Wieder Krieg für Rohstoffe statt Demokratie

Syrien Im Krieg gegen und in Syrien geht es ein weiteres Mal um alles, bloß nicht um Menschenrechte und Demokratie, wie verschiedene Informationen seit einiger Zeit belegen.

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Alan Greenspan, 18 Jahre lang Vorsitzender der US-Notenbank, schreibt in seiner 2007 veröffentlichten Autobiographie „Mein Leben für die Wirtschaft“ auf Seite 503: „Es ist bedauerlich, dass man aus politischen Gründen besser nicht aussprechen sollte, was jeder weiß: Im Irak-Krieg geht es im Wesentlichen um das Öl der Region.“

Verschiedene Informationen deuten darauf hin, dass es sich beim Krieg gegen und in Syrien ähnlich verhält, nur das statt Öl das Gas eine größere Rolle zu spielen scheint. „Der entschlossene Einsatz der bizarren Koalition, die sich aus Katar, Saudi-Arabien, der Türkei und Frankreich zusammensetzt, das Regime von Baschar al-Assad zu stürzen, hat weniger mit aufrichtigem Interesse an Demokratie oder an den Menschenrechten der syrischen Bevölkerung zu tun“, stellte F. William Engdahl in einem Beitrag für das Online-Portal Cashkurs am 13. November 2012 fest. „Es gibt Anzeichen, dass ein neuer Krieg über die Kontrolle von Energie eine ausschlaggebende Rolle in dem sich entfaltenden und äußerst gefährlichen Drama im Nahen Osten spielen könnte.“

Die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten verweisen in einem Beitrag vom 28. Mai 2013 zum aufgehobenen EU-Waffenembargo gegen Syrien auf den Grund, warum das Öl-Scheichtum Katar bisher schon drei Milliarden Dollar in die „Rebellen“ in Syrien investiert hat: „Katar verfügt über die drittgrößten Erdgasvorkommen der Welt. Diese will das Emirat nach Europa exportieren.“ Dabei sei Syrien unter Präsident Bashar al-Assad im Weg: „Russland ist einer der verbliebenen Verbündeten von Assad. Das Land hat kein Interesse daran, dass die Konkurrenz aus Katar Erdgas nach Europa liefert.“ Russland wolle der größte Erdgas-Lieferant nach Europa bleiben.

Auch die junge Welt wies am 18. Mai 2013 auf „die handfesten wirtschaftlichen Interessen, die der Emir von Katar mit seiner gekauften Rebellion in Syrien verfolgt“, hin. „Denn auch in Sy­rien geht es – wie meist im Nahen und Mittleren Osten – um Ressourcen und deren Transportwege“, so Autor Rainer Rupp. „Für Katar steht dabei ganz konkret eine Gaspipeline auf dem Spiel, die über Jordanien nach Kalas in die Südtürkei führen soll, von wo das Gas weiter nach Westeuropa geleitet würde.“ Rupp macht auf Konkurrenzinteressen aufmerksam, die dazu beitrugen, dass der Emir von Katar vom Partner Assads zu dessen Gegner wurde: „Im Juli 2011 unterzeichnete Syrien ein strategisches Abkommen mit Iran und Irak über den Bau einer Pipeline, mit der iranisches Gas aus dem South-Pars-Feld nach Syrien und von dort weiter nach Europa gepumpt werden sollte. Das machte endgültig einen dicken Strich durch die katarischen und europäischen Pläne, aber es gab noch Hoffnung, denn zu der Zeit hatte die von Katar bezahlte ‚Revolution‘ in Syrien bereits begonnen.“

Syrien spielt als Rohstoffproduzent und -lieferant im internationalen Vergleich nur eine geringe Rolle. Für die syrische Wirtschaft selbst spielen Erdöl und Erdgas aber eine wichtige Rolle. „Zusammen mit großen Rohölfeldern hat Syrien zahlreiche Erdgasvorkommen“, heißt es auf der Website made-in-syria.com. „Die Ergasvorkommen sind immens groß und zählen zu den sichersten Wirtschaftseinkommen.“ Die Bundesrepublik war laut einer Pressemitteilung der Deutschen Rohstoffagentur vom 5. September 2011 „der wichtigste Abnehmer für Erdöl aus Syrien“. Das arabische Land habe auf Platz acht der Öllieferanten für die Bundesrepublik gelegen. Das bis dahin etwa 2300 km lange Gaspipeline-Netz solle in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden, stellte die Agentur fest. „Damit versucht Syrien seine geographische Mittellage zwischen Europa und den öl- und gasreichen Staaten des Nahen Ostens (insbesondere Irak und Ägypten) als ‚oil and gas hub‘ zu nutzen.“

Infolge des Krieges in und gegen Syrien muss der einstige Öllieferant nun Öl einführen. „Die Ölproduktion in Syrien ist seit Beginn des blutigen Bürgerkonfliktes vor mehr als zwei Jahren nach Regierungsangaben um 95 Prozent geschrumpft“, so RIA Novosti am 29. Mai 2013. Ursache seien der Terror der „Rebellen und das Embargo des Westens und seiner Verbündeten. Aus demselben Grund sei auch die Gasförderung um die Hälfte zurückgegangen, wird der syrische Ölminister Sulejman Abbas zitiert. Die „Rebellen“ würden Ölquellen zerstören, das Öl in die Türkei verkaufen, ebenso die Ausrüstungen, so der Minister laut der Zeitung As-Safir vom 4. April 2013. Andrew J. Tabler vom Washington Institute for Near East Policy empfahl schon am 19. Juli 2011 der US-Regierung, den syrischen Energiesektor ins Visier zu nehmen, um Assad zu schwächen.

Syrien stehe „im Zentrum des Krieges um Erdgas“, wie Imad Fawzi Shueibi, Vorsitzender des Center for Strategic Studies and Documentation in Damaskus im vergangenen Jahr festellte. In dem Text, den u.a. die Schweizer Wochenzeitung Zeit-Fragen am 4. Juni 2012 veröffentlichte, meint der Wissenschaftler: „Zu einem Zeitpunkt, an dem die Eurozone einzubrechen droht, eine akute Wirtschaftskrise die Vereinigten Staaten in die Schuldenfalle von 14 940 Milliarden Dollar geführt hat und ihr Einfluss auf die Schwellenländer der BRICS-Staaten schrumpft, wird es klar, dass der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg und der politischen Dominanz vor allem bei der Kontrolle über die Energie des 21. Jahrhunderts liegt: dem Gas. Dies ist der Grund, warum Syrien, im Herzen der kolossalsten Gasreserven des Planeten liegend, angegriffen wird.“ Gas werde „die Hauptenergiequelle des 21. Jahrhunderts“ sein, sowohl als Alternative zu den schwindenden weltweiten Ölreserven als auch als saubere Energiequelle. „Daher ist davon auszugehen, dass die Kontrolle über die Gasgebiete der Welt – durch die alten wie auch die neuen Mächte – zur Ursache internationaler Konflikte wird, die sich jeweils regional manifestieren werden.“

Syrien sei, so Shueibi, nach der strategischen Entscheidung des Iran, im Juli 2011 mehrere Vereinbarungen über den Gas­transport durch den Irak nach Syrien zu unterzeichnen, zusammen mit den Gasreserven Libanons zu einem Zentrum für Lagerung und Produktion geworden, bzw. sollte es werden. Es entstehe so in puncto Strategie und Energie „eine ganz neue Einflusssphäre, die sich geographisch von Iran über den Irak bis zu Syrien und Libanon erstreckt“. Das hätte zur Folge, dass die Kämpfe alter und neuer Mächte um die Kontrolle von Syrien und Libanon mit zunehmender Intensität ausgefochten würden. Neben der Analyse der Interessen der verschiedenen Staaten verweist der Autor auf geologische Untersuchungen, nach denen im östlichen Mittelmeerraum, dem Levante-Becken, die ­größten Reserven von Erdgas zu finden seien und Syrien neben Israel, Libanon und Zypern zu den neuen erdgasreichen Staaten gehören könnte. Das Geologische Amt der US-Regierung, US Geological Survey, hatte am 12. März 2010 entsprechende Erkenntnisse veröffentlicht.

Der Online-Fachdienst oilprice.com empfahl in einem Beitrag am 19. April 2013 („SYRIA: Theory for a Possible End Game“; nicht online frei verfügbar) allen, die den Konflikt in Syrien beobachten, die Gasvorkommen im Levante-Becken im Hinterkopf zu behalten. Jeder Bericht der Massenmedien und jedes offizielle Statement solle durch diesen Filter betrachtet werden. Kurz vor Ausbruch des Konflikts in Syrien 2011 habe die Regierung in Damaskus die erste Ausschreibung für die Offshore-Erkundung des Levante-Beckens vorbereitet, so der Fachdienst am 27. April 2013 („Syria: The Next New Frontier, Unexplored and Geopolitically Meteoric”). Das sei auf Eis gelegt worden und die drei Bereiche vor der syrischen Küste blieben gänzlich unerforscht. Geologen würden von einer „Goldgrube“ sprechen und das US Geological Survey das Gesamtvorkommen des Beckens auf 3,5 Billionen Kubikmeter Gas und mindestens 1,7 Milliarden Barrel Öl schätzen. Weitere Informationen dazu sind u.a. in einem Text von Joachim Guilliard vom 6. Januar 2011 zu finden.

Oilprice.com verweist ebenfalls auf das große Interesse von Katar am Sturz Assads aufgrund des „Pipeline-Rennens“ mit dem Iran, um Gas aus dem massiven Pars-Feld unter beiden Ländern zu exportieren. Der Konflikt habe mit dem iranischen Deal mit dem Irak und Syrien für eine Pipeline begonnen. Der „Clou“ sei jedoch die Entdeckung im August 2011 von riesigen Gasfeldern bei Tartus, die Syrien erdgasreicher als Katar machen könnten. Bisher sei Syriens wesentliche Stärke die strategische Bedeutung als Öl-und Gas-Transitland, so der Fachdienst. Die syrische Regierung kontrolliere immer noch die Pipeline-Routen zu den Schlüssel-Mittelmeer-Häfen Tartus, Latakia und Banias. Komme es zu Offshore-Förderung von Gas und Öl könne die Bedeutung Syriens auf der Weltbühne „exponentiell“ steigen.

„Katar hat kein Interesse am Erfolg der Iran-Irak-Syrien Gaspipeline, die gänzlich unabhängig von Katar oder den Transitwegen der Türkei zu den sich öffnenden Märkten der EU ist“, stellte Engdahl am 11. Oktober 2012 in einer Analyse über den „Energiekrieg im erweiterten Mittleren Osten“ für das Online-Magazin GlobalResearch fest (auf deutsch hier). „In der Tat tut es alles was möglich ist, um sie zu sabotieren, bis dahin, die Lumpenmilizen der syrischen ‚Opposition‘ zu bewaffenen.“ Auch das neuentdeckte Gasfeld bei Tartus trage zur Entschiedenheit Katars bei, meint Engdahl. Russland wiederum unterstütze Syrien u.a., weil es für seine Rolle als EU-Gaslieferant „strategisch lebensnotwendig“ sei, eine „bedeutende Rolle“ bei der Ausbeutung der neuentdeckten syrischen Gasreserven zu spielen.

Pepe Escobar spricht in einem Beitrag, der am 6. August 2012 auf der Website des Senders Al Jazeera erschien, vom „Pipelineistan-Krieg“ (auf deutsch hier). „Wer die Interessen ergründen will, die in Syrien kollidieren, tut gut daran, sich mit der geopolitischen Bedeutung Syriens für das eurasische Energie-Schachbrett zu beschäftigen.“ Auch Escobar stellt klar: „Letztlich ist Syrien ein Hauptverkehrsknotenpunkt zukünftiger Öl- und Gaspipelines. Zielmarkt: Europa.“ Die „oberste Paranoia der Europäischen Union“ sei es, eine „Geisel der russischen Gazprom“ zu werden. Die Iran-Irak-Syrien-Gaspipeline wäre sehr wichtig, um Europas Energieversorgung von Russland unabhängiger zu machen. Syrien sei bedeutend als Energie-Kreuzung, „ähnlich wie die Türkei – aber in einem kleineren Maßstab“. Der entscheidende Punkt sei, dass die Türkei Syrien braucht, um seine Energie-Strategie zu erfüllen. Das Urteil sei offen, ob sich dieser komplexe Pipelineistan-Eröffnungszug als „Kriegsgrund für die Türkei und die NATO qualifiziert, um auf Assad loszustürmen“. Escobar erinnert daran, dass die Strategie Washingtons in Südwest-Asien seit der Clinton-Administration die war, „den Iran mit allen notwendigen Mitteln zu umgehen, zu isolieren und zu verletzen“.

Zu den größten Partnern Katars zählt neben den USA übrigens auch die Bundesrepublik Deutschland. So ist es nicht verwunderlich, wenn laut US-Präsident Barack Obama die USA eng mit Katar und anderen Ländern zusammenarbeiten, um "eine Opposition stärken, die ein demokratisches Syrien schaffen kann". In den nächsten Monaten solle weiter daran gearbeitet werden, die syrische Opposition zu unterstützen, so Obama bei seinem jüngsten Treffen mit Katars Emir Hamad bin Chalifa Al Thani laut Süddeutscher Zeitung vom 25. April 2013. Der Emir hofft danach auf eine Beendigung des "Blutvergießens in Syrien, dass die gegenwärtige Regierung die Macht abgibt, um anderen Platz zu machen". Deutschland setzt unterdessen auf mehr Gaslieferungen aus Katar, wie auf der Homepage des Energiekonzerns Wintershall zu lesen ist. Das habe Bundeskanzlerin Angela Merkel am 15. April 2013 auf einer Investorenkonferenz des Golfstaates in Berlin verkündet.

Unterdessen erklärt Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow, dass die Lieferungen russischer Raketensysteme S-300 an Syrien ein „Bremsfaktor für eine Einmischung von außen“ seien, so RIA Novosti am 28. Mai 2013. Und selbst Paulo Pinheiro, Vorsitzender der „unabhängigen“ UN-Kommission für Ermittlung der Menschenrechtsverletzungen in Syrien, hat laut Nachrichtenagentur Reuters vom 29. Mai 2013 inzwischen festgestellt: Die meisten der bewaffneten „Rebellen“ in Syrien streben keine Demokratie in dem Land an.

"Ich möchte nicht so tun, als wüßte ich, wie oder ob die Probleme im Nahen Osten gelöst werden können", schreibt Ex-Notenbankchef Greenspan in seiner Autobiographie. "Ich weiß allerdings, dass die Entwicklung im Nahen Osten ein wichtiger Faktor ist, der in jede langfristige Energieprognose einfließen sollte."

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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