Die Grenze neben dem Salatbeet

Comic Drei Comics über das konfliktreiche Verhältnis zwischen ›Orient‹ und ›Okzident‹

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Die Grenze neben dem Salatbeet

Foto: Keystone/ Getty Images

»Also die Grenze zwischen Orient und Okzident ist in Tscheljabinsk im Ural links neben dem Salatbeet« brachte der Kabarettist Gerhard Polt einmal auf seine eigene, unnachahmliche Weise das Problem kultureller Grenzziehungen auf den Punkt. Man könnte ergänzen, dass selbst Salatbeete in München-Garching oder Berlin-Treptow längst als derlei Grenzmarken angesehen werden können. Nachdem jahrzehntelang der Verkehr von Gütern und Dienstleistungen jegliche territorialen Abgrenzungen ignorierte, sind es nun Menschen, die sich auf den Weg machen, um Mauern und Zäune zu überwinden. Diese neue Form der »Völker«Wanderung ist freilich aus der Not geboren. Doch anstatt sich mit den notleidenden Menschen eindeutig und unmissverständlich zu solidarisieren, entwickelt sich (nicht nur) in Europa ein zunehmendes Bedürfnis nach Herausstellung kultureller Differenz, das sich nicht zuletzt in den besorgniserregenden Wahlerfolgen rechtspopulistischer und -extremer Parteien in beinahe allen Staaten der Europäischen Union anzeigt. Ein konfliktbefördernder Teufelskreis ist längst im Gange, der Unverständnis und Differenz in Ignoranz und offene Feindschaft transformiert.

Jenen Teufelskreis auf ästhetische Weise aufzubrechen ist das Anliegen dreier kürzlich erschienener Comics, ohne dabei jedoch die konkreten politischen und sozialen Missverhältnisse der betroffenen Gesellschaften – Libanon, Syrien, Israel – beschönigen oder gar leugnen zu wollen. Wir haben es stets mit (auto-)biografischen Erzählungen zu tun, in deren Mittelpunkt mindestens eine Figur steht, die sich einer eindeutigen Zuordnung im vorgestellten Gegenbegriffspaar von Orient und Okzident verweigert.

Piano Oriental – Zeina Abirached

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GrenzgängerInnen zwischen den Kulturen: Zeina Abirached ...

In der Graphic Novel der franko-libanesischen Künstlerin Zeina Abirached »Piano Oriental« werden wir auf zwei parallelen Erzählebenen mit solchen Grenzgängern zwischen den Kulturen des Ostens und des Westens konfrontiert. Einmal ist es Abdallah Kamanja, der von der Idee besessen ist, das Konstruktionsprinzip des europäischen Klaviers um den in der klassischen arabischen Musik vorkommenden Viertelton zu bereichern. Anstatt nun einfach die Klaviatur um Vierteltontasten zu erweitern, ist es sein schlichter wie genialer Einfall, per Fußpedal die Seiten im Inneren des Pianos so zu versetzen, dass es das Anspielen des Vierteltons ermöglicht. Auch wenn die arabischen Musikgrößen von dieser Erfindung verzückt sind und fortan bei Kamanja ein- und ausgehen, um selbst Hand an das ungewöhnliche Instrument anzulegen, der Beiruter Erfinder des Piano Oriental bleibt eine tragische Figur. Denn mit dem Aufkommen des elektronischen Synthesizers wird eine technisch weniger aufwendige Lösung zur Verwirklichung des Vierteltonklaviers gefunden: der »Oriental-Modus« per Knopfdruck. Die Bedeutung des Piano Oriental liegt denn auch mehr in der Idee des Klaviers als in seiner Realisierung.

Diese Idee einer Versöhnung zweier scheinbar unvereinbarer Prinzipien findet sich auch in der zweiten, autobiografischen Erzählebene der Geschichte wieder, in der Zeina Abirached ihre innerliche Zerrissenheit zwischen französischer und arabischer Sprache, zwischen einem Leben in Beirut und einem in Paris thematisiert. Zeitweise macht sie diese Zerrissenheit im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos, bis sich eine Möglichkeit für sie eröffnet, ihre beiden Seiten zu einer Identität zu formen. Vor dem Hintergrund der langjährigen Bürgerkrieges im Libanon hat das auch eine weitere, sehr politische Dimension. Die Comicmacherin findet dafür nicht nur die passenden Worte, auch die visuelle Gestaltung der Erzählung ist ein ästhetisches Ereignis. In ihren stark symbolischen und hoch verdichteten Zeichnungen wird Schrift in seiner bildlichen Dimension ebenso erfahrbar wie das Bild als eine Form der Sprache. Sie zeigen an, wie stark Menschen in ihre je eigenen Ordnungssysteme (hier Sprache und Musik) verstrickt sind, was dies im Zweifelsfall bedeuten kann und schließlich auch, was an befreiender Entwirrung alles möglich ist.

Der Araber von morgen – Riad Sattouf

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... Riad Sattouf ...

Der zweite Teil von Riad Sattoufs »Der Araber von morgen. Eine Kindheit im Nahen Osten« kommt ganz anders daher; muss es wohl auch, wenn man bedenkt, dass dessen Verfasser zehn Jahre für das französische Satiremagazin Charlie Hebdo zeichnete. Als Sohn einer Französin und eines Syrers verbrachte er seine Kindheit in den Achtzigern in Libyen und Syrien, wo der Vater als Hochschullehrer angestellt war. Aus der Sicht eben dieses Kindes, das er damals war, werden Satouffs Erlebnisse nun geschildert. Und der Kinderblick sorgt für eine besondere Symbolik, etwa wenn die unterschiedlichen Handlungsorte mit verschiedenen Leitfarben untermalt werden. Der cartoonhafte Zeichenstil wiederum nutzt das ganze Repertoire comicaler Typisierung und macht auch vor bekannten sozialen Stereotypen des Arabers nicht halt.

Im ersten Band der Autobiografie war die heimliche Hauptfigur der Erzählung noch der eigene Vater, der nach allen Regeln der Comickunst durch den Kakao gezogen wurde. Abdel-Razak Satouff träumt davon, als Modernisierer und Einiger der arabischen Welt selbst Geschichte zu schreiben, kommt aber im Alltag nicht über großmäuliges Sprücheklopfen hinaus. Seine Kapriolen sorgen sehr oft für erheiternde, nicht selten aber auch für nachdenkliche Momente. Im nun veröffentlichten zweiten Band nimmt der Comicautor stärker Soziales und Politisches in den Blick, etwa die brutalen Züchtigungsmethoden an den öffentlichen Schulen, die streng hierarchischen Geschlechter- und Familienverhältnisse, das allgegenwärtige System der Patronage sowie den dumpfen Antisemitismus/-amerikanismus als tragender Säule der syrischen Staatsideologie. Über die Erinnerungen Satouffs wird der westeuropäische Leser des Comic immer wieder mit seinen eigenen soziokulturellen Klischees konfrontiert, ja teilweise werden diese sogar übertroffen. Andererseits hat der Autor einen feinen Blick für die von Armut und Schicksalsschlägen getroffenen Menschen und erlaubt sich bei aller distanzschaffenden Ironie auch eine mitfühlende und anerkennende Nähe. Wer sich eine Meinung über die Verhältnisse in der arabischen Welt bilden will, sollte dieses Buch unbedingt in seine Lektüre miteinbeziehen.

Vor allem eins: Dir selbst sei treu – Barbara Yelin/David Polonsky

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... Hanna Maron.

Eine binationale Koproduktion ist der Comic »Vor allem eins: Dir selbst sei treu« der deutschen Comiczeichnerin Barbara Yelin und des israelischen Illustrators und Animationszeichners David Polonsky. Es handelt sich dabei um die Buchversion einer Ausstellung des Goethe-Instituts in Tel Aviv über die jüdische Schauspielerin Channa Maron. Diese war bereits Kinderstar des Theaters der Weimarer Republik und spielte u.a. in Fritz Langs Filmklassiker »M – Eine Stadt sucht einen Mörder«. Sie emigrierte mit ihrer Mutter aus Nazideutschland nach Tel Aviv, wo ihre Schauspielkarriere erst so richtig zündete. Über mehr als ein halbes Jahrhundert hat sie in israelischen Theater-, Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Nach einem palästinensischen Anschlag verlor sie ihren linken Fuß, engagierte sich seitdem stark in der israelischen Friedensbewegung und unterstützte öffentlichkeitswirksam die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Sie war aber nicht nur eine Brückenbauerin im Nahen Osten, sondern hielt – alles andere als selbstverständlich – auch zu ihrer alten Heimat Deutschland regelmäßigen Kontakt.

Dieses bewegte und bemerkenswerte Leben haben die beiden preisgekrönten Comickünstler in zwei Teilen in Szene gesetzt: Während Yelin mittels aquarellierter Tuschezeichnungen die persönlichen Aspekte der Biografie eher erzählerisch-sequentiell nachvollzieht, porträtiert Polonsky die öffentliche Person Channa Maron, und zwar in ihren größten Theater- und Filmrollen auf zehn beeindruckenden hochformatigen Bildern. Diese fügen sich zwar weniger zu einer Bildgeschichte, enthalten aber einige ästhetische Referenzen ans Comicmetier.

Info

Zeina Abirached, Piano Oriental, Avant, Berlin 2016, 212 S., Broschur, 29,95€, ISBN 978-3-945034-48-4.

Riad Sattouf Der Araber von morgen, Vol. 2. Eine Kindheit im Nahen Osten (1984 – 1985), Knaus, München 2016, 160 S., Broschur, 19,99€, ISBN 978-3-8135-0724-9.

Barbara Yelin/David Polonsky Vor allem eins: Dir selbst sei treu. Die Schauspielerin Channa Maron, Reprodukt, Berlin 2016, 80 S, Hardcover, 24€, ISBN 978-3-95640-102-2.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

M. Zehe

Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung; Vorsitzender der Wolgast-Jury (GEW) zur Darstellung der Arbeitswelt in Kinder- und Jugendmedien

M. Zehe

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