Zeit der Wölfe

Die Hartz-Kommission fordert Arbeitszwang SPD und Grüne sind begeistert

Endlich. Die Zeit war reif. Das ständige Jammern in der Hängematte, die halbherzigen Sanktionen der Behörden, die Ausbeutung des Sozialstaats - all das dulden wir nicht mehr. Deutschland erwacht aus seiner Lethargie und wird bald wieder ganz vorn sein. Wir müssen uns wieder unserer Tradition vergewissern, die eben mehr umfasst als die Schönwetterperiode der Bonner Republik. In den Jahren vor 1945 haben wir auch nicht gefackelt. Innerhalb kürzester Zeit war damals die Arbeitslosigkeit halbiert. Warum soll uns das nicht wieder gelingen? Manchmal muss eben jemand von außen kommen und die Wahrheit aussprechen. Arbeit gibt es genug, wie jeder sieht. Wenn die vier Millionen Verweigerer dies nicht selbst einsehen, müssen wir härtere Maßnahmen ergreifen.
Und dennoch bleibt ein Wermutstropfen. Was der Mann aus Wolfsburg vorgeschlagen hat, ist nicht ganz konsequent. Warum nicht die Zumutbarkeit auf die gesamte Festung Europa ausdehnen? Warum soll der Ingenieur aus Frankfurt/Oder nicht in Andalusien Apfelsinen pflücken? Weshalb scheut man sich noch, den Stahlarbeiter aus Dortmund für den Kurierdienst in Dublin zu verpflichten? Das Arbeitslosengeld nur zu kürzen, wird auch nicht reichen, wie wir in den vergangenen Jahren bitter erfahren haben. Bezugsscheine für Nahrung und Kleidung wären wirksamer und letztlich auch humaner, weil jeder sofort merkt, welche Folgen seine Arbeitsscheu hat. Wer noch Zweifel an der Verkommenheit der rot-grünen Bundesregierung hatte, sieht sich seit Beginn dieser Woche eines Besseren belehrt. Positiv, in einigen Stellungnahmen geradezu begeistert, haben SPD und Grüne die Vorschläge der sogenannten Hartz-Kommission aufgenommen, die darauf hinauslaufen, Arbeitslose in eine weitgehend rechtlose Verschiebemasse zu verwandeln. Fast vier Jahre lang haben Schröder und sein denkfaules Kabinett nahezu jeden Versuch unterlassen, das Beschäftigungsproblem zivil, demokratisch und kreativ zu lösen. Statt dessen haben sie alles getan, um Unternehmen und Besitzbürger mit Steuersenkungen bei Laune zu halten.
Mit dem Rücken an der Wand, ist Schröder nun offenbar jedes Mittel recht, den Opfern der Misere die Schuld zuzuweisen und der Öffentlichkeit eigene Handlungskompetenz vorzugaukeln. Gut bestallte Professoren, die seit ihrer Berufung keinen einzigen brauchbaren Gedanken hervorgebracht haben und sich jedes Jahr eines mehrmonatigen Urlaubs erfreuen, stehen wie immer sekundierend zur Seite. Und die staatsnahe Journaille, die allabendlich jeder Idiotie hinterher hechelt, verliert keinen kritischen Satz.
Allmählich verwandelt sich dieses neue Deutschland in einen unwirtlichen Ort. Der unverkrampfte Umgang mit der eigenen Geschichte, dem Walser und Möllemann das Wort reden, dem sich die Bundesregierung mit ihren Kriegseinsätzen nicht verschließt, hat jetzt seine sozialpolitische Ergänzung gefunden. Man darf gespannt sein auf die künftigen unorthodoxen Vorschläge, die unweigerlich kommen werden, wenn auch die restlichen Probleme - Demographie, Gesundheit - frei von Schamgrenzen diskutiert werden. Warum nicht den Job, den bislang Versuchskaninchen verrichten, in bezahlte Arbeit verwandeln?
Deutschland ist in der Tat krank. Für alle, die sich vom Zeitgeist der Habgier und der Gewissenlosigkeit fern halten, sind die Symptome überdeutlich. Beispiel Berlin: Wo war der Aufschrei der gut situierten Bürger, der Politiker und der Medien, als die Steuerzahler für die faulen Immobiliengeschäfte der Bankgesellschaft und ihrer vermögenden Nutznießer in Haftung genommen wurden? Beispiel Köln: Gab es eine einzige Ernst zu nehmende Konsequenz aus der systematisch betriebenen Korruption der SPD und ihres kommunalen Klüngels? Beispiel Daimler-Chrysler, Siemens und all die anderen: Warum protestieren die Anhänger des staatlich sanktionierten Arbeitszwangs nicht, wenn bei den Großunternehmen die Steuerpflicht faktisch aufgehoben ist? Die ungehemmte Verbreitung wölfischer Instinkte ist offenbar zum gemeinsamen Programm aller etablierten Parteien geworden.

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