Virtueller Embargobrecher

KUBA Während Washington vorsichtig daran geht, die Blockade zu lockern, hat eine Normalisierung von unten längst begonnen

Das Embargo bröckelt. Mit deutlicher Mehrheit votierten Senat und Repräsentantenhaus in der vergangenen Woche für Gesetzesvorlagen, die den Export von Nahrungsmitteln und Medikamenten in die Karibikrepublik erlauben sollen. Auch wenn es wenig wahrscheinlich ist, dass diese Vorlagen tatsächlich Gesetzeskraft erlangen: Die Abstimmung ist ein psychologischer Durchbruch - und nach der Rückkehr Elians die zweite politische Niederlage für Hardliner in der kubanischen Exilgemeinde.

Das eine Mal ist es eine Baseball-Mannschaft aus Baltimore, das andere Mal eine Gruppe von Farmern aus Virginia - noch dazu in Begleitung eines Kongressabgeordneten. Kubas Maximo lider Fidel Castro ließ sich in den letzten Wochen nur selten die Gelegenheit entgehen, Besucher-Delegationen aus den USA persönlich zu empfangen. Und dann mit den Gästen - wie das so seine Art ist - von historischen Sportereignissen bis hin zu allerneuesten Anbaumethoden über allerlei zu plaudern. Doch über Politik nur dann, wenn er darauf angesprochen wurde. Das verfehlte seine Wirkung selten. Meist raunten die Gringos einander nach der Audienz verblüfft zu, dass sie sich einen kommunistischen Diktator und Hauptfeind ihres Staates ganz anders vorgestellt hätten.

Derlei Basis-Diplomatie wird nach den jüngsten Abstimmungen im Senat und Repräsentantenhaus nun erst recht gepflegt werden. Sie ist keine Frucht des Zufalls, sondern eine Serie von wohlüberlegten Gesten zur richtigen Zeit. Die liegen weniger in politischer Einsicht begründet als in der normativen Kraft faktischer Geschäftsinteressen. An die 3.000 Vertreter von US-Unternehmen reisten allein im letzten Jahr unter irgendwelchen Vorwänden nach Kuba, um vor Ort zu sondieren, welche Deals man starten könnte, sobald das Embargo fällt oder zumindest nachhaltig gelockert wird.

Dass mit Nahrungsmitteln und Medikamente nun ein Anfang gemacht werden könnte, hat neben humanitären Erwägungen einen klaren wirtschaftlichen Hintergrund. Über 800 Millionen Dollar gibt Kuba jährlich für derlei Importe aus, und die amerikanischen Anbieter sind sozusagen vor der Haus tür. Andere Quellen sprechen von bis zu 1,6 Milliarden Dollar Exporterlösen, die in den USA an die 20.000 Arbeitsplätze garantieren könnten.

Angesichts dieser Zahlen mochten sich auch viele republikanische Abgeordnete trotz ideologischen Dauerbombardements durch die Hardliner unter den Exil-Kubanern von Miami nicht länger der Realität verschließen. Vor allem Parlamentarier aus dem als besonders konservativ geltenden Mittelwesten legten sich mächtig ins Zeug. Kein Wunder, zählen doch zu ihrer Klientel viele Farmer, die sich gute Geschäfte erhoffen können, wenn irgendwann Lebensmittelexporte nach Kuba möglich werden. Das allerdings nur gegen Barzahlung. Einen bilateralen Zahlungsverkehr via Banken soll es auch weiterhin nicht geben Mit solchen Gesten will man vor allem der Miami-Mafia entgegenkommen, die mit der Rückkehr des Flüchtlingskindes Elian und den Export-Abstimmungen im Kongress ihre schwersten Niederlagen seit der gescheiterten Schweinebucht-Invasion einstecken musste.

Zu allem Überfluss soll es amerikanischen Unternehmern demnächst auch gestattet werden, nach Kuba zu reisen, so sie dort Geschäfte anbahnen wollen. Bisher dürfen lediglich Exil-Kubaner - wenn sie Verwandte besuchen - sowie Journalisten, Künstler, Wissenschaftler und Vertreter öffentlicher Körperschaften »dienstlich« von den USA aus auf die Insel reisen. Das aber mit der Auflage, dort höchstens 100 Dollar pro Tag auszugeben.

Daran halten sich indes immer weniger US-Bürger. Es genügt, die legendäre Floridita-Bar im Zentrum von Havanna aufzusuchen, um das augenscheinlich vorgeführt zu bekommen. Beim dritten »Papa dobles » - so benannt nach ihrem Schöpfer, dem ehemaligen Floridita-Stammgast Ernest Hemingway - beklagen sich nicht wenige Gringos lauthals darüber, der einzigen Nation dieser Welt anzugehören, deren Behörden dem Normalbürger einen Trip nach Kuba verbieten. Wer gegen diese Bestimmung verstößt, kann in den USA noch immer mit Geldbußen von mehreren tausend Dollar oder Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt werden.

Doch die Zahl derer, die sich davon nicht abschrecken lassen, steigt stetig. Die meisten reisen einfach über ein Drittland wie Mexiko oder Kanada auf die verbotene Insel. Im letzten Jahr hielten das an die 28.000 US-Bürger so, zitierte die Madrider Tageszeitung El Pais dieser Tage John Kavulich, den Vorsitzenden einer privaten Organisation zur Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Kuba. Derlei Nachrichten werden in Spanien nicht bloß aus historischer Sentimentalität für die Perle des einstigen Kolonialreiches mit besonderer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Haben sich doch spanische Hotel-Konzerne stärker als alle ihre europäischen Konkurrenten in den letzten Jahren im kubanischen Tourismus-Sektor eingekauft. Die Investitionen rentieren sich zwar bereits - doch der ganz große Schnitt wird erst zu machen sein, wenn alle Reise-Restriktionen für US-Bürger fallen. Dann wird für den Anfang pro Jahr mit einer Million US-Touristen in Kuba zu rechnen sein.

Wenn die Gringos vorderhand zwar noch nicht über den direkten Weg auf die verbotene Insel reisen können, so ist es ihnen doch schon jetzt möglich, ihren Kuba-Urlaub von zu Hause aus zu buchen. Diese Gelegenheit eröffnet ihnen seit Beginn dieses Jahres ein Landsmann, der schon vor vielen Jahren die Seite gewechselt hat und sein jetziges Engagement keineswegs bloß mit unternehmerischem Weitblick begründet, sondern mit dem Wunsch, ein wenig Wiedergutmachung zu leisten.

Philip Agee war 19 Jahre alt und Philosophiestudent, als er 1958 vom US-Geheimdienst CIA angeworben wurde. In den folgenden Jahren trug er in Quito, Montevideo und Mexiko mit faulen Tricks und miesen Tücken dazu bei, die von seiner Regierung gewünschten Isolation der von Fidel Genossen regierten Karibik-Insel abzusichern.1969 hatte der Geheimagent genug von der Drecksarbeit. Er sprang ab, brachte sich in Europa vor der Rache seiner Ex-Dienstgeber in Sicherheit und berichtete in aufsehenerregenden Büchern über allerlei CIA-Schweinereien.

Inzwischen wohnt Agee in Kuba und hat dort »Cubalinda.com - Interactive Travel« gegründet: das erste ausschließlich Kuba-Trips anbietende virtuelle Reisebüro. »Ich bin der erste US-Bürger mit einem unabhängigen Unternehmen auf Kuba seit dem Beginn der Wirtschaftsblockade«, resümiert der Firmenchef und beschreibt seine beiden vorrangigen Unternehmensziele: »eine Bresche in das Embargo-Bollwerk schlagen und Geld verdienen«.

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