Für einen neuen Versuch der Verständigung

›Der Araber von morgen‹ Riad Sattouffs Graphic Memoir DER ARABER VON MORGEN beweist mit viel Humor, dass es eine Verständigungsebene zwischen ›den Kulturen‹ geben kann, wenn man denn nur möchte.

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»Wer ist der arabische Mann?«, titelte unlängst die Wochenzeitung Die Zeit, sich darüber wohl vollstens bewusst, dass diese Frage derzeit die Demarkationslinie sexistischer und rassistischer Diskurse markiert: Entweder man kritisiert das Frauenbild des Arabers bzw. des Muslims und riskiert dabei, für die Befürworter der Political Correctness als islamophob und xenophob zu gelten. Oder man beklagt den heimlichen Rassismus der angeblichen Verteidiger feministischer Errungenschaften, allerdings nicht selten um den Preis eines Verschweigens oder Verharmlosens des tradiert-institutionalisierten Sexismus der arabischen Gesellschaften. Am Ende kreisen sich diese Positionen doch nur um sich selbst, und diejenigen, die keiner der beiden Verfeindlichungslogiken folgen wollen, werden nicht oder kaum gehört. Differenzierung und Komplexitätserweiterung gehören eben nicht zum Repertoire politischer Kommunikation, die meist um öffentliche Aufmerksamkeit buhlt.

Dass öffentlichkeitswirksame Polemisierung auch mit einer differenzierenden Perspektive zusammengehen kann, beweist der großartige Comic Der Araber von morgen des syrisch-französischen Zeichners und Filmemachers Riad Sattouff. Dieser versucht mit seinem irgendwo zwischen Autobiografie, Reportage und Funny zu verortendem Comic Antworten auf die oben zitierte, eigentlich unmöglich zu beantwortende Frage zu sortieren. Autobiografisch ist der ›Text‹, weil der Autor über seine Kindheit reflektiert, die er in Libyen und Syrien verbrachte. Insofern weist er die klassischen inhaltlichen und formalen Merkmale von Graphic Memoirs genannten Comic-Autobiografien auf: Selbstdarstellung als Anti-Held, Inszenierung des eigenen Körpers, Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerischen Persönlichkeit (hier schon im Werden), hoher Grad an Bildmetaphorik etc. Er ist gewisserweise auch Reportagecomic, weil Sattouff die Reflexion seiner persönlichen Identitätsentwicklung in ein Spannungsfeld widerstreitender kollektiver Identitäten einbettet und zum besseren Verständnis mit Fakteninformationen verbindet. Und er ist schließlich Funny, also ein Comic im wortwörtlichen Sinne, der sich die aufmerksamkeitssichernde ›Inkorrektheit‹ eines stereotypisierenden Zeichenstils erlaubt, der auch keinen Halt macht bei sozialen und kulturellen Klischees. Allerdings – und das unterscheidet ihn von den politischen Vereinfachern – trifft sein Spott nicht nur ausgewählte, sondern alle sozialen und politischen Gruppen.

Der heimliche Protagonist des ersten Bandes von Der Araber von morgen ist Riads aus Syrien stammender Vater Abdel-Razak, der – aus einfachen Verhältnissen stammend – in den Siebzigern in Paris promovierte und später als Hochschullehrer in Libyen und Syrien arbeitete. Der Vater gerät zur völlig überzeichneten, beinahe grotesken Figur, der davon träumt, ein modernisierender, panarabischer Potentat zu werden. Seine politische Haltung schwankt zwischen den Polen liberaler Weltoffenheit und rigidem Nationalismus, gewürzt mit einer Prise Rassismus, der sich gegen Europäer, Schwarzafrikaner und nicht selten auch gegen die eigene Kultur richtet. Es sind die vielen Identitäten Abdels – Syrer, Sunnit, Akademiker, sozialer Aufsteiger, (Pan)Araber usw. – die teils miteinander in Widerstreit liegen und für viele erheiternde, aber auch nachdenkliche Momente sorgen. Die Botschaft Sattouffs scheint klar: So wenig sein Vater eins mit sich sein konnte, so wenig gibt es den einen Araber. Denn das ›Arabische‹ ist reine Fiktion, es gibt keinen arabischen Staat, keine arabische Gesellschaft, noch nicht einmal – anders als viele im Westen glauben – eine einheitliche arabische Sprache. Die tiefe politische, soziale und religiöse Gespaltenheit ist noch am ehesten das, was die Gesellschaften des Nahen Ostens und des Maghrebs gemeinsam haben.

Andererseits scheut sich der Comic auch nicht, kulturelle Alterität zu thematisieren und sich damit auf ein vermintes Terrain des politischen Diskurses zu begeben. Dabei ist die Begegnung mit dem Anderssein auf doppelte Weise inszeniert: Einerseits sind da die Reaktionen des Befremdens, die der Anblick des blass-blonden Riads und seiner französischen Mutter bei den Einheimischen hervorruft. Manche Kinder reagieren feindselig und beschimpfen den Jungen als »Jehuda« (Jude), andere schauen einfach nur, als hätten sie ein Gespenst gesehen. (Und in gewisser Weise ist er das ja auch: so wie ein Gespenst weder richtig tot noch lebendig ist, so ist Riad in den Augen der Anderen weder ›richtiger‹ Araber noch ›richtiger‹ Europäer.) Doch auch das entgegengesetzte Blickverhältnis ruft Befremden hervor, also beim mitteleuropäischen Leser des Comics, der sich an die merkwürdigen Sitten und Rituale, die uns Sattouff vorführt, nicht recht gewöhnen mag. Dabei ist die Sache manchmal ganz harmlos, etwa wenn die syrische Großmutter dem Enkelkind das stark juckende Auge ausleckt; manchmal ist es aber auch sehr verstörend, etwa wenn die Kinder mit einem Welpen auf der Straße Fußball spielen und den Hund zum Schluss mit der Mistgabel aufspießen, was zu einem Nervenzusammenbruch der Mutter Riads führt. Überhaupt nimmt die Darstellung von offener und teils barbarischer Gewaltanwendung innerhalb der arabischen Gesellschaften einen wesentlichen Stellenwert im Comic ein, und an dieser Stelle spüren wir sie doch, die kulturelle Differenz zwischen uns Europäern und ›ihnen‹, den Arabern.

Vielleicht ist es das Verdienst Riad Sattouffs, mit seinem Comic diesbezüglich eine Mittelposition zwischen liberalem Universalismus und kulturellem Partikularismus einzunehmen: Europäer und Araber sind weder alle gleich (universalistische Haltung), noch sind sie fundamental unterschiedlich (partikularistische Haltung), sondern sie sind sich auf gleiche Weise vollkommen fremd. Eine wirkliche Verständigung scheint auf dieser Grundlage derzeit kaum machbar, aber möglicherweise sind es ja der Araber und der Europäer von morgen, die diese Grenze überschreiten können. Doch dafür benötigt es eine (neue) politische Bildung, die uns nicht einfach vom Segen westlicher Demokratien und vom Fluch arabischer Despotien erzählt, sondern das scheinbar unüberwindlich Fremde in diesem wechselseitigen Blickverhältnis thematisiert und aufzulösen versucht. Der Araber von morgen scheint diesbezüglich ein hervorragender Anfang zu sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

M. Zehe

Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung; Vorsitzender der Wolgast-Jury (GEW) zur Darstellung der Arbeitswelt in Kinder- und Jugendmedien

M. Zehe

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