In der Glaubwürdigkeitsfalle

Kommentar PDS zwischen Moral und Kanzlerwahl

Für eine linke Partei geht es nicht darum, ob sie sich am Streit um die Macht beteiligen soll. Das soll sie und muss sie, sonst hätte sie ihren Zweck verfehlt. Eine Partei, die parlamentarisch nur Opposition sein will und sonst nichts, macht sich auf Dauer lächerlich. Aber wofür, für welche Ziele soll Macht eingesetzt werden? Und wie, mit welchen Mitteln, soll sie errungen und ausgeübt werden? Zweierlei braucht man, so die übliche Antwort: Programme, die das Handeln in der Gegenwart mit der Vision für die Zukunft verbinden, und Personen, die diesen Spagat bewältigen.
Spätestens seit den scheinbar endlosen Skandalen der vergangenen Jahre aber wissen wir, dass noch weitere Elemente hinzukommen müssen: Moral, Glaubwürdigkeit und Transparenz. Das zu verlangen, heißt nicht, die alte reformistische Losung, der Weg sei alles, wieder aufleben zu lassen oder den jesuitischen Leitsatz, das Ziel heilige die Mittel, einfach umzudrehen. Moral ist auch kein Ersatz für programmatische Klarheit, kein Kanon von Sekundärtugenden. Politik sollte sich weder auf aktionistisch begründetes Eingreifen noch auf ziellose Verhaltensnormen reduzieren. Ein falsches Verständnis von Moral wäre auch das Verlangen, das Ziel nur bei vollständiger Reinheit des Weges anzugehen. Denn Gesinnungsethik (fiat justitia, pereat mundus - es lebe die Gerechtigkeit, auch wenn die Welt zu Grunde geht) schließt eine demokratische Politik aus, die letztlich immer die Kunst des Machbaren und des Vermittelns bleiben wird. Nicht religiöse Erlösung, sondern Lösung der Probleme ist die Aufgabe.
Die PDS ist programmatisch und personell, trotz Gysis Faux Pas, weit besser als ihr derzeitiger Ruf. Aber dass eine Partei, die für politische Alternativen stehen will, auch in ihrer alltäglichen Praxis alternativ, also durch und durch glaubwürdig handeln muss, hat sie noch nicht begriffen. Längst hätte sie beispielsweise strikte Verhaltensregeln für die eigenen Mandatsträger verabschieden, Einkommens- und Vermögensverhältnisse von KandidatInnen ins Internet stellen und innerhalb der eigenen Reihen für ein Verständnis von praktischer Politik sorgen können, das sich strikt an der Partizipation der Bürger, an der Transparenz aller öffentlichen Angelegenheiten und an der Verbindlichkeit der eigenen Wahlaussagen orientiert. Bis vor zwei Wochen war schließlich nicht die Gewalt der Natur, sondern die Moral der Politik das beherrschende Thema. Wenn sich nun Zimmer, Claus, Pau und Bartsch in ihrem Wahlaufruf zur Bundestagswahl 2002 dazu bekennen, notfalls zur Schröder-Mehrheit beizutragen und gleichzeitig alle Kernpunkte der PDS-Politik aufrechtzuerhalten, sitzt die PDS in der Glaubwürdigkeitsfalle. Beides passt nicht zusammen.
Die Elbe-Flut ist nicht nur gnadenlos, sie ist auch barmherzig. Die großen Parteien sind reingewaschen von Spendenskandal und Klüngelsumpf. Hier die schreckliche Katastrophe - dort die unverhoffte Katharsis. Und zwischen beiden Extremen rudert die PDS - auch selbstverschuldet - um ihr bundespolitisches Überleben.

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