Spekulation einzudämmen, ist das zentrale Anliegen der Tobinsteuer. Nur wie lässt sich Spekulation definieren? Im Unterschied zu ATTAC und vielen anderen Kritikern schrankenloser Liberalisierung geht Paul Bernd Spahn nicht davon aus, dass der Umfang des notwendigen und sinnvollen Devisenhandels an der Finanzierung von Investitionen im Ausland beziehungsweise von Export und Import auszurichten ist. Denn jedes realwirtschaftliche Geschäft könne eine Fülle von Finanztransaktionen auslösen, etwa um die Risiken dieses Geschäfts zu verteilen. Zum überwiegenden Teil diene der Devisenhandel dem Austausch überschüssiger Liquidität und nicht der Spekulation. Denn - so sein weiteres Argument - Großbanken halten Devisen immer nur für extrem kurze Zeiträume und achten stets darauf, dass in ihrem Bestand bestimmte Währungen nicht überproportional vertreten sind. Deshalb orientiere sich ihre Geschäftspolitik nicht an den Kursschwankungen.
Im Gegensatz zu den Großbanken, die nach Spahns Auffassung mit ihrem Liquiditätshandel für Stabilität sorgen, seien Investmentfonds, die unmittelbar auf Schwankungen der Wechselkurse wetten, die wahren Übeltäter. Jede einheitliche Devisentransaktionssteuer stehe damit vor einem Dilemma: Ein zu hoher Steuersatz hätte negative Folgen für den Austausch von Liquidität und ein zu geringer Steuersatz würde die wahren Spekulanten nicht abschrecken.
Um diesen Widerspruch zu lösen, schlägt Spahn ein doppeltes Verfahren vor: eine einheitliche Tobinsteuer mit sehr geringem Steuersatz für alle Devisengeschäfte und eine spezielle Zusatzabgabe, die bei starken Kursschwankungen Spekulanten mit einem sehr hohen Steuersatz belasten soll.
Das erste Teil des Spahn-Konzepts, die klassische Tobinsteuer mit einem Steuersatz von 0,5 beziehungsweise maximal einem Basispunkt (ein Hundertstel von einem Prozent), soll zwar auch der Stabilisierung der Wechselkurse dienen, hätte aber vor allem eine Einnahmefunktion für die Staaten, die eine Tobinsteuer einführen. Den extrem niedrigen Steuersatz rechtfertigt Spahn mit dem Hinweis auf die geringfügigen Handelsspannen, die auf den großen Märkten, etwa beim Tausch von US-Dollar und Euro, nur ein bis zwei Basispunkte betragen. Ein Steuersatz, der über diesen Handelsspannen liegt, würde diese Märkte entweder ganz austrocknen oder - falls es zu einer Überwälzung der Steuer kommt - die Endkunden zu sehr belasten. Praktikabel sei die Tobinsteuer deshalb nur mit niedrigen Sätzen und - eine weitere Bedingung - wenn sie von mindestens einem Handelszentrum, also beispielsweise von der Europäischen Union, eingeführt würde.
Bei der Zusatzabgabe orientiert sich Spahn an dem von 1979 bis zur Euro-Einführung geltenden Europäischen Währungssystem (EWS), bei dem ein Zielkorridor für den Wechselkurs der beteiligten Währungen vereinbart wurde. Ein solche Zielzone könne auch für einzelne, vor allem für spekulationsgefährdete Währungen - jeweils im Verhältnis zu einer Ankerwährung wie Dollar oder Euro - ausgehandelt werden. Während allerdings beim EWS die beteiligten Zentralbanken das Verlassen des vereinbarten Zielkorridors mit Stützungskäufen und attraktiven Zinsen zu verhindern hatten, setzt Spahn auf eine spezielle Spekulationssteuer, die automatisch dann auf alle Käufe und Verkäufe erhoben wird, wenn der Wechselkurs, der diesen Devisengeschäften zugrunde liegt, die vereinbarte Zielzone verlässt. Statt also schwache Währungen mit den traditionellen und häufig wirkungslosen Mitteln der jeweiligen Zentralbank zu subventionieren und dabei Geld zu verlieren, würde der jeweilige Staat auf spekulative Angriffe eine Steuer erheben und Einnahmen erzielen.
Um gleichzeitig aber auch Anpassungen von Wechselkursen zu ermöglichen, könnte als Mittelwert für den Korridor - als Zielgröße - ein gleitender Durchschnitt von täglichen Mittelkursen der betreffenden Währung im Verhältnis zu einer Ankerwährung gewählt werden. So würde sich der Zielkorridor der jeweiligen Lage allmählich anpassen. Kurzfristig orientierte Spekulation, die sich in abrupten und heftigen Schwankungen der Wechselkurse ausdrückt, würde dagegen unmittelbar und automatisch - über vorinstallierte Software - bestraft, indem Gewinne, die aus dem Verlassen des Zielkorridors resultieren, mit hohen Steuersätzen zwischen 50 und 100 Prozent belegt werden.
Im Spahn-Konzept hat die Zusatzabgabe vor allem eine "regulative" und weniger eine "fiskalische" Funktion: Erfüllt sie ihren Zweck, gibt es kein Steueraufkommen. Entwicklungs- und Schwellenländer, die Zugang zum internationalen Kapitalmarkt suchen, könnten sich unter dem Schutz dieser besonderen Spekulationssteuer stärker auf die Binnenwirtschaft konzentrieren und ihre Abhängigkeit von äußerem Kapital und internationalen Organisationen verringern. Langfristig orientierte Investoren wie auch Exporteure und Importeure sollten ebenfalls von dieser besonderen Spekulationssteuer profitieren, weil dieses Instrument, das in nationaler Verantwortung eingeführt werden kann, wie eine Rückversicherung gegen kurzfristige Schwankungen wirkt.
Spahn, Paul Bernd (2002). Zur Durchführbarkeit einer Devisentransaktionssteuer. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Goethe-Universität Frankfurt, www.wiwi.uni-frankfurt.de/professoren/spahn/tobintax
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