüglich Putin und Assad abgelöst und ist an allem schuld. Der kann jetzt gerade machen was er will, es wird ihm grundsätzlich negativ ausgelegt werden. Und dass er demokratisch gewählt wurde interessiert doch sowieso keinen mehr.
Hallo Herr Leusch, damit bin ich im Grunde einverstanden, wenn es sich eben um eine allgemeine Betrachtung handelt. In meinem 1. Kommentar wurde ja klar, dass es sich nicht um Gleiches handelt, wenn es auch vergleichbar erscheint.
Ich weiß natürlich recht genau, was hier in Frankreich passiert, bin ja vor Ort. Und es ist zuerst mal zu bemerken, dass dieser Ausnahmezustand 8-9 Monate lang absolut einzigartig war in der jüngsten Geschichte der EU. Er wurde hier in Frankreich von vielen Seiten als Unverhältnismäßig empfunden, als unnütz und gerade von der Linken als Provokation insofern diese Maßnahme eben angeblich von links kam. Wie weit also eine den Begriff Sozialismus im Namen tragende Regierungspartei nach rechts abdriften kann, wird hier gerade deutlich und auch weil die Franzosen durchaus verstanden haben was Schröder und Fischer in D-land angerichtet hatten. Das "Vorbild" D-land wird nur noch selten im Munde geführt, und das liegt an der von Vals erklärten Absicht das Schröder-Modell durchziehen zu wollen. Dass das jetzt nicht rechtsradikal ist, weiß natürlich jeder, aber es ist neoliberal und neoliberal ist rechts. Weiter wissen die Interessierten natürlich auch, dass sich die PS auseinander dividiert hat. Der linke Flügel ist komplett ausgebootet worden ... und wo der sogenannten linke Flügel noch am Ruder ist - zB hier im Sudwesten wo ich wohne , da wird ihm der "letzte überlebende Stalinismus" nachgesagt, was sich aber nur auf die Ignoranz nach altem Muster bezieht und auf komplett fehlende Bürgernähe, um es mal freundlich auszudrücken. Mit anderen Worten , die machen was sie wollen, ganz genau so wie Hollande und Vals in Paris, wo diese nur schon 2 mal kurz hintereinander den de Gaule §en 49.3 benutzten , der eine Entscheidung des Parlaments erübrigt. Viel antidemokratischer stellen sich die Franzosen heute die Rechte aber auch nicht vor.
Dazu muss man noch die Hintergründe der FN kennen und deren historische Verknüpfung mit der PS unter Mitterand. Der hatte damals Le Pen die mediale Aufmerksamkeit bzw. Präsenz nämlich erst verschafft, frei nach dem Motto : lass den mal Scheiße reden im TV, dann teilt sich die rechte Wählerschaft in zwei Lager (damals UPS und FN) und die PS gewinnt. Seitdem macht auch die UPS - heute als Republikaner, dieses Spiel gezwungenermaßen mit. Das eher auf ein Präsidialmonarchie ausgerichtete Wahlsystem dr 5. Republik, das durch seine Struktur immer zu einer Minderheitenregierung führt, tut das seine zur "Lage der Nation", bei der die nun neoliberale "Linke" oder die konservative Rechte (mit Sarkotzy als offensichtlich kriminellem Vorsitzenden) meinen und/oder heute eher hoffen, dass sie doch noch das kleiner Übel seien. Und so wird die damals mit dem Resultat Chirac fast verunglückte Wahl gegen die FN heut zum Prinzip. Es ist also dieses Kalkül eines Mitterand nicht nur schon einmal fast nach hinten losgegangen, sondern sich bei rechten Wählern anzubiedern ist über Sarkozy als Gaddafi finanzierter Wahlkämpfer nun auch bei der PS angekommen … in diesem miesen Spielchen von theatraler Wahl, bei der im zweiten Wahlgang im Zweifelsfalle fast 50% der Wähler schon aus Prinzip das kleiner Übel wählen müssen.
Kurz: Der Ausnahmezustand war eine Maßnahme , die die Linke der PS nicht verzeihen wird. Die werden vielleicht diesmal Mélenchon wählen? Man weiß es nicht, kann es nur hoffen. Was klar ist , dass das Unverzeihliche daran das Lächerliche ist, das Hilflose. Es gab also Situationen, in denen Demonstrationen explizit Verboten wurden, obwohl sie per Ausnahmezustand sowie so schon verboten waren, nur das sich keiner daran hielt, weil dieser Zustand eine sinnlose Ausnahme war, wie jeder Franzose verstanden hatte. Und jetzt kommt noch das direkte Ergebnis des "Notstandsrechts” hinzu. Das richtete sich nähmlich getreu des internationalen bzw. Nato Kriegsgerasssel ausschließlich gegen Immigranten und solche deren Eltern es mal waren. Darin liegt die rechte politische Praxis, notamment in der ökonomischen Krise …. während man den Normalbürger weiter demonstrieren ließ. Dass Hollande die Situation benutzte, um französische Bomber nach Syrien zu schicken ist noch mal ein andere Geschichte , die im Diskurs ebenso a-logisch und lächerlich ist - er wollte sich an denen , die sich rächen, rächen - die aber auch in den selben Rahmen gehört.
"Weil die besser Gebildeten, so ihr Argument, die gesellschaftlichen Sachverhalte besser verstünden."
Bei mehr Wissen besteht auch immer die Gefahr des größeren Irrtums. Es gibt dazu schöne Beispiele aus der Wissenschaft. Allein das sollte etwas großzügiger stimmen, obwohl (zugestanden), es fällt manchmal schwer.
Zwei Dinge vorweg: Wie ich es mit der Demokratie halte, steht hier gar nicht zur Debatte. Das gibt auch mein Kommentar nur her, wenn man ihn böswillig und absichtlich, zudem ungerechtfertigt, so auslegen will.
Ich habe noch nie in meinem Leben etwas gegen die Demokratie geschrieben oder gesagt. Im Gegenteil, das Prinzip, das Staatsmodell, ist mir ein höchstes Gut unter wenigen anderen.
Gewählte Regierungen können, sogar mit sehr großen Mehrheiten ausgestattet, völlig abgleiten und die Demokratie abschaffen, obwohl sie formal weiter besteht.
Sie wissen das doch. Wenn Sie sich zum Beispiel das mehrfache Abgleiten der sehr idealistischen und gut konzipierten, säkularen türkischen Republik, das Abgleiten der ägyptischen Republik unter Mursi analysieren, die übrigens keine schlechte Verfassung hatte, mit der Ausnahme nicht weitgehender Frauenrechte und zu geringem Minderheitenschutz (Betätigung und Gleichstellung), aber Abkehr vom ewigen Präsidialsystem, Pressefreiheit, pp., oder wenn Sie eben beobachten, wie sich Polen und Ungarn entwickeln. In Polen gibt es noch Chancen zur Änderung über Wahlen. In Ungarn ist der Zug vielleicht schon abgefahren (Die Linke und liberale hat sich marginaliert).
In der Türkei wird sich nur noch was ändern, wenn die Wirtschaft in die Knie geht oder Erdogans Leben auf irgend eine Art zu seinem Ende kommt. Ich wünsche ihm wirklich nichts Böses, aber das ist wohl ein politisch- historisches Faktum.
Mein Standpunkt: Die Demokratie beweist sich da, wo sie Minderheiten schützt, die Gewaltenteilung einhält, den Rechtsweg garantiert, nicht foltert, nicht Medien und Öffentlichkeit zu machtpolitischen Zwecken mobilisiert und instrumentalisiert, sondern sie als vierte Gewalt betrachtet und achtet, die Möglichkeit der Regierungsübernahme durch die Opposition muss tatsächlich vorhanden sein und darf nicht durch Gewalt und Drohungen, auch der Anhänger- Bürger, verhindert werden.
Wenn Sie so wollen, ist die recht volkstümliche Ansicht, die Mehrheit, gar große Mehrheiten, müssten sich doch unbedingt durchsetzen, der falsche Ansatz, um den Wesenskern der Volksherrschaft zu definieren. Die Mehrheit hat in der Demokratie kein wirkliches, umfassendes Herrschaftsrecht. Wäre das so, gäbe es keine Demokratien mehr, denn alle anderen Herrschaftsformen sind so viel mehr unterkomplex, dass Völker der Versuchung zu oft erliegen.
Noch eine These: Vielfalt und eben nicht Eindeutigkeit, Komplexität und Kompliziertheit, wären auch in einer linken und sozialen Demokratie, Hauptkennzeichen.
Die Unmöglichkeit, auf legalem Wege eine politische Wende in einem demokratischen politischen System erzeugen zu können, überhaupt die Chance dazu zu haben, führt zwangsläufig, über kurz oder lang, zu mehr Gewalt und Zerstörung der Gesellschaft, weil sich im Willen derer, die unbegrenzt oder unangefochten herrschen wollen, die Demokratie auf Dauer totläuft. Das könnte man dann Demokratur oder Akklamationsherrschaft nennen. Immer ist der Trend zu erkennen, eine möglichst formierte Gesellschaft herzustellen, obwohl dies dem Leben widerspricht.
In der Türkei, aber auch in der erneuten Machtergreifung der Militärs in Ägypten, sind aber zu viele Mechanismen in Gang gesetzt, die eigene Herrschaft, mit Unterstützung einer Mehrheit des Volkes, gewaltsam und durch beständige Drohungen in der Öffentlichkeit zu verewigen und vor allem der Opposition und allem was man in der Gesellschaft nicht schätzt, Lebensweise, öffentliches Auftreten und offizielle Meinungen aufzudrängen oder vorzuschreiben. - Das ist alles antidemokratisch, wie eben der klägliche Militärputsch auch.
Ich finde, man kann sich, bezogen auf Pis- Regierung, Orban und Erdogan, nicht mehr herausreden und sagen, die seien zwar meinem eigenen politischen Gusto nicht genehm, gar extrem fern, aber eben gewählt.
Noch deutlicher. Was in der Türkei seit nun zwei- drei Jahren beschleunigt und prozesshaft abläuft, hat, wären gar 80%+ der Türken für die AKP und Erdoğan, nichts mehr mit Demokratie zu tun. Die Verfolgung Andersdenkender ist keine Einzelfallgeschichte, sondern erfolgt systematisch und allumfassend. Es wird mit allen Mitteln gegen kurdische Terroristen und kurdische Bevölkerung gekämpft.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ja, das stimmt. Die Linke, die sich nicht mehr mit der PS in ein Boot setzen möchte, wofür es durchaus ehrenwerte und nachvollziehbare Gründe gibt, kann den "Notstand" aus formalen und ideologischen Überlegungen nicht akzeptieren und weigert sich daher, ein Bündnis einzugehen. - Ich denke aber, dass sich die französische Linke, links von der PS, damit weiter marginalisiert.
Was Linke in der ewigen Minderheit nur schwer hinbekommen, ist ein tiefes Eindenken in die grundsätzlich konservativen Grundeinstellungen der Mehrheiten, in Deutschland und in Frankreich, aber eben auch in Spanien oder Italien. Wer da nicht einmal mehr in die eigene Geschichte zurückgeht und zum Beispiel über historische Kompromisse nachdenkt, der bleibt wo er ist und hilft letztlich den Rechten, ohne es je zu wollen.
Ein großer Teil der Wirkungslosigkeit der Linken erklärt sich genau daher und nun werden sie in Europa von rechten Bewegungen und Rechtspopulisten, sogar bei ihrer alternden Stammwählerschaft und den Jungwählern, ausgekontert, die rechts wählen, weil sie sich auch einmal stark fühlen möchten. - Mir ist klar, dass diese Klientel von ihrer neuen Wahlpräferenz nichts bekommt, sondern nur mit Gefühlen abgespeist wird, aber das ist natürlich öffentlich völlig unerheblich, was ich dazu meine. In Mecklenburg- Vorpommern werden wir das Trauerspiel bald erleben.
Die größte Chance politischer Ohnmacht liegt also im ewigen Ausschluss einer linken Koalition. Einmal passen den zentristisch- linken Restparteien radikale Thesen der Linken nicht, dann wieder wollen Linke nicht über rote Linien, was in der Politik extrem einengt, es sei denn man will mit Gewalt an die Macht. Eine unentschiedene Drittpartei ringt im Zweifel, ob sie lieber einmal die Schwabenkarte ziehen soll, statt sich auf die beiden anderen unsicheren Kandidaten einzulassen.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Genau diese Plattitüde, "One citizen, one vote" ist ohne Absicherung des notwendigen gesellschaftlichen Hintergrundes und einem unabänderlichen Grundrechtsschutz, ohne Gewaltenteilung, ohne Minderheiten- und Oppositionsschutz, ohne freie Öffentlichkeit, nichts wert.
Zum anderen Thema: Ich habe ein Grundrecht und auch ein Gewohnheitsrecht aus langjähriger freier Mitgliedschaft und Faktor der was beiträgt, hier einmal über die dFC, ich nenne bewusst keine Namen, abzulästern.
Sie haben ja ihr Recht nun auch genutzt. Dann ist es ja gut.
Zum Thema Lehrer: Liegt einerseits was drin, andererseits ist es auch ein großes Hindernis, überhaupt gute und nützliche Argumente anzuerkennen. Unbelehrbare gibt es übrigens, nicht unbedingt genderneutral, besonders in Webforen, in erstaunlicher Häufung.
Gutes Wochenende
Christoph Leusch
Beste Grüße
Christoph Leusch
Verstehe. Ich seh da anders, ehrlich gesagt. Ich denke, dass die , die Sie "minoritäre Linke" nannten , ein Auslaufmodell ist, sozusagen die austerbende Opposition , die den Klassenkampf à l'ancienne denken und immer für Arbeit und bzw. bessere Sklaverei gekämpft haben - zum Teil mit temporären Erfolgen damals - zb 68. Von denen kenne ich hier eine ganze Menge , ehemalige Mitglieder der PC oder Front de Gauche , sogar PS. Die haben immer den politischen Weg für möglich gehalten, weil sie an Demokratie glaubten. Sie meinten, man könne den Kapitalismus über die Politik einhegen. Es ist aber ander herum. Der Kapitalimus, nicht als ökonomisches Modell alleine, sondern auch als hierarchisches Herrschaftssystem, das er nun mal ist, hegt die Politik ein. Der "Faschismus" oder meinetwegen auch die "Sozialdemokratie" sind Phänomene dieser "Ordnung". Das akute heißt Neoliberalismus und ist weder neu noch liberal , wie Chomsky treffend sagte. Heute ist der Linken klar, dass der politsche Weg nicht funktioniert. Alle anderen sind mMn keine Linken. Sie meinen es nur zu sein. Sie sind in Wirklichkeit kompromissbereite Untertanen anstatt Antikapitalisten und Demokraten. Sie sehen , dass die Begrifflichkeiten hier etwas variieren, wenn man zurSache kommt.
Der Kampf ist immer der alte, so alt wie die Philosopie. Wir haben es in der Politik mit einem Kämpfgeschen zu tun , das sich nur um die strukturellen Funktionen dreht. Die Herrschaft des Kapitals steht bislang praktisch unhinterfragt - ist fast Tabu, in der Politik sowieso, daher keine Koalition mit denen, die auch nur daran kratzen könnten. Aber es kratzt ja nicht mal eine der "offiziellen" Parteien.
Die "konservativen Mehrheiten" sind bzw. waren immer ein Produkt wie Wachs in den Händen derer , die die strukturelle Macht verkörpern oder darstellen - genug Mittel sind dazu vorhanden. Wenn die Politik etwas verspricht, ist es dieser "produzierten" Mehrheit fast egal ob es ein König tut, Sozialdemokraten oder Faschisten. Die Mehrheit an sich aber dient der Politik nur zum Persilschein der Legitimität, daher bekommt diese mehrheit im Zweifelsfall auch nicht mehr als diesen. Was bleibt ist Gejammer.
Ich denk die Mehrheit ist mittlerweile der Nichtwähler, weil man duchaus begriffen hat, das Wählen (siehe Tucholsky) nichts ändern, und nicht etwa wie die "Politik" gerne sagt, der Bürger unmündig, uninformiert, verantwortungslos wäre oder gar ungebildet oder nur müde. Nein, immer mehr Menschen begreifen das Theater tatsächlich, wenn auch oft resignativ und fatalistisch...
In einem Wahltheater wie dem französischen ist das natürlich unter Umständen wirklich fatal. Die Stimme des Volkes kann sich da wohl kaum duchsetzen , ist auch nicht erwünscht und soll mit allem Mitteln vermieden werden. Bzw ist sie dann logischerweise die derer, die noch nicht kapiert haben wie der Hase läuft, und daher faktisch unterwürfig, aber wichtigtuerisch - man nennt das rechts.
Die letzte Wahl, an der die Mehrheit wirklich Interesse hatte in Frankreioch war die, zu der sich Coluche als Präsidentschaftskandidat presentiert hatte. Das war 1980. Mitterand gewannd die Wahl 81. Danach kam nichts mehr.
Ja, sie erzählen das schon plausibel. Aber es bleibt doch am Ende eine eigentümliche Lehrstelle.
Wenn Linke sich mit allen Mitteln wehren, geteilt mit anderen, z.B. weniger Linken, Rosaroten, und Linksliberalen, bzw. eher zentristischen Grünen, zu regieren, wenn sie antreten, um beständig vor allem die arme PS und die eher noch ärmere, auch viel gedankenschwächere SPD vorzuführen, wenn sie also beständig den politischen Hauptgegner verkennen, braucht man sie am Ende nicht, weil bei der SPD oder der PS nur noch Überlebenswille, aber keine Botschaft mehr bleibt, weder in Frankreich, noch in Deutschland.
Wwalkie hat ja sehr genau den neuen "Star", Emmanuel Macron (Wirtschaftsminister ohne Parteibuch, Experte, absolute Bildungs- und Besitzbürgeroberklasse) vorgestellt. Der kommt letztlich ohne eigene Parteibindung aus und wirkt weit in die liberale und bürgerliche Mitte. Er ist der modische Typus eines politischen Kandidaten, der eher aus einer Situation heraus, dass nämlich große und traditionsreiche Parteien, ja ganze politische Flügel, keine wirklichen Projekte mehr aufgreifen und ihre relativ festen Grundwertvorstellungen gar nicht mehr vertreten wollen, die sie von anderen Parteien noch unterscheiden, sich populär anbieten können. Meist sind es Technokraten aus der langen Beamtenlaufbahn oder Quereinsteiger aus der Wirtschafts- und Finanzwelt. - Auch hier ergeben sich bemerkenswerte Parallelen zur Situation in den späten 20er und den beginnenden 1930er Jahren in beiden Ländern, bevor es zum Zivilisationsbruch kam.
Mir jedenfalls, hilft es erkenntnismäßig nicht weiter, vom "Wahltheater" zu schreiben. Das ist doch die einzige ernsthafte Bühne, auf der es wirklich um die Macht geht. Mich wundert, dass dieses einfache Faktum sowohl gebildete Leute, als auch die Menschen des Alltags, zu denen ich mich unbedingt rechnen würde, dieses Faktum meist ausblenden oder negieren.- Brexit lehrt erneut. Man muss die Wahlen unbedingt gewinnen wollen. Man muss KandidatInnen für die wichtigsten Posten aufstellen, die die Positionen auch wirklich anstreben und diese Dinge nicht aus Parteiraison oder aus übertriebenem Egosimus tun wollen.
Diese Lehre galt doch bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich und ebenso bei der Wahl in Spanien. Ohne Wahlvotum gibt es in Demokratien gar keinen Wechsel und auch keine grundlegende Wende, zum Guten, wie zum Schlechten.
Oben habe ich in einem Kommentar von der demokratischen Erschöpfung der Weimarer Zeit geschrieben und ich denke, dass Tucho mit seinem Malmot zu seiner Zeit genau dies transportierte. - Er hatte nicht Recht und er hat zu früh die Flinte ins Korn geworfen, wie viele andere, die sich der Linken oder dem politischen Liberalismus verpflichtet fühlten, um diesen Standpunkt einzunehmen.
Es ist wichtig, dass jeder Linke begreift, wie wichtig Wahlen sind. Das ist kein Spielchen, das ist die Frage nach der Macht und wer sie sich aneignet. Marine LePen und Donald Trump wissen das genau und sie verhalten sich daher ihrer einzigen Frage angemessen, wenn sie auch völlig irrsinnige Politiken vertreten. Sie nehmen nicht etwa die kleinen Leute ernst, sondern sie sind überzeugt, zu wissen, wo man auf den Knopf drücken muss, um ausreichend Wählern ein Kreuz abzuringen.
Sie sind wahldeterminiert und wahlfixiert, während Linke nun reihenweise anfangen in ihre Marotte der Undeterminiertheit diesbezüglich zu verfallen. Bei der SPD treibt das reihenweise Blüten: Da will man eigentlich nur noch pro forma bei der BT- Wahl mit einem Kandidaten antreten. In Bayern gibt es einen so superrealistischen SPD- Kurs, dass man sich in die Rolle des Mehrheitsbeschaffers für die CSU hineinfantasiert, weil man wenigstens eine Dienstlimousine bewegen möchte. Usw.
Sie haben Recht, es bleibt viel Gejammer. Aber die Überzeugtheit der Rechten, die derzeit überall wächst, rechtfertigt keinesfalls diese unproduktive und politisch ineffektive Gegenstrategie von links.
Gutes Wochenende
Christoph Leusch
Eine Lehrstelle ? Ich kann Leere verstehen. Es ist die Enttäuschung der Mennschen . Der sozial Kampf ist gescheitert. Der politische wird grundsätzlich anhand von flaschen Debatten geführt - muss er ja, denn die Legitimität ist eine erlogene und erkaufte - und das Kapital ein Taboo. Wer will da noch das Problem mit genau dem bekämpfen, durch das es erzeugt wird? Die Geschichte der Linken, gerade der SPD , der PS und auch der Grünen in D-land bezeugt die Niederlage bestens.
Von der Leere, dieser Sinnlosigkeit im Kampf um die Deutung des Phänomens, kann man sich nur abwenden, um es wirklich anders zu machen. Und wenn Sie sich schon erinnert fühlen an die Situation der Linken in den 20ern, dann werden sie wissen was auf dem Spiel steht.
Leerstelle war auch gemeint. Sie haben es passend verbessert.
Ja, genau das steht demnächst auf dem Spiel und es ist eben in der Konsequenz gar keines. Denn die Rechte bricht derzeit jedes Tabu, um, wie es der US- Präsidentschaftskandidat in seiner Abschlussrede entlarvend äußerte, nicht mehr politisch korrekt sein zu müssen. Das kennen wir doch.
Beste Grüße
Christoph Leusch
"One citizen, one vote" ist eine Plattitüde? Hätten Sie's lieber wie im Alten Rom: Frauen und Sklaven dürfen nicht wählen? Frauen heute natürlich schon, insofern sie Akademikerinnen sind? Sklaven sind natürlich nur zum Arbeiten da. Ich empfinde das als eine Verrohung der politischen Sitten. Mit solch arroganten Aussagen wird die Bevölkerung genau der AfD und ähnlichen Gruppierungen in die Arme getrieben. Sie werden entmündigt, wenn andere behaupten, sie wüssten besser, weil sie informierter sind. Sie sprechen von großen Teilen der arbeitenden Bevölkerung und nicht von Kleinkindern. Das lässt sich doch niemand gefallen! Wenn sich Menschen nicht mehr durch die Politik vertreten fühlen, suchen sie nach Alternativen. Wieviele Akademiker kenne ich, die sich einen Schmarrn um Politik scheren! Sie wollen nur immer auf der 'richtigen' Seite stehen, damit sie sich gut fühlen können, und plappern irgendwas nach.
Und zu Erdogan: Es besteht immer noch der Grundsatz, dass sich fremde Staaten nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten anderer Staaten einmischen dürfen. Wenn dieser Grundsatz befolgt würde, sähe die Welt bedeutend besser aus. Von einen Demokratietransfer in völlig andere Lebenswelten à la Syrien oder Libyen, wenn es sein muss, auch mit Gewalt, halte ich gar nichts. Das bringt nur Tod und Verderben!
Nicht nur, dass ein Teil der sog. Linken und Grünen meint, den Menschen ihre Mündigkeit abspricht, sie meinen auch zu wissen, was für andere Länder das Beste ist. Dabei gehe ich mal davon aus, dass ihre Lebensrealität absolut nichts mit der einer Friseuse in Ostdeutschland oder einem anatolischen Bauern gemein hat. Und dass sie diese Lebensrealitäten auch überhaupt nicht interessiert.