Wer klug zu dienen weiß, ist halb Gebieter

Hoffnungsträger Wenn die Eliten aus den Vorzimmern in eine eigene politische Existenz umsteigen. Eine kleine Karriere- und Bunker-Kunde

Einst begehrte Josef Haydn bei Fürst Nicolaus Esterhazy, in dessen Diensten er stand, nach monatelangen anstrengenden Proben für sein Orchester endlich einmal Urlaub. Der Fürst lehnte ab. Sein Antichambre - das Vorzimmer des Patriarchen -, in dem sich die unmittelbaren Bediensteten vom Hausnotar über den Stallmeister bis zum Hofkapellmeister regelmäßig trafen, riet daraufhin dem Komponisten zu einem Trick. Und so ließ Haydn bei der Abschiedssinfonie Nr. 45 einen Musiker nach dem anderen seine Instrumente und Noten einpacken - bis nur noch zwei Violinen das Stück beendeten. Der Fürst verstand die elegante Metapher und schickte die Kapelle nach Hause.

Heute hat der Leitungsbereich in den Ministerien die Mission des Antichambre übernommen, wenn auch nicht die Eleganz: der Büroleiter des Ministers, der persönliche Referent, der beamtete Staatssekretär, der Pressereferent. Mit der geliehenen Macht des häufig abwesenden Chefs regieren diese Mitarbeiter geräuschlos, intelligent und bienenfleißig. Über sie läuft alles, ohne sie läuft nichts. Im Beamtenjargon abschätzig "Aktentaschenträger" genannt, sind sie die Ohren und Augen ihrer Chefs, antichambrieren mit Bundestagsabgeordneten oder dem Personal aus anderen Ressorts, stets darauf bedacht, auch eigene Beziehungsnetze zu flechten. Die Mitglieder des Leitungsbereichs gehören zweifellos zu den flexibelsten und intelligentesten eines Ministeriums. Irgendwann haben sie das "richtige" Parteibuch in die Tasche und stets das Motto des römischen Dichters Publilius Syrus im Kopf: "Wer klug zu dienen weiß, ist halb Gebieter."

Aufstieg als Ausbruch

Oft verdrängen Exponenten dieser Kaste später ihren Dienstherrn, wie es einst dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau mit seinem Pressereferenten Wolfgang Clement widerfuhr. Auch Ex-Kanzler Helmut Kohl musste ärgerlich und machtlos erleben, wie sich Angela Merkel, Ex-Pressreferentin aus der letzten DDR-Regierung und später politische Ziehtochter, an ihm vorbei emanzipierte. Sie kopierte gar seinen auf Symbolismen bedachten Führungsstil, als sie kürzlich, um das Weltklima zu retten, zum Nordpol pilgerte, während Kohl in seiner Amtszeit - gleichfalls zum Wohle des Klimas - in dem von Brandrodungen bedrohten Urwald am Amazonas umher stapfte. Überhaupt erinnert Merkels Neigung zur Flucht in die Außenpolitik an Gepflogenheiten Kohls.

Den Aufstieg als Ausbruch aus dem Dunstkreis des Chefs gibt es ebenso in der Wirtschaft, nur steht dort vor aller Protektion die nachweisbare Leistung. So startete Jürgen Großmann, der jetzige Boss des Energie-Riesen RWE und Spezi von Ex-Kanzler Schröder, seine Karriere als Vorstandsassistent bei Thyssen. Mit der Sanierung des von ihm für zwei DM erworbenen maroden Stahlwerks im niedersächsischen Georgsmarienhütte gelang ihm eine akzeptable Lebensleistung. Die muss VW-Personalvorstand Horst Neumann erst noch erbringen. Bevor er auf dem Gewerkschaftsticket die Seiten wechselte, war er in der Chef-Etage der IG Metall Zuarbeiter von Ex-Chef Jürgen Peters. Nach Stationen bei Thyssen und Audi geriet er als Arbeitsdirektor in den Chefsessel seines früheren Förderers Peter Hartz.

Auch in den öffentlich-rechtlichen Medien, von den so genannten Volksparteien völlig unterwandert, finden sich für Strippenzieher aus den Chef-Etagen der Politik dank hilfreicher Seilschaften Wege zum Olymp. So bastelte einst der heutige ZDF-Intendant Markus Schächter im Referat Öffentlichkeitsarbeit am Image der damaligen rheinland-pfälzischen Kultusministerin Hanna-Renate Laurien herum, bevor er persönlicher Referent des ZDF-Programmdirektors wurde. Auch der ARD-Matador Günter Struve hatte sich jahrelang in der "Schreibstube" von Willy Brandt bewährt, als ihn WDR-Intendant Friedrich Nowotny zum Programm-Chef des Senders ernannte. Fortan stutzte der Ex-SPD-Genosse Politikmagazine wie Monitor und förderte mit industriell gefertigten Serien wie Marienhof die Volksverdummung. Bernd Gäbler nannte ihn im Wochenblatt Die Zeit "eine zentrale Figur des Seichten".

Wie Kieselsteine im Bach

Die Eliten, die aus dem Vorzimmer des Ministers in eine eigene Existenz umsteigen, sind keine charismatischen Vollblutpolitiker, sondern Vollstrecker der Sachzwänge, die wiederum von Apparaten geschaffen werden. Dies zu hinterfragen, ist nicht ihre Sache. Ihr Handwerkszeug sind nicht brillante Rhetorik und Überzeugungskraft, sondern Aktenvermerk und Mobiltelefon. Sie kennen sich aus im Gremiendschungel und sind als Verhandlungspartner oberhalb der Tischkante immer potent. Als Realos stehen sie als erste dort, wo Mehrheiten zu vermuten sind, was freilich wenig mit Realitätssinn außerhalb der Verwaltungsbunker zu tun hat. Als Realisten sind sie abgeschliffen wie Kieselsteine im Bach.

Auf dem letzten SPD-Parteitag wurden zwei dieser Spezies - Außenminister Steinmeier und Finanzminister Steinbrück - zu stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Nur Andrea Nahles hat außerhalb des Antichambre ihre ersten politischen Schrittchen gewagt. Sie lernte das Taktieren in der jungsozialistischen Kaderschmiede, in der man erproben kann, wie sich der innerparteiliche Rivale möglichst geräuschlos fällen lässt.

Ex-Büroleiter Peer Steinbrück, Wahlverlierer 2005 in Nordrhein-Westfalen, verdankt sein politisches Comeback einem Ruf ins Berliner Regierungsamt sowie unverhofftem Geldsegen dank Weltkonjunktur und Mehrwertsteuer. Dem ehemaligen Leitungsmitarbeiter Steinmeier verhalf Ex-Dienstherr Schröder zum Außenressort im schwarz-roten Kabinett. Nun könnten Seiteneinsteiger für eine Partei durchaus hilfreich sein, aber als auffallend kreative Köpfe haben sich bisher weder Steinbrück noch Steinmeier oder Nahles hervorgetan. Sie leben und zehren von ihrer Fernsehexistenz. Es scheint, als habe sich die SPD den Gruß der mexikanischen Bauern zu eigen gemacht, der da lautet: "Nichts Neues möge dir widerfahren."

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