Die schönsten Nachgüsse der Welt

Spielplatz Kontroversen begleiten die Neueröffnung des Arp-Museums im rheinischen Rolandseck

Wir haben ein Haus wie aus dem Ei gepellt, die jüngste Burg am langen Rhein, und werden alles dafür tun, dass es keine Ruine wird wie in Frankfurt durch die Verwahrlosung des ältesten Meier-Museums in Deutschland. Das jedenfalls hofft der Kunsthistoriker Professor Klaus Gallwitz, Direktor des neuen Arp-Museums in Remagen-Rolandseck, das in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Kurt Beck am 28. September 2007 das Arp-Museum eröffnet wurde. Architekt des neuen Museumsbaus, das selbst ein Kunstwerk darstellt, ist der Amerikaner Richard Meier.

Dem Werk des Künstlers Hans Arp ist die obere Etage des Neubaus gewidmet. Neben den Neugaben der "Stiftung Hans Arp und Sophie Teuber-Arp e. V." sowie Werken aus den Sammlungen des Landes Rheinland-Pfalz werden Leihgaben aus Europa und den USA ausgestellt. Über ihre Echtheit wird gestritten.

Im Sinne Arps soll das Museum ein Treffpunkt und Spielplatz für die Symbiose von Kunst, Musik und Literatur sein. So werden gleichzeitig weitere Ausstellungspremieren vorbereitet: Anselm Kiefer bezieht mit großen Bildern und Büchern zur Geschichte und Mythologie des Rheins die Säle des Erdgeschosses im Neubau. Diesem vorgelagert ist ein Pavillon, in dem der Bildhauer Johannes Brus den Fund seiner Tier- und Menschenwelt einrichten wird. Insgesamt kann der Besucher Kunst auf 2200 Quadratmetern bewundern.

Die Realisierung des Projekts "Arp-Museum" war mehr von Zufällen als von künstlerischen Absichten oder gar kreativen Konzeptionen bestimmt. Es war der ehemalige Schaufensterdekorateur Johannes Wasmuth, der den von Emil Herman Hartwich errichteten klassizistischen Prunkbau vor dem Abriss rettete. Der Eisenbahnbau mit den Ecktürmen, gusseisernen Galerien und dem prächtigen Festsaal war Treffpunkt der Gesellschaft und Ort kultureller Ereignisse. So hielt die Rheinische Eisenbahngesellschaft im Festsaal Direktionssitzungen ab. Doch es war wohl die Rheinromantik, welche Künstler, Geistesgrößen und Adel anzog. Die Gebrüder Grimm, Nietzsche und Heinrich Heine erlagen der Faszination; Johannes Brahms, Clara Schumann und Franz Liszt konzertierten im Bahnhof. Alexander von Humboldt nannte die Galerienaussicht "eine der schönsten Ausblicke der Welt", während George Bernard Shaw eine Szene von Die Häuser des Herrn Satorius hierher verlegte. Es war auch ein Ort, an dem die Liebe erblühte und Guillaume sein Herz an Annie Playden verlor.

Das Kontaktgenie Wasmuth verstand es, Künstlern mit und ohne Promi-Status sowie politische Prominenz wie den ehemaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Dr. Helmut Kohl, davon zu überzeugen, den Bahnhof mit dem prächtigen Festsaal als gesellschaftliche Plattform zu erhalten. Mit Stefan Askenase und Yehudi Menuhin gründete der schlaue Geschäftsmann eine Musikagentur, die das Gebäude mietete und weiter vermarktete, häufig für große Feste und Empfänge aus der nahen damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Die Politiker dekorierte der Hausherr mit Künstlern wie Oskar Kokoschka, Günther Uecker, Karlheinz Stockhausen, Hans Richter, Martin Walser und dem kürzlich verstorbenen Pantomimen Marcel Marceau. Wasmuth versammelte auch junge, noch unbekannte talentierte Künstler um sich herum, die im Bahnhof eine Chance für ihre Kunst sahen. Der schillernde Wasmuth, von seiner Haushälterin Rosalka alias Rosalie Rother "Fürst" genannt, hatte nicht nur ein feines Gespür für spendable Künstlerwitwen, sondern auch ein gutes Geschick für das Anzapfen öffentlicher Kassen entwickelt. Geschickt wusste er dabei die Eitelkeit der Politiker und Wirtschaftsbosse zu nutzen.

Die Realisierung seines erfolgreichsten Coups, der Vision des vor fast 30 Jahren mit Richard Meier bei Champagner angedachten Arp-Museums, verdankte der mittlerweile Verstorbene dem größten Unglück, das die Region um Bonn treffen konnte: dem Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin. Ohne die Ausgleichsgelder für die Ansiedlung von neuen Arbeitsplätzen hätten weder der Bund noch das Land, sprich: der ideelle Steuerzahler, das Museumsprojekt zu je einer Hälfte mit insgesamt 33 Millionen Euro subventionieren können. Ursprünglich sollten damit möglichst viele Dauerarbeitsplätze geschaffen werden, aber dieses Ziel haben die politischen Verantwortlichen in der Landesregierung unter Kurt Beck bei nur zehn neuen Stellen wohl über die Jahre aus den Augen verloren.

Als einen der "großen formalen Neuerer" mit seinen "organisch-abstrakten Formen sowohl in der Bildkunst als auch in den Plastiken" sieht die Kunstkritikerin Jane Hancok den Künstler Hans Arp. Der sagt über sein Schaffen: "Die Kunst ist eine Frucht, die aus dem Menschen herauswächst wie die Frucht aus einer Pflanze, das Kind aus einer Mutter." Auf die Frage nach der Echtheit aller Arp-Kunstwerke runzelt der Kunstprofessor die Stirn, verspricht aber die Klärung aller aufgetauchten Fragen. Der fleißige Arp konnte vor seinem Tod nicht mehr alle seine kreativen Geburten zur Welt bringen. Er hinterließ nicht wenige Zeichnungen von Skulpturen und Plastiken. Die ließ der clevere Wasmuth dann "nachgießen". So entstand die Kontroverse über die Authentizität jener Kunstwerke, denn rechtlich ist nur das ein Original, was der Künstler zu Lebzeiten geschaffen hat.

Just vor der Eröffnung ließen die Journalisten Thomas Leif und Erich Paulus mit einer Süd-West-Rundfunk Fernsehdokumentation in der Festgemeinde eine Bombe platzen: Von den 29 Arp-Plastiken, die in den Jahren 1996 und 1997 vom Land als posthume Nachgüsse von Arp-Werken an den Verkäufer den Verein "Stiftung Hans Arp und Sophie Täuber-Arp e. V." wegen mangelnder Authentizität zurückgegeben wurden, hat man bis heute keines der beanstandeten Werke aus dem Verkehr gezogen. Erst jetzt, nach der Eröffnung, will Gallwitz ein bereits 1997 von der Landesregierung abgegebenes Versprechen realisieren, nach dem eine Expertenkommission die Echtheit der Werke und den Bestand in ein Verzeichnis aufnehmen soll. Vorausahnend sagt er, dass von den 3.000 Arp-Werken des Vereins "nicht alle verdienen, ausgestellt zu werden". 49 posthume Nachgüsse von Arp-Werken sollen aber noch verkauft werden.

Es bleibt die Frage, ob die Sammlung des Dadaisten Arp, die Bilder und Plastiken von Anselm Kiefer oder die Exponate des Bildhauers Johannes Brus mit seiner Tier- und Menschenwelt genügend Anziehungskraft für ausreichend Besucher haben wird. Gallwitz setzt mit seinem Motto von dem "Haus der vier Jahreszeiten" und dem "Museum in der Landschaft" auf die Idee, Entschleunigung ästhetisch erlebbar zu machen. Der Museumsdirektor, dessen Vertrag bereits 2008 ausläuft, sieht sich nur als "Lotse, der das Schiff vom Stapel lassen und in Fahrt bringen muss". Sorgen bereiten ihm noch die laufenden Betriebskosten für das Gesamtprojekt. Zwar hat das Land Rheinland Pfalz jährlich rund 1, 1 Millionen Euro zugesichert, aber der aufwendige Mauerbau verschlingt viel Geld. Da bleibt ihnen ein wenig Spielraum für die künstlerischen Aktivitäten. In der neuen Gesellschaft der Freunde und Förderer des Museums haben statt der vorlauten Kreativen die Banker das Sagen; aufmüpfige Ideenspender wurden gar nicht erst eingeladen. Kein guter Start für ein Haus, in dem Spontaneität und fröhlicher Anarchismus eine Heimat gefunden hatten.


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