Ich habe da noch ein FDGB-Heim in Altenhof am Werbellinsee. Das ist eigentumsrechtlich sauber«, meinte Frau Hermann (*), die in der Treuhandanstalt für ehemalige Gewerkschaftshäuser zuständig war. »Gut, wenn Sie mir das tatsächlich zusichern können, werde ich keine Sekunde warten.« Dennoch blieb ich skeptisch. Während der einstündigen Fahrt, irgendwann im Sommer 1991, gingen mir die bisherigen Fehlschläge durch den Kopf.
Vor allem Dolgenbrodt. In dem winzigen Dorf im Südosten Berlins, in dem damals das später abgefackelte Asylbewerberheim noch stand, hätten wir es fast geschafft. Am Ortseingang, direkt am Wasser, am sogenannten Sauwinkel, der den Langen See mit dem Dolgensee verbindet, lag das noch vor dem Krieg gebaute Schulungsheim der Reichspost. Das Grundstück mit seinen knapp 20.000 Quadratmetern hätte für unsere Zwecke gereicht. Die zehn massiven Bungalows - vom Feriendienst der DDR-Gewerkschaft in den sechziger Jahren errichtet - mussten natürlich weichen. Der Altbau sollte aber auf jeden Fall bleiben. Atmosphärisch unverzichtbar, meinte schließlich sogar der Architekt, der zunächst unsicher war, ob er den erforderlichen Neubau auf dem Rest des Grundstücks würde unterbringen können. Wir brauchten Platz für 150 Patienten. Indikation: Alkohol- und Tablettensucht.
Dringenden Bedarf für eine Klinik dieser Art und Größe im Umland Berlins hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bereits kurz nach dem Mauerfall signalisiert. In der westdeutschen privaten Klinikszene war damit das Rennen um den Belegungsvertrag eröffnet. Ein Rennen, das wir gewinnen wollten. Vor allem Thomas - Herz und Hirn unseres Teams. Er war seit 1981 Chefarzt einer westfälischen Reha-Klinik, zunächst auf Krebs-Nachsorge und dann auf Sucht spezialisiert. Inhaber war ein Bauunternehmer aus Osnabrück. Dessen dubiose Praktiken kannte Thomas nur zu gut: gegenüber dem Belegungsträger die Investitionskosten hochrechnen, satte Pflegesätze aushandeln und später die Therapiekosten senken. Seine Wut über dieses rein monetäre Interesse flammte gelegentlich immer wieder auf, fand allerdings auch stets eine Grenze. In solchen Augenblicken lag ihm immer »Hic Rhodus, hic salta« auf der Zunge - wenn Du etwas anderes willst, tu es hier und jetzt.
Lange hatte sich Thomas vor der Konsequenz des Zitats gedrückt. Am 9. November 1989 ahnte er bereits die Entscheidungsnot, in die er bald kommen würde. Am 3. Oktober 1990 wurde sie zur Gewissheit. Wenn Du jetzt nichts tust, wenn Du jetzt nicht selbst zum Unternehmer wirst, wenn Du jetzt nicht die Chance ergreifst, die im Osten Deutschlands liegt, dann jammere nie wieder über die elenden Geschäfte der Beton-Mafia. Investieren statt lamentieren - seine Frau Gudrun hatte es auf den Punkt gebracht. Und ich, Standort-Scout und Nummer Drei im Team, sollte ihn finden, den Punkt im märkischen Sand. Er lag in Dolgenbrodt. Sechs Monate lang war ich ziemlich sicher. Thomas hatte mit der BfA die ersten Verhandlungen geführt und die Zustimmung zum Standort erhalten. Auch der Gemeinderat, der damals noch nicht wusste, dass Investoren, auch wenn sie eine Suchtklinik planen, pfleglich zu behandeln sind, wurde schließlich überzeugt.
Absender: Oberpostdirektion
Nur die Eigentumsfrage blieb. Ein Herr Spohn aus Brasilien hatte einen Antrag auf Naturalrestitution, also auf Rückübertragung des Grundstücks gestellt. Sein Vater sei 1935 zum Verkauf an die Reichspost gezwungen worden. Das Datum weckte Zweifel. Denn die Welle der Zwangsverkäufe von jüdischem und anderem Besitz hatte erst 1936 eingesetzt. Das Vermögensamt musste entscheiden, tat es aber nicht. Die Aktenlage sei mangelhaft und das Personal überlastet. Also Amtshilfe leisten und selber suchen. Im Archiv des Finanzamtes Königs Wusterhausen wurde ich schließlich fündig. Aus alten Steuerbescheiden ging ziemlich eindeutig hervor, dass das Grundstück zu einem Preis verkauft worden war, der den damals allgemein üblichen Erlösen durchaus entsprach. Meine zwar indirekte, aber - wie ich fand - durchaus schlüssige Beweisführung präsentierte ich dem zuständigen Sachbearbeiter im Vermögensamt und bat nun um Beschleunigung der Entscheidungsfindung. Diese ward zugesichert, kam aber zu spät.
Zwischenzeitlich hatte ein Postsportverein von der Sache Wind bekommen. Ob durch meine intensiven Recherchen alarmiert oder nicht, ließ sich später nicht mehr rekonstruieren. Jedenfalls lag bald ein zweiter förmlicher Antrag auf Rückübertragung vor. Absender: Oberpostdirektion. Auch dieser Eigentumsanspruch war nicht eindeutig zu begründen - so weit kannte ich die Aktenlage. Nur hatten wir keine Zeit für ein langwieriges Prüfungsverfahren, weil wir stets damit rechnen mussten, dass die Konkurrenten der BfA ein entscheidungsreifes Projekt vorweisen würden. So starb der Standort Dolgenbrodt, die »Sauklinik zum Suchtwinkel«, wie wir sie rückblickend nur noch nannten.
Das Grundstück in Altenhof, dessen juristische Sauberkeit Frau Hermann beschworen hatte, besaß nicht den Charme, mit dem wir in Dolgenbrodt verwöhnt worden waren. Aber es war äußerst praktisch - etwa 34.000 Quadratmeter groß, Baumbestand nur am Rande, gut erschlossen - und nett gelegen, an der geschwungenen, zum Werbellinsee hin abschüssigen Straße. Drohend stand allerdings in der Mitte ein fünfgeschossiger Plattenbau. Dessen Sanierungsfähigkeit konnte ich nicht beurteilen, wohl aber, wie ich glaubte, die eigentumsrechtliche Situation. Die schien in der Tat eindeutig zu sein. Gleich bei meinem ersten Besuch präsentierte Bürgermeister Bergner einen aktuellen Grundbuchauszug, der keinerlei Hinweis auf problematische Eigentumsübergänge enthielt. Der Eintrag »Eigentum des Volkes« war gültig und kaum anfechtbar. Verkaufsberechtigt war also die Treuhandanstalt, und sie hatte die Gemeindevertretung aufgefordert, zwischenzeitlich für eine angemessene Nutzung des leer stehenden Gebäudes zu sorgen und mit potenziellen Investoren zu sprechen. Beste Voraussetzungen also für zügige Verhandlungen. Tatsächlich kamen wir schnell voran: positives Gutachten des Architekten, Ochsentour durch Hauptausschuss, Bauausschuss und Gemeinderat. Und am Ende, nachdem erregte Stimmen Unmut über Heroin-Tote in den Straßen von Altenhof geäußert hatten, noch eine große Bürgerversammlung, die für allgemeine Aufklärung sorgte.
Alex Motte
Alles schien gelaufen. Im Geiste stand sie bereits wieder, unsere Klinik, nicht am Sauwinkel, sondern am Werbellinsee. - Doch dann kam er, der große Unbekannte, vor dem wir alle erschraken. Mit starrem, vernichtendem Blick und mit wehenden Haaren. So war er und so beherrschte er sein Volk. Alex Motte, Inhaber einer Werbeagentur im Westteil Berlins, von gutgläubigen Ossis zum Bürgermeister von Groß Schönebeck gewählt und inoffiziell der Django der Schorfheide, kannte die Grenzen seines Gebiets genau. »Das ist unser Land«, so marschierte er in die Altenhofer Gesprächsrunde, die eine der letzten hätte werden sollen. »Hier ist der Gemarkungsplan, der keinen Zweifel erlaubt.« Er hatte Recht. Das Grundstück, unser Grundstück, gehörte zu seinem Reich und unterlag damit nicht der Planungshoheit von Altenhof. Unfassbar. Niemand hatte die Gemeindegrenzen überprüft. Weder die gute Frau Hermann in Berlin noch unser Freund Bergner. Das war das Ende. Letzte Versuche der Treuhandanstalt, als Grundstückseigentümerin zu unseren Gunsten zu intervenieren, schlugen fehl. Alex Motte saß am längeren Hebel. Vor allem hatte er eigene Pläne, auch ganz persönliche, wie sich später zeigte.
(*) Die Namen der Personen geändert.
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