Sag, wie hältst du's mit dem Populismus?

Debatte Anmerkungen zu Stefan Reineckes Antwort (taz.am wochende) auf die Gretchenfrage der (post-)modernen Linken.

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Will er die Rechte mit ihren eigenen Mitteln schlagen? Der politische Philosoph Ernesto Laclau

»Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Populismus« ist ein heutzutage häufig zu hörendes und zu lesendes Bonmot, das die Linke via Sprachspiel mit einem der Gespenster des Marxismus konfrontiert: das ›Volk‹. Angesichts der faktischen und drohenden Wahlerfolge rechter Populisten (und manchmal auch Populistinnen, siehe Marine Le Pen in Frankreich), gerät eine Frage mittlerweile zur Gretchenfrage einer zunehmend orientierungslos gewordenen Linken: Wie hältst du's mit dem Populismus? Immer mehr haben wir es hier mit einer Gesinnungsfrage zu tun, die den Befragten drängt, sich zu positionieren. Entweder man lehnt dankend ab – denn man will sich ja nicht gemein machen mit den rechten Demagogen – oder man bekundet – bei aller Distanz – Sympathien mit den linken politischen Projekten in Spanien, Griechenland, Lateinamerika und anderswo.

Der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller hat sich in jüngster Zeit mehrmals zu diesem Phänomen öffentlich geäußert und zuletzt einen bei Suhrkamp erschienen Essay verfasst, in dem er dem Populismus eine inhärente strukturelle Logik zuschreibt. Ihm zufolge laufen mehr oder weniger alle derart situierten politischen Parteien und Bewegungen – egal ob rechts, links oder völlig diffus – darauf hinaus, antidemokratisch und antipluralistisch zu sein, auch wenn sie das Gegenteil behaupten oder vielleicht sogar anstreben. Das Hauptproblem des Populismus sind – so Müller – nicht seine spezifischen Inhalte, die es ja auch gar nicht geben kann, sonst wäre es unerklärlich, warum es gleichzeitig linke und rechte Populisten geben kann. Problematisch sei vielmehr der »moralische Alleinvertretungsanspruch« des ›Volkes‹ als »das Kernanliegen aller Populisten«. Eine plurale Demokratie fuße hingegen auf der Anerkennung, dass es viele berechtigte politische Interessen und Werthaltungen geben könne, und diese sich auch dann nicht gegenseitig ihre jeweilige Legitimität absprechen, wenn sie sich im politischen Wettbewerb diametral entgegenstünden. Demokratische und populistische Politik seien daher unvereinbar.

In ähnlicher Weise argumentierte nun Stefan Reinecke in der jüngsten Ausgabe der taz.am wochenende (»Brauchen wir Linkspopulismus?«). Er warnt linke Politiker und politisch Bewegte davor, es nun den Rechten gleich tun und diese »mit ihren eigenen Mitteln schlagen zu wollen.« Falsch ist an dieser Aussage zunächst einmal die Einordnung des Populismus als ein genuin rechtes, reaktionäres oder faschistoides Phänomen. Tatsächlich hat populistische Politik eine lange Tradition, die bis in die Geschichte der Römischen Republik zurückreicht. Dort war es die, nun ja, sagen wir ruhig »Partei« der Popularen, die der der Optimaten gegenüberstand und eine im Vergleich zu ihren Kontrahenten eher progressive Politik anstrebte. Der schlechte Leumund, der den Popularen in der Geschichtsschreibung lange anhaftete, verdankt sich nicht zuletzt dem römischen Senator und Schriftsteller Marcus Tulius Cicero, der selbst den konservativen Optimaten angehörte und populare Politiker (z.B. Caesar) der Verantwortungslosigkeit und des Opportunismus bezichtigte. Dieser Rufmord Ciceros an seinen politischen Kontrahenten hallt bis heute nach. Dennoch gab und gibt es seitdem weltweit zahlreiche Bewegungen, die sich sowohl einem progressiven Inhalt als auch einer populistischen Artikulation dieses Inhaltes verschrieben haben. Auch wenn man schnell die AfD, Pegida oder die FPÖ vor Augen haben mag, wenn man über Populismus spricht: rechte bzw. rechtsextreme Politik und Populismus sind nicht das Gleiche und auch nicht zwei Seiten einer Medaille.

Sowohl Müller als auch Reinecke setzen sich innerhalb ihrer Argumentation mit einem Theoretiker auseinander, der den Populismus innerhalb der Linken ihrer Meinung nach wider aller Vernunft salonfähig machen möchte. Aber ich glaube, dass sie nicht wirklich verstehen (wollen), was er – sein Name lautet Ernesto Laclau – unter Populismus wirklich verstand und was dieser mit seinen durchaus kontroversen Thesen beabsichtigte.

Zunächst versteht Laclau Populismus weder als Inhalt noch als Form des Politischen, sondern als eine Dimension politischer Logik: Er unterscheidet dabei zwischen der politischen Logik der Differenz und der Logik der Äquivalenz. Erstere steht für eine gesteigerte soziale Komplexität, eine spezifische Rationalität und Objektivität. Es ist der Bereich im politischen Geschäft, der Kommunikation über die Lager hinweg und Kompromissbildung erst möglich macht. Doch wie man sieht, gehört zur Politik immer auch die Lagerbildung, die einhergeht mit Komplexitätsreduktion und der Polarisierung der gesellschaftlichen Positionen. Dies bezeichnet Laclau als Logik der Äquivalenz, die auch als die populistische Dimension jeder Politik bezeichnet werden kann – sei sie konservativ, liberal, sozialdemokratisch oder eben grün –, insofern sie geltend machen kann, die Gesellschaft in (mindestens) zwei grundsätzlich opponierende Lager zu spalten. Letztere Dimension ist der Bereich, der sozialen und politischen Identitäten, die nicht zuletzt dadurch zusammengehalten werden, dass sie bestimmte gesellschaftliche Projekte mit ›Leidenschaft und Verstand‹ gegen andere durchzusetzen versuchen, wie es auch schon einer der Begründer der modernen Politikwissenschaft, Max Weber, wusste.

Fakt ist, wer eine gerechte und soziale Politik anstrebt, muss kenntlich machen, wer dieser Politik warum und auf welche Weise im Wege steht. Wer den Klimawandel aufhalten will, muss aufzeigen können, dass es gesellschaftliche Kräfte gibt, die an einer wirklich klimafreundlichen Produktionsweise kein oder nur sehr wenig Interesse haben. Wer das Land für Flüchtlinge und Verfolgte öffnen möchte, muss sich denen in den Weg stellen, die politische Mehrheiten gegen eine solche Politik mobilisieren wollen. Nicht jeder notorische Ausbeuter, Luftverschmutzer und Fremdenfeind ist nur noch nicht von fortschrittlichen und emanzipatorischen Ideen restlos überzeugt worden. Nein, vielmehr muss ich (ein links-grüner Gewerkschaftsfunktionär) anerkennen, dass es Menschen gibt, die nicht so sein wollen wie ich. Genauso wenig, wie ich wie sie sein will. Es gibt aber Momente, in denen das Tischtuch zerschnitten ist und Kompromisse ausgeschlossen scheinen, um die politische Identität und die moralische Integrität zu wahren. Eine scharfe Grenze zu ziehen zur xenophoben Politik der Abschottung Europas etwa oder zu skrupellosen Unternehme(r)n, die von Kinderarbeit oder auf Dauer gestellte Leiharbeit hemmungslos profitieren, was soll daran schlecht sein? Auf die Frage, was denn die angemessene Reaktion einer fortschrittlichen Politik angesichts der sozialen Verwerfungen und Entmenschlichungen im politischen Diskurs sei, scheint Stefan Reinecke aber auch nicht mehr viel einzufallen, außer mehr »Verve« (=Leidenschaft) und »Zuspitzung« (=komplexitätsreduzierende Polarisierung) einzufordern. Das ist aber nun genau die populistische Dimension des Politischen, die über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte von der Linken verleugnet wurde, wie Laclau meint. Ob man diese Politik dann »linken Populismus« nennt oder nicht, ist am Ende egal. Hauptsache, sie kommt.

Zum erwähnten Tazartikel von Stefan Reinecke gehts hier lang: http://www.taz.de/!5340065/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

M. Zehe

Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung; Vorsitzender der Wolgast-Jury (GEW) zur Darstellung der Arbeitswelt in Kinder- und Jugendmedien

M. Zehe

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