Chávez reizt Washington

VENEZUELA/KUBA Billiges Öl für Havanna - Ärzte für die Slums von Caracas

Der Präsident des Staates mit den größten Erdölvorräten außerhalb des Nahen Ostens sagt unumwunden: Der Weltmarktpreis für Rohöl sollte auf dem heutigen Niveau bleiben, damit der Dritten Welt mehr ökonomische Gerechtigkeit widerfährt. Hugo Chávez kann damit freilich nichts gegen seine darbenden Sympathiewerte in Washington tun. Dies gilt um so mehr, als während des Staatsbesuches von Fidel Castro in Caracas gerade ein Abkommen unterzeichnet wurde, das den Kubanern trotz ihrer notorischen Devisen-Knappheit gewisse ökonomische Spielräume verschaffen könnte. Die Karibikinsel wird demnach ab sofort täglich 30.000 Barrel Rohöl aus Venezuela zu einem Preis beziehen, der mehr als ein Drittel unter dem Weltmarkt-Tarif liegt. Und das zu attraktiven Zahlungskonditionen - so läuft eine zunächst kolportierte, dann wieder dementierte und schließlich doch bestätigte Regelung darauf hinaus, zumindest einen Teil der künftigen Öl-Importe ohne Devisen-Transfer, sondern durch Waren und Dienstleistungen zu kompensieren. Das dazu von Chávez und Castro geschnürte Paket sieht unter anderem vor, kubanische Ärzte, die wegen ihres hohen Ausbildungsstandards in Lateinamerika geschätzt werden, für das vor allem jenseits der Großstädte vollkommen unterentwickelte Gesundheitssystem Venezuelas einzusetzen.


    Gabriel García Márquez über Hugo Chávez:

    »Einer, dem das launische Schicksal die Möglichkeit geboten hat, sein Land zu retten. Oder ein Phantast, der als ein Despot mehr in die Geschichte eingehen wird ...«

    »Die Stunde ist gekommen, da sich Bolí vars Traum erfüllen kann«, hatte Fidel Castro im Dezember 1998 den Aufstieg des 46-jährigen Ex-Fallschirmjägers Hugo Chávez Frias zum Präsidenten von Venezuela kommentiert. Mit einem Erdrutschsieg hatte der das Ende einer 40 Jahre währenden - alternierenden - Zwei-Parteien-Herrschaft provoziert: des Konkubinats der christdemokratischen Partei COPEI mit der sich sozialdemokratisch drapierenden Acción Democratica (AD), die im Wechsel Präsidenten stellten.

    Lateinamerikas bedeutendster Dichter Gabriel García Márquez, der das Scheitern des gleichfalls aus Venezuela stammenden Simon Bolívar in einem Roman beschrieben hatte, war kurze Zeit danach unterwegs, um zu ergründen, was diesen Hugo Chávez mit der Attitüde eines späten Adepten des südamerikanischen Befreiungsheroen für den Präsidentenstuhl Venezuelas empfahl. Beide lernten einander bei Fidel Castro auf Kuba kennen und führten auf einem Nachtflug nach Caracas ein ausführliches Gespräch, über das der Nobelpreisträger später berichtete: »Ich habe eine Persönlichkeit entdeckt, die in nichts dem Bild des Despoten entspricht, das wir uns aufgrund der Medienberichterstattung geschaffen haben. Diesem Image entspricht einzig Chávez Körper, der aus Stahlbeton geformt zu sein scheint ...«

    Noch mehr beeindruckt den Dichter »das erzählerische Naturtalent« des Präsidenten. »Er ist ein vollkommenes Produkt der von überbordender Phantasie geprägten Volkskultur Venezuelas. Er besitzt ein traumwandlerisches Gespür dafür, wie man Pointen setzt, er verfügt über ein übernatürliches Erinnerungsvermögen, das es ihm erlaubt, Gedichte von Pablo Neruda oder Walt Whitman aus dem Gedächtnis zu rezitieren.«

    García Márquez schreibt über eines von fünf Kindern des Volksschullehrers Chá vez Frias aus Venezuelas hinterster Provinz. In diesen Ländern bringt die Oligarchie traditionell ihre Verachtung für alles, was mit Bildung zu tun hat, durch die Hungerlöhne zum Ausdruck, die sie Lehrern zugesteht. Hugo Chávez muss schon mit neun Jahren als ambulanter Händler zum Familieneinkommen beitragen. Nach dem Wunsch seiner Mutter hätte er eigentlich Priester werden sollen - doch ihm reichte es, als Ministrant sein Selbstdarsteller-Talent zu schärfen. García Márquez: »Die alten Leute in dem Ort namens Sabaneta erzählen noch heute von ihm.« Niemals zuvor oder danach habe ein Ministrant derart dramatisch die Glocken zu läuten verstanden. Gleichwohl sah der junge Chávez seinen Platz im Leben nicht vor dem Altar, sondern in den Baseball-Stadien. Weil es ihm als geeignetster Weg er schien, in eine Erstliga-Mannschaft zu gelangen, trat er in die Militärakademie ein.

    Nach dem langen Nachtgespräch mit dem Ex-Offizier und Präsidenten mochte sich García Márquez doch nicht festlegen, wen er da kennen gelernt hatte: »Einer, dem das launische Schicksal die Möglichkeit geboten hat, sein Land zu retten. Oder ein Phantast, der als ein Despot mehr in die Geschichte eingehen wird ...«

Die Idee für ein solches Agreement ist nicht neu. Seit 1980 existiert mit dem Pakt von San José gewissermaßen eine Verpflichtung der OPEC-Länder Mexiko und Venezuela, einem Dutzend ökonomisch nicht sonderlich potenter südamerikanischer und karibischer Staaten zu Vorzugspreisen täglich 160.000 Barrel Öl zu liefern. Kuba jedoch blieb - dank der US-Pressionen - bislang davon ausgeschlossen. Nachdem sich Mexiko wegen der Dominanz der USA in der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) bis zuletzt nicht dazu entschließen konnte, diesen Zustand zu beenden, hat sich Hugo Chávez nun im Alleingang dazu durchgerungen. Zusätzlich zum Öl-Geschäfte vereinbarte er mit Castro ein ehrgeiziges Programm der industriellen Kooperation. Ein Kernpunkt wird dabei aller Voraussicht nach die Modernisierung und Reaktivierung der seinerzeit von der Sowjetunion errichteten und inzwischen faktisch brachliegenden Öl-Raffinerie von Cienfuegos sein. Sollte das gelingen, dürfte nicht nur die Energieversorgung der Insel auf eine in hohem Maße autarke Weise gesichert sein. Kuba könnte dann sogar als Exporteur für Erdölprodukte auf den regionalen Markt gehen. Das »Cienfuegos-Projekt« soll gemeinsam mit der staatlichen brasilianischen Petrobras und dem de jure zwar privatisierten, faktisch aber noch immer durch den spanischen Staat gesteuerten Unternehmen Repsol Gestalt annehmen. Selbst die konservative Madrider Regierung von Premier Aznar ist immer gern mit von der Partie, wenn auf dem vitalen lateinamerikanischen Markt Konkurrenz mit US-Unternehmen das Geschäft belebt. Zudem sind spanische Tourismus-Unternehmern längst allen US-Drohgebärden zum Trotz massiv - und mit gutem finanziellen Erfolg - auf Kuba engagiert. Die Brasilianer wiederum treibt wohl auch der Ehrgeiz um, sich als regionale Führungsmacht zu etablieren, weshalb sie dabei sein wollen, wenn etwas für den Subkontinent Beispielhaftes geschieht. Freilich sieht sich Brasilia vorrangig aus ökonomischen Erwägungen gedrängt, auf Tuchfühlung mit Venezuela und der Verwertung seines Ölreichtums zu bleiben. Um langfristig an Ressourcen zu gelangen, erwägt Petrobras, die Erschließung von Ölvorkommen in kubanischen Küstengewässern energischer als bisher voranzutreiben. Ein Geschäft, bei dem Kuba »Risikoverträge« anbietet - das bedeutet: Erkundung und Förderung sind nur innerhalb eines Joint Ventures mit einheimischen Firmen möglich, was bisher immerhin von schwedischen, britischen und französischen Gesellschaften akzeptiert wurde. Allerdings fördern die Bohrinseln vor Cienfuegos vor allem schweres und schwefelhaltiges Öl, bei dem sowohl bei Eigenverbrauch wie Export eine aufwendige Raffinierung unverzichtbar ist. Sollten die Anlagen von Cienfuegos dafür - auch dank venezolanischer Investitionen - wieder verfügbar sein, könnte Kuba seinen Energiehaushalt merklich entspannen.

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