Wissenswertes über Julia Timoschenko

Buch Über eine der Lieblingsoppositionellen des Westens auf dem Gebiet der einstigen Sowjetunion, Julia Timoschenko, ist demnächst in einem Buch mehr zu erfahren

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Die junge Welt brachte am 24. August einen Vorabdruck aus dem Buch von Frank Schumann "Die Gauklerin - Der Fall ­Timoschenko", aus dem ich wiederum einen Auszug zitiere:

"Die ehemalige Regierungschefin der Ukraine, Julia Timoschenko (51), wurde 2011 zu sieben Jahren Haft verurteilt – wegen der gleichen Delikte, deretwegen Timoschenkos Protegé Pawlo Lasarenko, 1996/97 Ministerpräsident der Ukraine, in den USA neun Jahre bekam: nämlich wegen Geldwäsche, Korruption und Amtsmißbrauch. Nun steht eine weitere Klage ins Haus: Beihilfe zum Mord. Über Timoschenkos Konten sollen jene Millionen geflossen sein, mit der eine elfköpfige Bande bezahlt wurde, die 1996 in Donezk einen politischen Konkurrenten aus dem Weg räumte.
Der Umstand, daß in der Bundesrepublik Timoschenko erstaunlicherweise und sehr apodiktisch als unschuldiges Opfer und nicht als kriminelle Strippenzieherin dargestellt wird, veranlaßte den Berliner Verleger und Publizisten Frank Schumann, sich in der Ukraine umzuschauen. Er sprach mit Juristen, Parlamentariern, Ärzten, Ermittlern, Häftlingen und Zeugen, war in Gefängnissen, Gerichtssälen und auch in der neunten Etage des Eisenbahnerkrankenhauses in Charkow, in denen aktuell Timoschenko behandelt wird. Und machte sich ein eigenes Bild. Im September erscheint in der edition ost sein Buch »Die Gauklerin. Der Fall Timoschenko« ...

Anderentags bin ich in der Riznytska-Straße, in einem gewaltigen Gebäude mit einem alten und neuen Teil. Hier sitzt die Instanz, die »Rechtsstaatlichkeit« herstellen soll. Ohne den Mann, der mich an der Wache abholt und über viele Treppen und verwinkelte Gänge, in denen dicke Teppiche jeden Tritt schlucken, in das Zimmer von Renat Kuzmin führt, hätte ich das Büro des 1. Stellvertretenden Generalstaatsanwalts der Ukraine nie gefunden. Der Mittvierziger mit dem grauen Dreitagebart schaut ernst, er wirkt älter. Er gilt als Schlüsselfigur auch im Fall Timoschenko. Der 1991er Absolvent der Ukrainischen Akademie der Rechtswissenschaften, ist, wie es heißt, offiziell zuständig für die unmittelbare Beaufsichtigung des Außenministeriums sowie für internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe. Ihn steuern darum vorrangig die protestierenden Politiker des Westens an, wenn sie Klage im Fall Timoschenko führen. ...

Zurück auf Anfang: Kuzmin kennt die Vorhaltungen zur Genüge. Im Vorgriff auf meine erwartete erste Frage, die ich aber nicht auf den Lippen hatte, erklärt er mir, daß die ukrainische Justiz bereits seit anderthalb Jahrzehnten gegen Frau Timoschenko ermittle, praktisch unter allen Präsidenten. Es habe zehn strafrechtliche Ermittlungen gegeben, das erste Mal seien sie, ihr Mann und der Buchhalter 2000 inhaftiert worden. Das Verfahren, welches im Vorjahr zum im Westen kritisierten Urteil führte, gehe auf den Gasvertrag mit Rußland von 2009 zurück. Seinerzeit habe Präsident Juschtschenko auf einer außerordentlichen Sitzung des nationalen Sicherheitsrates die Justiz aufgefordert, der Sache nachzugehen. Die Ermittlungen seien aber erst abgeschlossen worden, als bereits Janukowitsch, der aktuelle Präsident, im Amt war. Mithin: Es sei eine Mär, Frau Timoschenko sei aus politischen Gründen von ihren Gegnern kriminalisiert worden; als sie noch Ministerpräsidentin war, sei sie keine Heilige mit weißer Weste gewesen. ...

Ich wechsle das Thema. Sein Name stehe auf einer sogenannten Schwarzen Liste, welche die – natürlich von Timoschenko geführte – Opposition in Westeuropa und in den USA verbreitet. Darauf aufgeführt seien die »Feinde der Demokratie« in der Ukraine. Was er davon halte? Nichts, sagt Kuzmin, das sei nur Futter für die Presse. Ein namhafter Feind der Demokratie befinde sich derzeit in der neunten Etage des Eisenbahnerkrankenhauses in Charkow. »Timoschenko ist eine Verbrecherin. Diese Tatsache unterliegt keinem Zweifel.«

Nun hat aber jeder Strafprozeß gegen einen Politiker zwangsläufig eine politische Dimension, werfe ich ein, denn er wird ja nicht als Krimineller, sondern als Politiker verurteilt, weshalb es leicht sei, von politischer Repression zu sprechen.

Vor dem Gesetz sind zwar alle gleich, aber die, die die Gesetze machen, möchten dann doch ein wenig anders und nicht wie alle anderen behandelt werden, ergänzt Kuzmin lächelnd. Man habe zwar im ersten Verfahren juristisch gesiegt, aber politisch scheint noch immer Timoschenko zu gewinnen. ...

Was Diktatur und was Demokratie ist, bestimmen die in Westeuropa herrschenden Kreise und ihre Medien.

Es gibt bei uns ein Sprichwort: Wer etwas erreichen möchte, sucht nach Wegen. Wer nicht will, sucht nach Ausreden. Wir wollen mit der Ukraine nach Europa, ohne unsere Brückenfunktion zu Rußland aufzugeben. Timoschenko hat Ja zu EU und zur NATO gesagt, die jetzige Administration hingegen sieht das ein wenig anders. Das ist der Kern des Problems. Man braucht im Westen Timoschenko, um uns die kalte Schulter zeigen zu können. Und wenn es diesen Fall nicht gäbe, hätte man etwas anderes gefunden, etwa daß unsere Autos stinken und gegen die Umweltrichtlinien der EU verstießen. Insofern ist Timoschenko ein Instrument des Westens. Und sie wiederum instrumentalisiert den Westen, seine Medien und die dortige Öffentlichkeit für ihre eigenen Interessen. Sie ist eine ziemlich clevere und kluge Geschäftsfrau und als Politikerin noch lange nicht erledigt. ..."

Mehr gibt es hier zum Lesen und Nachdenken, auch angesichts des russischen PR-Theaters.

Nachtrag: Passend dazu ist ein Beitrag von Eckart Spoo, der in Ossietzky 14/2012 erschien: "Milliardäre in Haft". Spoo stellt ein Buch der russischen Journalisten Viktor Timtschenko vor, das sich mit dem Fall des russischen Milliardärs Michail Chodorkowskij beschäftigt, einem weiteren Lieblingsoppositionellen des Westens und "Lichtgestalt" im Kampf gegen den "Diktator" Wladimir Putin. "Das Ergebnis seiner Recherche liegt jetzt vor, eingeleitet von der langjährigen ARD-Korrespondentin in Moskau, Gabriele Krone-Schmalz, die das Buch besonders all denen zur Lektüre empfiehlt, »die immer schon wußten, daß Chodorkowskij ein Opfer russischer Willkürjustiz ist, und die nicht müde werden, ihre Wertungen mit der in solchen Fällen üblichen Mischung aus Abscheu und Empörung in die bereitstehenden Kameras zu schleudern, ohne die geringste Hemmung oder den leisesten Zweifel, vielleicht doch nicht so genau zu wissen, geschweige denn zu begreifen, was da vor sich geht«. ...
Der schnelle Verkauf Rußlands an US-Konzerne und vielleicht auch an einige deutsche und britische wurde verhindert – nicht allein durch die Inhaftierung Chodorkowskijs bald nach seiner Rückkehr von einem Treffen mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney und durch seine Verurteilung in zwei Verfahren, sondern offenkundig durch die Politik Wladimir Putins. Darum die bitterbösen Behauptungen über Putins Eingreifen in dieses Verfahren, wofür es keinerlei Belege gibt. Uns für das Geflecht politischer Interessen rund um den Kriminalfall Chodorkowskij, an dessen gerichtlicher Aufklärung allem Anschein nach wenig auszusetzen ist, die Augen zu öffnen, ist Timtschenkos wichtigstes Verdienst. ..."

Mehr zu Timtschenkos Buch kann hier nachgelesen werden.

aktualisiert: 26. August 2012, 19.47 Uhr

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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