Der Euro wird den alten Kontinent »in den Grundfesten erschüttern« und »vielleicht sogar das bisherige Aufbauwerk wie den Turmbau zu Babel« einstürzen lassen. Die Professoren Hankel, Nölling, Schachtschneider und Starbatty, die dies vor mehr als einem Jahr schrieben, wurde bekanntlich als Kläger gegen die neue Währung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht zugelassen. Hätte man sich die Argumente der Viererbande vielleicht doch anhören sollen? Erweist sich der Euro nun, nach fünf Monaten Inkubation, als das von vielen gefürchtete, kranke Weichei? Ist gar die Währungsunion zum Scheitern verurteilt, weil einige Länder, wie das notorisch unzuverlässige Italien, zu ihren alten Sünden zurückkehren und die tugendhaften Länder in den Strudel des Verderbens ziehen?
Nach den jüngsten Kursverlusten gegenüber dem Dollar und der (eigentlich nur marginalen) Erhöhung der italienischen Defizitquote wird erstmals seit der reibungslosen Einführung des Euro wieder über seine Zukunft diskutiert. Dabei besteht zu übertriebener Dramatisierung im Moment eigentlich kein Anlaß. Wenn überhaupt, wären im Januar und Februar, als der Euro sehr viel stärker fiel als in den vergangenen zwei Monaten, Zweifel an dem Projekt der gemeinsamen Währung angemessen gewesen.
Ebensowenig taugt die geringfügige Ausweitung der Staatsverschuldung Italiens als Ursache zunehmender Nervosität. Es gibt keinen unmittelbaren und schon gar nicht einen kurzfristig wirkenden, ökonomischen Zusammenhang zwischen öffentlichen Haushalten und Wechselkursen. Steigende Staatsverschuldung kann sogar mit einem stärkeren Außenwert der jeweiligen Wäh rung einhergehen, wie etwa Mitte der achtziger Jahre, als im Zuge der Reaganschen Rüstungsprogramme die US-Staatsschulden und gleichzeitig der Dollar-Kurs steil in die Höhe gingen. Japan im vergangenen Jahr ist ein weiteres Beispiel: Nach der Auflage eines riesigen, nach den Euro-Kriterien geradezu abenteuerlichen, schuldenfinanzierten Konjunkturprogramms ist der Yen-Kurs keineswegs ins Bodenlose gerutscht. Soweit er gegenüber dem Dollar an Wert verloren hat, war wohl eher die - trotz staatlicher Bemühungen - anhaltend schwache Wirtschaftentwicklung Japans verantwortlich. Analog könnte man heute für den Euro sagen: nicht die öffentlichen Haushalte sind das Problem, sondern die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der westeuropäischen und der US-Wirtschaft. Jenseits des Atlantik liegt eben zur Zeit die Dynamik, und der Dollar profitiert davon. Mit diesem Hinweis versucht Wim Duisenberg, der Präsident der Europäischen Zentralbank, die Gemüter zu beruhigen.
Ganz so unspektakulär aber ist die Lage wohl doch nicht. Euroland und die USA sind aller demonstrierten Einmütigkeit zum Trotz auch scharfe Konkurrenten - nicht nur, wenn es um Bananen und andere Trivialitäten geht. Seit Jahresbeginn ist ein neues Konfliktfeld hinzugekommen, das unmittelbar Fragen politischer Hegemonie berührt: der Kampf um die Weltgeldfunktionen. Bleibt der Dollar die unbestrittene Nummer Eins als Anlage-, Reserve- und Handelswährung? Kann der Euro den Dollar zurückdrängen, in längerer Sicht gar ersetzen? Auch wenn im Moment nichts auf Gefahren für die US-Währung hindeutet - aus Sicht der Amerikaner ist durchaus Vorsicht geboten. Schließlich wollen sie die mit dem Dollar als Weltgeld verbundenen Privilegien - Verschuldung in eigener Währung, Diktat gegenüber anderen Ländern - nicht dem Euro, also den Europäern überlassen. Währungen sind eben nicht einfach passiver Ausdruck der jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten, sondern auch aktives Machtinstrument.
Euroland und USA - das Konfliktpotential zwischen den feindlichen Brüdern wird allmählich sichtbar. Dabei haben die USA im Moment alle Trümpfe in der Hand. Der Wirtschaftsboom nimmt kein Ende. In High Tech-Branchen sind sie den Europäern um Längen voraus. Der US-Bundeshaushalt verzeichnet Rekord-Überschüsse. Innere Konflikte sind kaum vernehmbar. Die Exekutive kann sich ganz darauf konzentrieren, die Macht des eigenen Landes auszubauen, den Rest der Welt für die eigenen Interessen in die Pflicht zu nehmen und potentielle Konkurrenten kleinzuhalten.
Der Krieg am Rande der Euro-Zone paßt in diese Konstellation. Bei jedem Angriff auf Jugoslawien erleidet auch der Frankfurter Euro-Tower Kollateralschäden - aus Sicht der Amerikaner durchaus erwünschte Nebenwirkungen. Mit jedem Kriegstag steigt die Rechnung, die am Ende vor allem von den Euro-Ländern zu begleichen ist und schon jetzt den Kurs ihrer Währung drückt. Wie kalt hinter dem moralischen Vorhang die US-Regierung ihre Interessen durchsetzt, mag man moralisch kritisieren. Politisch zu verurteilen sind aber vor allem die westeuropäischen Regierungen, die dieses Spiel gegen europäische Interessen mitmachen.
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