Der Charme des Wasserstoffs

Energetischer Materialismus Abstieg in die Erdkruste, Ritt durch die Geschichte und am Ende doch aufs falsche Pferd gesetzt - Jeremy Rifkins "Die H2-Revolution"

Das Markenzeichen von Jeremy Rifkin ist die punktgenaue Landung auf einem Nerv der Gesellschaft - kenntnisreich, unterhaltsam und doch, im Unterschied zu vielen anderen marktschreienden Zukunftsexperten, seriös präsentiert. Wer geistig in der Zukunft lebt, wer sowohl die Szenarien des Niedergangs als auch die Pfade der Hoffnung ahnt, der will nicht nur sachlich informieren, sondern auch eingreifen, zuspitzen und appellieren. Daran ist nichts auszusetzen, und gerade Rifkin hat das mit seinen Büchern immer wieder erfolgreich getan. Das Ende der Arbeit (1995) und vor allem Access (2000), Rifkins Abhandlung über Eigentum im Netzzeitalter, waren solche Volltreffer, die heute noch lesbar sind, wenngleich im Rückblick deutlich wird, dass so manche notwendige Differenzierung von der Gewalt der vorgetragenen These erschlagen wurde. Sicheres Gespür für die aktuelle Themenkonjunktur beweist Rifkin auch mit seinem neuen Buch. Während der im Weißen Haus residierende Exekutivausschuss der amerikanischen Ölindustrie einen Ressourcenkrieg plant, bringt Rifkin sein Gegenmodell auf den Markt: Wasserstoff statt Öl oder, wie es im Untertitel heißt, "mit neuer Energie für eine gerechte Weltwirtschaft".

Zunächst begibt sich Rifkin tief in die Erdkruste und referiert den geologischen Stand der Dinge. Einig seien sich die Experten darin, dass die Ölförderung vom erreichbaren Maximum nicht sehr weit entfernt ist. Frühestens 2010 und spätestens 2040 sei der Scheitelpunkt erreicht. Nach den Erfahrungen der vergangenen 30 Jahre, nach der intensiven Erkundung der meisten Verdachtsgebiete, könne auch nicht mehr mit großen, bisher unentdeckten Vorkommen gerechnet werden, zumindest nicht mit solchen, die mit vertretbarem Aufwand zu erschließen sind. Ölschiefer, Teersand oder Schweröle seien wegen hoher Verarbeitungskosten und noch schlechterer Öko-Bilanz keine Alternative. Und beim Erdgas werde das Fördermaximum mit anschließendem Preiskrieg dem Öl schon bald folgen. Bleibt die Energiebasis fossil, so Rifkins Zwischenfazit, wäre, abgesehen vom ökologischen Kollaps, auch der wirtschaftliche Niedergang der Industriegesellschaften mehr als wahrscheinlich.

Nach seinem Abstieg in geologische Tiefen wagt Rifkin einen Ritt weit zurück in die Geschichte und findet einen roten Faden. Von den Anfängen im Nahen Osten, in Nordafrika, China und Indien, über das römische Reich, bis hin zur Gegenwart, seien Kulturen immer wieder daran gescheitert, ihr Energieproblem zu lösen. Das alte Rom etwa sei letztlich nicht an der Dekadenz seiner herrschenden Klasse oder seiner imperialen Überdehnung, sondern an der nachlassenden Fruchtbarkeit der Böden und den rückläufigen Ernteerträgen, also an der Verminderung landwirtschaftlich produzierter Energie, zugrunde gegangen. Der Versuch, die Ernteperioden zu verkürzen und so dem Boden mehr zu entreißen, verschärfte nur das Problem. Das mittelalterliche Europa, ein anderes Beispiel, war ganz auf Holz als primärer Energiequelle angewiesen. Steigender Bedarf führte auch hier zu einer Lösung, die den Konflikt auf die Spitze trieb: Raubbau an den Wäldern, Erschöpfung der Bestände und steigende Preise.

Nach einer Phase sinkender Energieeffizienz und anschließendem Raubbau wurde, zumindest in der Neuzeit, immer wieder eine neue Energiequelle gefunden. Dem Holz folgte die Kohle, der Kohle das Öl und dem Öl das Gas. Zuerst werden die leicht zugänglichen und unmittelbar nutzbaren Energieträger verwendet. Beim Übergang zum nächsten steigt zwar der Förderaufwand, aber auch der Wirkungsgrad. Gleichzeitig haben die Übergänge von dem einen zum anderen Energieträger Konsequenzen für die gesellschaftliche Organisation. Holz eignet sich noch für dezentrale, kleinteilige Produktion, Kohle schon nicht mehr und die vom Öl abhängige Gesellschaft ist eine hierarchische, zentralistische und anfällige Maschinerie.

In der Endphase von Öl und Gas angelangt, fragt man sich nun: What´s next? Wer ist der aussichtsreichste Nachfolgekandidat und wie wird er die künftige Gesellschaft prägen? Rifkin zögert nicht mit seiner Antwort und erliegt - unverzeihlich und ärgerlich - einem folgenschweren Irrtum. Wie konnte er, der Trendforscher, so zielsicher auf das falsche Pferd setzen? Hat sich Rifkin, der Berater, falsch beraten lassen? Hat er, der Generalist, den Überblick verloren? Da Rifkin aufrecht genug sein wird, nicht vordergründig Industrieinteressen zu bedienen, bleibt als Erklärung nur, dass er sich allzu sehr in das von ihm selbst - mit groben Strichen, aber doch sehr streng - gemalte Bild einer quasi gesetzmäßigen Abfolge vorherrschender Energieträger verliebt hat. Und bei den Naturwissenschaftlern hat er dafür auch noch den passenden Begriff gefunden: Dekarbonisierung. Mit jedem Übergang - Holz, Kohle, Öl, Gas - nehme der Anteil des Kohlenstoffs (Karbonium) ab und verschiebe sich das Verhältnis zwischen Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen. Beträgt das Verhältnis beim Holz noch zehn zu eins, so hat es sich beim Erdgas umgekehrt: eins zu vier zu Gunsten des Wasserstoffs. Die Konsequenz liegt scheinbar auf der Hand: am Ende wird nur noch Wasserstoff übrig bleiben. Wasserstoff, das ist es. Heureka.

Der Fund wird gefeiert. Wasserstoff ist leicht, effizient, fast immateriell, überall auf der Erde vorhanden und verbrennt - klimarettend - zu nichts als Wasser. Brennstoffzellen, die Aggregate, die Wasserstoff in Energie verwandeln, gibt es ja längst. Technisch gereifte Versionen könnten überall eingesetzt werden - zum Antrieb von Autos und zur Produktion von Strom. Theoretisch könnte jeder "Prosument" werden, also sowohl Produzent als auch Konsument von Energie. Am Ende seines Höhenflugs konstruiert Rifkin das "Hydrogen Energy Web", ein analog dem Internet gedachtes, weltweites Stromnnetz auf Wasserstoffbasis, mit dem die "Prosumenten" ihre Überschüsse austauschen.

Natürlich kennt Rifkin den Haken seiner grandiosen Konstruktion: Wasserstoff existiert auf der Erde nicht in Reinform, sondern muss aus anderen Stoffen - Öl, Gas oder vorzugsweise Wasser - gewonnen worden. Dafür braucht man aber wiederum Energie. Wirtschaftlich wie auch ökologisch beisst sich die Katze nur dann nicht in den Schwanz, wenn die Gewinnung von Wasserstoff mit einer kostengünstigen und sauberen Zusatzenergie erfolgt. Erneuerbare Energien könnten das leisten, meint Rifkin. Natürlich, das könnten sie. Aber warum sollten sich Sonne, Wind und Wasser auf diesen Umweg begeben? Die Energie, die sie liefern, kann auch direkt in Strom und Heizwärme verwandelt werden. In einer schlüssigen solaren Strategie hat Wasserstoff durchaus seinen Platz: als punktuell einsetzbarer, hochkonzentrierter Energieträger und als Speichermedium. Rifkin aber, und das ist sein Irrtum, kehrt die Sache um. Erneuerbare Energien stehen bei ihm nicht mehr im Zentrum einer energiepolitischen Wende, sondern sind nur noch Teil einer Wasserstoffstrategie, die zwangsläufig hohe Umwandlungsverluste einschließt und wegen ihrer komplizierten und damit herrschaftsanfälligen Infrastruktur wohl auch nicht den Grad an dezentraler Energiesouveränität bringen wird, den er verspricht.

Jeremy Rifkin: Die H2-Revolution. Mit neuer Energie für eine gerechte Weltwirtschaft, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2002, 304 S., 25, 50 EUR

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