An dieser Stelle sollte ursprünglich ein Interview veröffentlicht werden. Zugesagt hatten zunächst ein hohes Mitglied der Tsipras-Regierung, danach ein Mitglied des Parlamentspräsidiums, zum Schluss der Schriftsteller Periklis Korovessis. Alle drei sagten das seit mehr als einer Woche geplante Gespräch mit dem Autor ab. Korovessis wegen „technischer Probleme“, die beiden anderen ohne Angabe von Gründen.
Mit „technischen Problemen“ werden in Griechenland traditionell Ursachen beschrieben, die im mafiösen Gesellschaftssektor zu finden sind. Der Begriff will sagen, dass es für den Betroffenen einfach zu riskant wäre, öffentlich das zu sagen, was er im Vertrauen längst preisgegeben hat.
In diesem Fall sollte das Int
In diesem Fall sollte das Interview Aufschluss geben über Drohungen gegen Leib und Leben, denen namentlich nicht genannte Personen der Tsipras-Administration durch Schlägergarden griechischer Oligarchen ausgesetzt waren – der Großunternehmer, Schiffseigner, Medienunternehmer und Eigentümer von Fussballvereinen. Der folgende Artikel versucht das in vertraulichen Gesprächen mit Ministern und Parlamentariern der Linken beschriebene Drohpotential zusammenzufassen.Der GeierkopfNur ein Beispiel, der Schriftsteller und frühere Syriza-Parlamentarier Periklis Korovessis war während der Militärdiktatur (1967 bis 1974) mehrfach Gefangener des Regimes und seines Geheimdienstes EYP (Ethniki Ypiresia Plioforion). Er wurde über Monate schwer gefoltert und veröffentlichte schließlich einen erschütternden Bericht über die erlittetenen Qualen; ein schmales Buch, das in Deutschland 1981 unter dem Titel Menschenwärter erschien und in Griechenland auch nach dem Ende der Junta noch lange auf dem Index stand. Was Korovessis sagte ist eindeutig: „Körperliche Bedrohung existiert, und sie ist in fast allen Fällen ernst zu nehmen.“Wer nun in griechische Kaffeehäuser geht, um – dem Rat des betroffenen Ministers folgend – nach den großen, mächtigen Familien zu fragen, dem wird immer und zuerst der Name Vardinogiannis serviert. Patriarch des Clans, auf verschiedenen Internetseiten auch „Tycoon“ genannt, ist der inzwischen mehr als 80 Jahre alte Vardis Vardiongiannis, ein genaues Geburtsdatum wird im Lexikon nicht genannt. Die „Vadionogiannides“ stammen ursprünglich aus dem südwestkretischen Agios Ioannis, einem Dorf am Fuß des Weißen Berges (Lefka Ori) in der Landschaft Sfakià. Ihr Haus auf 800 Metern Höhe bietet einen unendlich weiten Blick über das Libysche Meer, hinter dem steinigen Garten mit den hohen Stauden wilden Lauchs ragt auf 2.100 Metern der Gipfel des „Saranokefala“, des Geierkopfs. Die Gegend ist nicht nur bekannt für ihre hochgewachsenen, gut aussehenden Männer in der traditionell schwarzen Tracht, wie Henry Miller sie im Koloss von Maroussi beschrieb, sondern auch für ihre bis heute geltenden, ungeschriebenen und strengen Gesetze. Dieser kretische „Kanun“, wie die Albaner ihr ähnliches Regelwerk nennen, schließt auch den Mord ein. Dann nämlich, wenn es um das geht, was sie „Ehre“ nennen. Ehrenhändel, die auch geschäftliche Transaktionen oder den Streit um Weidegründe beinhalten, sind bis heute an der Tagesordnung, Tote sind fast jedes Jahr zu beklagen. Imperium eines OligarchenVon Agios Ioannis aus zogen die „Vardinogiannides“ in das Dorf Episkopi nahe der Universitätsstadt Rethymnon, bis sie schließlich nach Athen kamen und dort – zu Zeiten des Waffen- und Erdölembargos gegen das südafrikanische Apartheid-Regime – als Blockadebrecher reich wurden, sehr reich. Gegenwärtig besitzt die Familie die Energiekonzerne Motor Oil Hellas und Vegas Oil and Gas. Sie ist weltweit bei der Gewinnung und beim Transport von Energie behilflich, die aus dem Mittleren Osten und aus Nordafrika stammt,. Nicht nur das: Im öffentlichen Transport nennt sie die führenden Unternehmen ihr eigen: Die große kretische Fährlinie ANEK etwa. Hinzu gekauft wurden zuletzt auch die Bluestar-Linie und die für den Adria-Dienst von Ancona nach Patras wichtigen Schiffe der Linie „Superfast“. Die „Vardinogiannides“ stellten in allen Regierungen seit 1974 mindestens einen Minister, Staatssekretär oder hohen Ministerialbeamten. Unter dem bisher letzten konservativen Premier Antonis Samaras diente Olga Kefalogiannis als Tourismusministerin, die Nichte des Firmenpatriarchen.Nicht vergessen werden beim Gespräch im Kaffeehaus die Namen Giorgos Bobolas und Dimitris Melissanidis. Bobolas ist Besitzer mehrer Zeitungen, des großen Fernsehkanals Mega, der privatisierten Autobahn Attiki Odos, der wichtigsten Verkehrsverbindung im Einzugsgebiet von Athen, und mehrerer Goldminen. Weil die Firma der in der schönen Landschaft Chalchidiki gelegenen Mine in Holland angesiedelt ist, zahlt Bobolas – bisher – in Griechenland keine Steuern. Melissanidis, dem der Athener Fussballverein AEK gehört, ist Großaktionär der ursprünglich staatlichen, inzwischen privatisierten Lotto- und Totogesellschaft. Die genannten Familien und andere, hier nicht erwähnte Clans pflegen selbstverständlich beste Beziehungen zu den jeweiligen Regierungen des Landes. Solche wie die des jetzt um seine Wiederwahl kämpfenden Alexis Tsipras gab es in der Nachkriegsgeschichte des Landes bisher nicht. Für ungewöhnliche Situationen, das lehrt diese Geschichte seit 1949, seit dem Ende des Bürgerkriegs, hielten die „zehn Familien“ meist auch ungewöhnliche Lösungen bereit, Mord eingeschlossen. Auch die Regierungsmitglieder selbst, jene in der Nea Dimokratia etwa, sammelten in jungen Jahren gern Erfahrungen in rein physischem politischen Handeln. Der heutige ND-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, der hochgewachsene, bullige Evangelos Meïmarakis, gehörte in den 80er Jahren zum Schlägertrupp der Partei, Kampfname „Die Kentauren“.