Schrottplatz Staat

Im Schatten des Irak-Konflikts Wie deutsche Großbanken versuchen, ihre Risiken zu entsorgen

Seit einigen Tagen hat die alte Idee des Sozialstaats einige neue prominente Mitstreiter. Josef Ackermann, Bernd Fahrholz, Klaus-Peter Müller und Dieter Rampl, die Chefs der vier deutschen Großbanken, haben sich gemeinsam zu der Erkenntnis durchgerungen, dass bei unabsehbaren und allein nicht zu bewältigenden Risiken der Staat als Rückversicherung der letzten Instanz einspringen muss. In einer Zeit, in der das gemeine Volk Selbstvorsorge betreiben und auf einen Teil seiner Schutzrechte verzichten soll, entdeckt die Finanzwirtschaft das Solidarprinzip und vergisst die Eigenbeteiligung.

Too big to fail. Zu groß, um pleite zu gehen, sagen die Amerikaner, wenn es um staatliche Beihilfen für notleidende Konzerne geht. Diese Weisheit gilt nicht für alle Branchen zu allen Zeiten. Für einen Wirtschaftssektor gilt sie dagegen immer: Großbanken genießen umfassenden Versicherungsschutz, wenn sie in Schieflage geraten, obwohl sie weder vorher noch nachher für diese Dienstleistung des Staates zahlen. Einzelne kleine Banken werden schon mal fallen gelassen. Aber Spieler mit volkswirtschaftlichem Gewicht können unabhängig von den Gründen ihres Scheiterns mit Beistand rechnen. Selbst bei spekulativen Exzessen fallen Banken nicht durch den ordnungspolitischen Rost. Diese Regel gilt um so mehr, wenn eine ganze Gruppe von Finanzinstituten betroffen ist. In den achtziger Jahren haben die amerikanischen Steuerzahler mehrere hundert Milliarden Dollar für die Rettung von Sparkassen gezahlt, die - von Beschränkungen ihres Geschäftsfeldes befreit - ihr Kreditvolumen vervielfacht hatten. Zu den Begünstigten zählten damals auch zwei Brüder des heutigen US-Präsidenten. In den neunziger Jahren sind dem japanischen Banksystem, das in einem Meer fauler Kredite zu versinken drohte, Steuergelder zugeflossen, deren Umfang bis heute nicht bilanziert worden ist.

Vor dem Hintergrund dieser beiden großen Finanzkrisen, fragt sich nun mancher, ob die deutschen Großbanken diese Geschichte fortschreiben werden. Im Moment weiß zwar niemand, ob die aktuellen Schwierigkeiten solche Dimensionen annehmen. Sicher aber ist, dass die großen Vier - Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank und HypoVereinsbank - und mit ihnen einige Landesbanken, insbesondere WestLB und BayernLB, ihre frühere Balance verloren haben. Die Risikovorsorge allein dieser sechs Institute ist von circa fünf Milliarden Euro in 2000 auf etwa 15 Milliarden im vergangenen Jahr angewachsen. Bedroht ist vor allem die HypoVereinsbank, die mehr als andere im traditionellen Kreditgeschäft engagiert ist und mit 440 Milliarden Euro von allen europäischen Banken das größte Kreditvolumen vergeben hat.

Die Ursachen der deutschen Bankenkrise sind offenkundig. In Zeiten des Börsenbooms ist das Investmentbanking so schnell und umfassend ausgebaut worden, dass nun, bei mangelnden Umsätzen, die überdimensionierten Kostenblöcke nicht mehr zu verkraften sind. Gleichzeitig sind Beteiligungen und sonstige stille Reserven im Wert gesunken. Entsprechend wanken die gesetzlich vorgeschriebenen Eigenkapitalquoten. Hinzu kommt die Pleitewelle des Mittelstands, die ständig für neue Kreditausfälle sorgt.

Aber es gibt auch eine Lösung, behaupten nun die Spitzen der deutschen Finanzwelt: Wir senken die Kosten, schließen noch mehr Filialen, und der Staat übernimmt unsere Risiken. Gefährdete Kredite, so die unter dem Titel "Bad Bank" firmierende Idee, werden ausgelagert und einer eigenständigen Gesellschaft übertragen, für die letztlich der Steuerzahler haften soll. Nebenbei eine schöne Ironie: Bundeshaftung verlangen ausgerechnet die privaten Geschäftsbanken, die jahrelang den aus der Staatsgarantie resultierenden Konkurrenzvorteil der Landesbanken und Sparkassen beklagt haben.

Banken sind das sensibelste Element in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, besonders die Großbanken, die im Amtsdeutsch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als "systemrelevant" gelten. Kein Bundeskanzler, auch kein sozialistischer, wenn es denn einen gäbe, könnte es sich leisten, eine Großbank in die Zahlungsunfähigkeit rutschen zu lassen, weil die Kollateralschäden im restlichen Bankensektor und in der gesamten Wirtschaft unkalkulierbar werden könnten. Insofern ist nicht zu kritisieren, dass die Bundesregierung mit den Banken Gespräche führt. Zu befürchten ist aber, dass wieder einmal Blankoschecks ohne Gegenforderung ausgestellt werden. Wenn in der Folge eines Krieges weltwirtschaftliche Verwerfungen den deutschen Großbanken weiter zusetzen und ihren Vorsorgebedarf erhöhen, könnte Schröder geneigt sein, sich erneut, wie im Fall Holzmann, zum Retter von Großunternehmen zu küren. Nach dem großzügigen Weihnachtsgeschenk von 1999, jener berüchtigten Steuerfreistellung für Veräußerungsgewinne, von der Allianz-Chef Schulte-Noelle später meinte, dass eine 20-prozentige Steuer auch Akzeptanz gefunden hätte, wäre eine solche Aktion die zweite milliardenschwere Wohltat.

Bevor es dazu kommt, sollten sowohl die Gewerkschaften als auch die SPD, wenn sie mehr sein will als ein Wahlverein, den Kanzler unter Druck setzen. Warum nicht jetzt, angesichts der Schwäche der Banken, eine Senkung der Arbeitszeit fordern, um die zu erwartenden Entlassungen ein Stück weit zu kompensieren? Weshalb nicht bereits heute die Gewährung einer Haftungsübernahme an klare Konditionen binden? Was spricht dagegen, dass in Anspruch genommene Haftungssummen später aus den Gewinnen der sanierten Banken in die Bundeskasse zurückfließen? Und warum nicht den privatwirtschaftlich organisierten Bankensektor zu einem selbst finanzierten Sicherungssystem verpflichten? Vorbild könnten die 1.600 genossenschaftlichen Banken sein, die sich im Bundesverband der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken gegenseitig stützen und im westfälischen Hamm ihre "Bad Bank" betreiben. Hausintern "Schrottplatz" genannt, kommt diese Sondereinheit für fehlgeschlagene Projekte seit 20 Jahren weitgehend ohne Steuergelder aus. Wir machen den Weg frei, sollte Schröder den Banken zurufen. Kredit könnt ihr bekommen, aber Subventionen, das müsst ihr verstehen, passen nicht in diese Zeit.

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