Das Private ist Politisch!

Comic Asaf Hanuka in "DER REALIST" über Normalität und Wahnsinn der israelischen Gesellschaft

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das Private ist Politisch!

Foto: Screenshot Trailer, Youtube

Asaf Hanuka ist Illustrator und Comiczeichner. Der vierzigjährige Israeli lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Tel Aviv. Dass er ein Nachkomme nach Israel eingewanderter irakischer Juden ist, sieht man ihm an. Und das ist angesichts der innenpolitischen Spannungen und dem schwierigen Verhältnis des Landes zu seinen arabischen Nachbarstaaten keine Nebensächlichkeit. Auch wenn der Künstler im Nachwort des Buches ausdrücklich bestreitet, mit diesem eine politische Botschaft aussenden zu wollen, zieht sich das Politische quer durch beinahe alle seine meist einseitgen Comicstrips, die er für eine israelische Wochenzeitung gezeichnet hat, und die nun in gesammelter Form in DER REALIST veröffentlicht wurden.

Es geht um die (Un-)Möglichkeit, angesichts eines permanenten gesellschaftlichen Ausnahmezustands, ein Mensch zu sein. Und noch weniger scheint es möglich herauszufinden, was für ein Mensch man denn nun eigentlich ist, v.a. wenn schon die Frage der eigenen Herkunft nicht nur eine des Privatlebens ist, sondern ebenso eine des öffentlichen Interesses. Nichts ist persönlicher als die Suche nach der eigenen Identität, in einem Land wie Israel scheint auch kaum etwas politischer zu sein.

Eingebetteter Medieninhalt

Comic-Journalismus und Politik-Comics sind derzeit schwer angesagt sowohl auf dem Buchmarkt als auch in den Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen. Man könnte versucht sein, auch Hanukas Buch unter diesem Label zu verbuchen: als autobiografische Comic(Strip)Reportage, die das ›große Ganze‹ (die israelische Gesellschaft) in den Blick nimmt aus der Perspektive eines stets finanziell etwas klammen, in einer nicht ganz unkomplizierten Partnerschaft lebenden, aber seine Familie über alles liebenden Zeichners in den späten Dreißigern. Dass das alles mit viel Humor passiert, und seine Comics schon daher näher am Stil der Karikatur sind, spräche ihnen allein noch nicht die Sachlichkeit ab.

Auch der wohl berühmteste aller Comicreporter – Joe Sacco – kann selbst die unfasstbarsten sozialen Tatbestände derart lakonisch pointiert auf den Punkt bringen, dass es dem Leser die Sprache verschlägt. Das Irritierende an DER REALIST ist seine Ästhetik, die vielleicht sogar so etwas wie ein Konventionsbruch darstellt für einen Comic wie diesen: Hanukas Bilder sind teilweise so quietschend bunt gezeichnet, wie man sie aus den Anfangs- und mittleren Jahren der Superheldencomics kennt. Damals wirkte die grelle Farbigkeit der einzelnen Comicseiten durchaus verkaufsfördernd. Mit den Jahren wurden die Charakter um Superman, Batman & Co. allerdings komplexer und psychologisch tiefer fundiert, was u.a. einherging mit dunkleren, gesetzteren Farbgebungen. Und hier tauchen sie nun wieder auf: rigide begrenzte monochrome Flächen, kaum Farbverläufe bzw. Schattierungen, krasse Farbkonstraste.

Die Referenz ans Superheldenmedier hört aber nicht bei der Farbe auf, sondern findet sich auch in zahlreichen ikonografischen Verweisen auf comicale Superheldenfiguren. Hier zeigt sich wohl nicht nur, durch welche Zeichenschule der Autor des vorliegenden Buches gegangen ist, wenn man bedenkt, dass die Erfinder des ersten Superhelden SUPERMAN jüdische Amerikaner waren, und die Figur selbst stark geprägt ist vom Golem-Mythos. Hanukas Schwierigkeiten und sein Hadern mit der sozialen Realität ähneln oft die seines Alter Egos Superman/Clark Kent: eine schöne Frau, die ihn nicht/die er nicht versteht, beruflich eher erfolglos und von finanziellen Problemen verfolgt, vor allem aber seine hybride Identität (Jude und Araber). Nur sind seine Superkräfte rein phantasmatischer Natur, sein Körper lässt ihm nämlich zusehends im Stich angesichts zahlreicher Gebrechen. Hanuka wählt also nicht nur den persönlichen Blick, er wählt die Haltung des Losers, die schon seit Charlie Chaplins Kunstfigur des erfolglosen Tramps die wohl sympatischste Form der Gesellschaftsbeschreibung und -kritik von unten ist. Weil sie so authentisch ist bzw. zumindest so wirkt.

Was zeigt er uns aber konkret? Es ist das ›normale‹ Leben einer nicht mehr ganz jungen Generation, zwischen Beruf, Familie, Partnerschaft und den eigenen, nicht selten egoistischen Bedüfnissen lavierend. In diese Normalität schleichen sich aber immer wieder Risse und Irritationen, die anzeigen, dass ein Leben in Tel Aviv (oder einer anderen israelischen Stadt) eben doch ein Leben im Ausnahmezustand ist und man ein normales Leben manchmal nur mithilfe von Verdrängung und Verleugnung führen kann. Mag sein, dass Hanuka in DER REALIST nicht über Politik, insbesondere den Nahostkonflikt, reden wollte, aber auch sein Schweigen – und wie er über das Schweigen redet – spricht Bände.

Hanuka, Asaf: Der Realist, Cross Cult 2015. 192 S. 29,95€ ISBN: 978-3-86425-594-6

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

M. Zehe

Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung; Vorsitzender der Wolgast-Jury (GEW) zur Darstellung der Arbeitswelt in Kinder- und Jugendmedien

M. Zehe

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden