Ein schrecklich komisches Beziehungsdrama

Graphic Novel Der Comic DIE BESTEN FEINDE von Jean-Pierre Filiu und David B. analysiert das völlig verkorkste Verhältnis der USA zum Nahen und Mittleren Osten

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Wenn Politikwissenschaftler über Außenpolitik sprechen, sagen sie dazu meist ›Internationale Beziehungen‹. Dieser Begriff ist ziemlich aufschlussreich, weil er sich noch mit unseren privatesten und intimsten Alltagskonzepten zur Erklärung der Weltlage verbinden lässt: Wie wir wissen, können Beziehungen – egal ob zwischen einzelnen Menschen, Staaten oder ganzen Staatenagglomerationen – romantisch oder zweckrational inspiriert sein, auf der Basis gegenseitigen Vertrauens oder absoluten Misstrauens errichtet, auf Grundlage der Gleichwertigkeit oder in einem hierarchischen Gefälle etabliert werden. Sie haben kalte und heiße Phasen, können einschlafen wie eskalieren, gelingen oder scheitern. Und im Privaten wie im Politischen gilt, dass selbst die Momente des größten Beziehungsglücks manchmal nur auf der zeitweiligen Überbrückung unendlicher Abgründe beruhen und man sich nie ganz sicher sein kann, ob es da nicht doch jemanden gibt, der nur darauf lauert, die wackligen Fundamente dieses Glücks zu seinem eigenen Vorteil (wieder) zum Einsturz zu bringen.

Gerade im Falle des Nichtgelingens einer Beziehung empfiehlt sich hin und wieder eine therapeutische Intervention. Die kann u.a. darin bestehen, das komplizierte Geflecht neu bzw. anders zu sortieren oder mal einen kurzen Blick in einen dieser Abgründe zu werfen. Oft weiß man dann wieder, was man an dem anderen hat oder zumindest haben könnte (et vice versa). Eine solche ›Beziehungsarbeit‹ auf der Ebene der internationalen Politik könnten in optimistischer Einschätzung der Politologe Jean-Pierre Filiu und der Comickünstler David B. mit ihrer grafischen Erzähltrilogie DIE BESTEN FEINDE anregen. Die Comicserie arbeitet in historischer Perspektive das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu den Ländern und Gesellschaften des Nahen Ostens auf und ist mit dem nun erschienen Band zur jüngsten Zeitgeschichte (beginnend mit Reagans Amtsantritt 1984 und endend mit den Ereignissen des so genannten Arabischen Frühlings 2013) abgeschlossen. Angesichts der aktuellen Konflikte und Kämpfe im arabischen Raum, die nicht zuletzt auch Stellvertreterkriege von Groß- oder zumindest Regionalmächten sind, ist es für die Comicmacher sicher nicht leicht gewesen, hier den Schlusspunkt zu setzen. Andererseits benötigt jede Form der Reflexion – ob psychotherapeutisch oder erzählerisch – eine Rahmung, die auch einen (vorläufigen) Endpunkt markiert, von dem das unübersichtliche und nicht selten verminte Gelände eines Beziehungsstreites überblickt werden kann.

Wie vermint sich das Terrain tatsächlich darstellt, wird schon durch die provokante Gestaltung des Titelcovers durch David B. deutlich, wo ein miniaturisierter George W. Bush auf einer militärischen Drohne sitzend den Turban Osama bin Ladens umkreist, aus dem wiederum zwei rauchende Türme ragen. Nimmt man noch das Sturmgewehr dazu, dass in bin Ladens Gesicht die Stelle des Oberlippenbartes einnimmt, lässt sich das einerseits als Verweis auf die massive projektive Aufladung lesen, der kaum eine Vorstellung über die Konfliktverhältnisse des Nahen Ostens und die hierin verwickelten Akteure entkommt. Zusammen mit den Covern der beiden vorhergehenden Bände, die entsprechend ihres behandelten Zeitraums in ganz ähnlicher Weise gestaltet wurden, bekommen wir andererseits noch das Problem historischer Zirkularität vor Augen geführt: Das die jeweilige Epoche kennzeichnende Besondere (die führenden Politiker oder Ideologen, die eingesetzten Waffensysteme etc.) ordnet sich hier einem zeitlos daherkommenden Allgemeinen des Konflikts unter.

Allerdings ist nicht anzunehmen, dass die Autoren wie einstmals Friedrich Nietzsche vor der Geschichte als »ewige[r] Wiederkehr des Gleichen« einfach so kapitulieren. Ganz im Gegenteil scheint DIE BESTEN FEINDE engagierte (Comic-)Literatur im besten Sinne zu sein, welcher darin besteht, in der Aufarbeitung des hier thematisierten Beziehungskomplexes den Teufelskreis aus realer Unterdrückung und phantastischer Aufladung durchbrechen zu wollen. Dann stellte sich sogleich die Frage, ob die Wahl des Mediums Comic für dieses, gelinde gesagt, recht schwierig anmutende Unterfangen eine glückliche war oder eben nicht. Zweifellos verfügt Jean-Pierre Filiu als ehemaliger Diplomat und derzeitiger Professor für Nah- und Mitteloststudien am Pariser Institut für Politikwissenschaft (Science Po) über ausreichend Expertise, um einen sachgerechten Diskurs auf Höhe des aktuellen Forschungsstandes zu führen und für die Leser*innen eine Schneise in das Dickicht des historischen und kulturellen Wissens über den Nahostkonflikt und die Involviertheit des Westens zu schlagen. Jedoch ist im Falle engagierter Literatur die Frage der Sachlichkeit bekanntermaßen selbst so eine – zumeist nicht ganz unproblematische – Sache. Die bis heute nicht unumstrittene Stellung des Comic im Feld des Künstlerischen und Literarischen mag die diesbezügliche Problematik noch verstärken.

Gerade deswegen stellt sich die Mitwirkung des französischen Zeichners (und Verlegers) David B. an der vorliegenden Politikcomicreihe als eine wirklich sehr kluge Entscheidung heraus. Denn der Zeichner versteht es, dem eingängigen Narrativ Filius (eine Leidensgeschichte der Bevölkerung des Nahen Ostens, zerrieben von den hegemonialen, ökonomischen und ideologischen Ansprüchen und Motiven unterschiedlichster Akteure) eine adäquate visuelle Ebene hinzuzufügen. Diese nimmt sich aber im Zweifelsfalle gegenüber dem Erzähler das Recht auf ästhetische wie auch politische Eigensinnigkeit heraus. David B. verzichtet z.B. darauf, die Leser*innen der magischen Wirksamkeit von Affektbildern (Pathosformeln) zu überlassen, wie dies andere Comics zum Thema in durchaus zweifelhafter Weise getan haben. Der Zeichner orientiert sich andererseits auch nicht einfach am postmodernen Credo, nachdem jede politische oder (verhärtete) kulturelle Differenz einfach nur ein großes Missverstehen sei, und der Wechsel der Perspektive das geeignete Mittel, um jenes Missverständnis wieder aufzulösen. Gewalt und Leid erscheinen im zuspitzend karikierenden Zeichenstil des Comickünstlers als sehr real, aber nicht pathetisch überhöht, politische Antagonismen als handfest, aber eben nicht in einem kulturalistischem Sinne (»Kampf der Kulturen«) als evident. Überhaupt erinnern die Zeichnungen David B.'s daran, dass die (politische) Karikatur eine wichtige Wurzel im Stammbaum des Comic darstellt. Die übertreibenden, zuspitzenden und ätzend kritischen Darstellungen sind in DIE BESTEN FEINDE jedoch weniger in dem Sinne komisch, dass sie uns zum Losbrüllen, vielleicht noch nicht einmal zum Schmunzeln animieren. Wenn man beim Betrachten wie auch beim Lesen des Comic etwas komisch findet, dann eher im Sinne einer als merkwürdig oder gar schrecklich empfundenen Realisierung von etwas, was man bis dato kaum noch oder nur mehr achselzuckend zur Kenntnis genommen hat. Aber es hat ja auch niemand behauptet, dass die wirksame Aufarbeitung einer verkorksten Beziehung immer zugleich und sofort auch heilsam sein muss.

Jean-Pierre Filiu/David B.: Die besten Feinde. Eine Geschichte der Beziehungen der Vereinigten Staaten mit dem Nahen Osten. Dritter Teil: 1984/2013, Verlag Avant, Februar 2018. Aus dem Französischen von Annikia Wisniewski. 96 Seiten, Abbildungen s/w, Hardcover. ISBN: 978-3-945034-78-1. Preis: 19,95€

Leseprobe: http://www.avant-verlag.de/comic/die_besten_feinde_dritter_teil_1984_2013_die_geschichte_der_bezi

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Geschrieben von

M. Zehe

Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung; Vorsitzender der Wolgast-Jury (GEW) zur Darstellung der Arbeitswelt in Kinder- und Jugendmedien

M. Zehe

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