Nur nicht Microsoft

KOMMENTAR SPD kopiert alles

Wann Franz Müntefering zum Marlboro Man mutiert, ob demnächst Rodeo und Baseball zum Rahmenprogramm eines SPD-Parteitages gehören und wer den Fernsehprediger spielen wird - all das bleibt bislang geheim. Noch kennen wir nicht sämtliche US-Vorlagen, die von der SPD ins programmatische Kopiergerät gesteckt worden sind. Bekannt geworden sind bis jetzt nur die "Green Card" und die "Primaries", also die Vorwahlen, an denen sich auch Nicht-Parteimitglieder beteiligen können. Die neue sozialdemokratische Modernität kennt scheinbar keine Tabus. Nur da, wo es sich wirklich lohnen würde, scheut die SPD das US-Vorbild. Das konsequente Vorgehen der US-Justizbehörden gegen Microsoft wäre ein solches Exempel. Begrenzung wirtschaftlicher Macht ist schließlich ein altes sozialdemokratisches Thema. Die SPD von heute praktiziert allerdings das Gegenteil und erhält auch deshalb immer mehr Unterstützung von Unternehmerverbänden und Konzernspitzen.

Im Normalfall wird natürlich auch in den USA das Big Business hofiert. Wer allerdings zu dreist seine Marktmacht nutzt, muss dort mit eigenwilligen Richtern und handlungsfähigen Kartellbehörden rechnen, die von den Konkurrenten der jeweils betroffenen Firma mit Munition versorgt werden. Insofern ist immer auch eine Menge wirtschaftliche Doppelmoral im Spiel. Dennoch ist das Ergebnis immer wieder respektabel: Selbst die reichsten Männer der Erde, wie ehedem Rockefeller mit seinem Ölkonzern und jetzt Gates mit seinem Windows-Imperium, sind nicht sakrosankt. Und manchmal kommen so auch fantastische volkswirtschaftliche Effekte zustande: Anfang der achtziger Jahre hat die Zerschlagung des Telefonmonopolisten AT sowie die anschließende Offenlegung und freie Verfügbarkeit von Patenten und Betriebsgeheimnissen die IT-Industrie der USA entscheidend gefördert. Ein Ergebnis, zu dem es auch im Fall Microsoft kommen könnte, wenn Richter Jackson, nach dem Schuldspruch, die Offenlegung der Windows-Geheimnisse als Strafe festsetzen sollte. Natürlich ist die kartellrechtliche Praxis aus den USA nicht unmittelbar zu übertragen. Und es gibt auch keinen deutschen Kandidaten, der unmittelbar mit Microsoft vergleichbar wäre. Aber wirtschaftliche Macht - ob in der Form des "unlauteren Wettbewerbs" oder als Einfluss auf die Politik - ist nach den Fusionen der vergangenen Jahre, nach dem Fall Lafontaine und angesichts der CDU-Korruption mehr denn je ein Thema. Oder nehmen wir die deutschen Stromkonzerne: Haben nicht gerade sie, die faktisch ein Kartell bilden, ihre Hoheit über die Leitungsnetze missbraucht, um andere Anbieter fernzuhalten und um die überfällige Energiewende politisch zu torpedieren? Statt nach US-Vorbild solche Fragen zu stellen, gefällt sich die Schröder-SPD im totalen Gleichschritt mit dem Establishment. Primary-Zirkus fürs Parteivolk würde dazu gut passen.

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