Kein Verstecken, keine Rituale

Linke Allianz Wenn die Zeit reif ist, muss man springen

Eine merkwürdige Mischung aus Zuversicht, Konfusion und taktischem Kalkül beherrscht die Diskussionen, die um ein linkes Bündnis kreisen. Scheinbar wäre alles ganz klar, wenn die bundesdeutschen Wahlgesetze eine Listenverbindung zwischen PDS und der Wahlalternative für Arbeit Soziale Gerechtigkeit (WASG) zuließen. Beide Parteien würden separat antreten, gemeinsam stark genug sein, um die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und anschließend im Parlament proportional zu ihrem jeweiligen Stimmenergebnis vertreten sein. Die PDS würde als spezifisch ostdeutsche und die WASG als primär westdeutsche Partei ins Rennen gehen. Wechselseitige Vorbehalte der Parteien gegeneinander, der Ostwähler gegenüber der Westpartei und der Westwähler gegenüber der Ostpartei könnten bestehen bleiben und einem späteren Klärungsprozess unterworfen werden.

Weil es diesen bequemen Ausweg nicht gibt und Schröders Coup zeitlich enge Grenzen setzt, scheint nun wiederum zwangsläufig nur noch die eine Frage von Interesse: Wie kann möglichst geschickt ein jeweils eigenständiger, aber wahlrechtlich vereinter Auftritt organisiert werden? Diese Konzentration aufs Taktische mag verständlich sein, ein Fehler ist sie dennoch. Wenn ein Bündnis zustande kommen soll, das den Protest gegen "Hartz IV" und Sozialabbau in den Bundestag trägt und darüber hinaus wirtschafts- und steuerpolitische Alternativen formuliert, dann müssen beide Partner zunächst über ihren Schatten springen.

Nicht halbherzig, sondern vernehmbar und deutlich sollte sich die WASG zur Allianz mit der PDS bekennen. Statt kleinlaut auf die Ressentiments der westdeutschen Wähler gegenüber der Ostpartei Rücksicht zu nehmen, wäre das gemeinsame Anliegen von vornherein offensiv zu vertreten. Mit Versteckspielen und Abgrenzungsritualen lässt sich keine erfolgreiche Kampagne organisieren. Spätestens im heißen Wahlkampf wäre jeder gestelzte Verweis, dass man sich wahlrechtlichen Zwängen beugen müsse, aber die Eigenständigkeit doch gewahrt bleibe, nur noch lächerlich.

Die PDS ihrerseits sollte erkennen, dass es im Herbst 2005 nicht in erster Linie darum geht, als Programmpartei die Fahne des demokratischen Sozialismus hoch zu halten. Wichtiger ist, dass ein linkes Bündnis die Chance nutzt, das in Ost und West weit verbreitete Unbehagen an der herrschenden Politik zu artikulieren und den Reformlügen eine eigene realistische Agenda entgegen zu setzen. In diesem Sinne einen Konsens zu erzielen, dürfte nicht schwer sein, wenn man es unterlässt, dem programmatischen Purismus zu huldigen.

Das Maß an Vernunft, das beiderseits gefordert ist, mag nicht gering sein, aber historische Augenblicke kann man sich nun einmal nicht aussuchen. Wenn die Zeit reif ist, muss man springen. Vielleicht ist es nützlich, sich den "worst case" des Wahlausgangs vor Augen zu führen: mit großem Vorsprung zieht eine neue Mehrheit ins Parlament, Kanzlerin Merkel nutzt die Gunst der Stunde und proklamiert ein "hartes Sanierungsprogramm", Sozialdemokraten und Grüne wagen kaum zu protestieren, weil die neue Regierung konsequent vollendet, was die alte begann. Die politische Enteignung weiter Teile der Bevölkerung wäre noch vollkommener, als sie es jetzt schon ist. Dieses Szenario nicht zuzulassen und mit einer veritablen gesamtdeutschen Opposition den Bundestag zu erobern, ist ein Projekt, das über die beiden Trägerparteien hinaus begeistern könnte. In welcher Form das geschieht, ob als Wahlliste neuer Art oder als offene PDS-Liste, ist letztlich sekundär.


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