Grundeinkommen – bedingt sinnvoll

- Ein "Bedingungsloses" Grundeinkommen ist weder gerecht noch sozial, sondern ein Almosen für bedürftige Menschen sowie unnötig für Vermögende

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-Plädoyer für einen neuen Ansatz-

Beim bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) erhalten alle Menschen einen Geldbetrag seitens des Staates, ohne einer Erwerbsarbeit oder sonstigen Tätigkeit nachgehen zu müssen. Die Zahlung eines BGE würde unabhängig von der individuellen wirtschaftlichen Situation erfolgen. Dabei soll die Höhe des BGE ein Leben in Würde garantieren sowie mehr individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung ermöglichen. Ein häufig genannter Betrag liegt bei etwa 1.000 Euro monatlich.

Die Idee eines BGE ist keinesfalls neu. Erste Ansätze, die in diese Richtung weisen, lassen sich bereits in Schriften aus dem 16. Jh. finden. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurde der Gedanke sporadisch von Philosophen und Schriftstellern aufgegriffen. In den letzten Jahren allerdings hat diese Idee an Schwung gewonnen und Eingang in die öffentliche Debatte gefunden. Einige prominente Personen, Vertreter politischer Parteien sowie ein Netzwerk Grundeinkommen setzen sich seither intensiv für ein BGE ein. Vor dem Hintergrund zunehmender sozialer Probleme sowie einer Verschlechterung der Bedingungen in der Arbeitswelt wird das BGE als Lösungsweg für eine humanere Gesellschaft betrachtet. Aber kann ein BGE diesem Anspruch tatsächlich gerecht werden? Bevor wir uns dieser Frage widmen, wollen wir zunächst die heutige Ausgangslage in den Bereichen Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur beleuchten.

Für die Wirtschaft gilt, dass viele Großunternehmen in den verschiedensten Branchen eine marktbeherrschende Position einnehmen. Unter dieser Marktmacht leiden verstärkt kleine und mittlere Unternehmen. Ursache für diese Entwicklung ist unter anderem ein unzureichendes Wettbewerbsrecht. Zugleich wird der Marktzugang für neu gegründete Unternehmen erheblich erschwert. Dies findet seinen Ausdruck auch darin, dass Deutschland eine im internationalen Vergleich relativ geringe Zahl an Selbstständigen aufweist und vergleichsweise viele abhängig Beschäftigte verzeichnet. Gleichzeitig haben wir ein Steuerrecht, welches Großunternehmen erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten bietet, um die Steuerlast zu mindern. Diese Möglichkeiten haben kleine und mittlere Unternehmen in diesem Umfang nicht.

Die Arbeitswelt weist eine zunehmende Spaltung auf. Auf der einen Seite hat ein Teil der Arbeitnehmer eine relativ sichere und gut bezahlte Tätigkeit. Auf der anderen Seite haben wir -bedingt durch die Deregulierung des Arbeitsmarkts- eine steigende Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge oder unbezahlte Praktika bei jüngeren Menschen bestimmen heutzutage verstärkt die Arbeitssituation. Gleichzeitig gehen die Reallöhne seit Jahren beständig zurück und der Niedriglohnsektor wurde signifikant ausgeweitet. Dies hat dazu geführt, dass eine zunehmende Zahl an Arbeitnehmern ihr unzureichendes Einkommen durch Leistungen seitens der Arbeitsagentur aufstocken muss - zu Lasten der Steuerzahler. Aufgrund der Vielzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse und der nach wie vor zu hohen Arbeitslosigkeit sehen sich viele Menschen an den sozialen Rand gedrückt. Sie leiden unter Ausgrenzung und mangelnder gesellschaftlicher Teilhabe. Soziale Transferleistungen wurden in den letzten Jahren massiv gekürzt, während sich auf der anderen Seite die Steuern für Wohlhabende und Reiche reduzierten. Dadurch wurde die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich immer weiter vertieft.

Im Bereich der Kultur können wir eine zunehmende Kommerzialisierung feststellen. Kulturschaffende in Musik, Film oder Literatur sehen sich verstärkt einem Diktat ökonomischer Verwertungsinteressen ausgesetzt. Gleichzeitig dominieren große Verlagshäuser und wenige milliardenschwere Internetunternehmen die traditionellen Medien bzw. die neue digitale Welt.

Insgesamt können wir festhalten, dass in den zentralen gesellschaftlichen Bereichen erhebliche Missstände zu verzeichnen sind. Somit sehen wir tief greifende Verbesserungen als erforderlich an.

Doch zu welchen Veränderungen würde ein bedingungsloses Grundeinkommen führen?

Wir erwarten, dass die Zahl an Unternehmern und Freiberuflern bei Einführung eines BGE zunehmen wird, weil eine garantierte Mindestabsicherung den Sprung in die Selbstständigkeit erleichtert. Gleichzeitig würde der Erfindungsgeist der Menschen angeregt, weil der „Kampf um das tägliche Brot“ obsolet geworden ist. Die von Existenzängsten befreiten Menschen könnten ihrer Kreativität freien Lauf lassen und in verstärktem Maße innovative Produkte entwickeln. Wenn gleichzeitig die oben genannte Marktmacht großer Unternehmen gebrochen würde, könnte die Wirtschaft insgesamt beflügelt werden. Doch wie wird sich ein BGE auf die Arbeitsethik auswirken? Prognosen sind eher schwierig. Doch wir erwarten, dass die derzeitige Überhöhung der traditionellen Erwerbsarbeit ein Ende finden wird. Tätigkeiten zum Zwecke des Konsums würden dann nicht mehr als primär sinnstiftend betrachtet, sondern die Menschen könnten sich zunehmend nicht kommerziellen Aktivitäten widmen. Dies wäre mit einem leichten Rückgang des Brutto-Inlandsprodukts verbunden; das rein mengenmäßige Wirtschaftswachstum würde einen Dämpfer erhalten. Doch im Sinne einer umweltschonenden Wirtschaftsweise bedeutet eine Überwindung des Wachstumsdogmas einen positiven Effekt.

Für die Arbeitnehmerschaft hätte ein BGE den Vorteil, dass sich ihre Verhandlungsmacht gegenüber den Arbeitgebern verbessern würde. Die Arbeitnehmer befänden sich in einer stärkeren Position als heute, weil bei Ablehnung gewisser Tätigkeiten kein finanzieller Ruin droht. Deshalb erwarten wir, dass bei einem BGE die Arbeitsbedingungen insgesamt eine Verbesserung erfahren würden. Flankierend müssten Gewerkschaften und Betriebsräte eine Stärkung erfahren, um auch kollektive Interessen der Arbeitnehmer zu schützen. Einen gesetzlichen Mindestlohn betrachten wir ebenfalls als unerlässlich. Doch wir sehen bei einem BGE auch erhebliche Schattenseiten für die Arbeitswelt: dem jetzt schon bestehende Trend zu Entsolidarisierung und Individualisierung könnte erheblicher Vorschub geleistet werden. Und Menschen mit besserem Verhandlungsgeschick wären im Vorteil, weil sie bessere Arbeitsbedingungen für sich selbst aushandeln können. Der betriebliche Frieden geriete womöglich in Gefahr.

Diese negativen Effekte könnten auch den sozialen Zusammenhalt in der gesamten Gesellschaft bedrohen. Wenn soziale Leistungen bedingungslos gewährt werden, dann würde nach unserer Einschätzung der individuelle Egoismus deutlich zunehmen. Wer soziale Rechte beansprucht, der sollte sich auch seiner Pflichten für die Gesellschaft bewusst sein. Doch die Konnexität aus Rechten und Pflichten könnte bei Einführung eines BGE ausgehebelt werden. Diesem negativen Effekt stehen jedoch auch positive Seiten eines BGE gegenüber. Die heutzutage feststellbaren Schikanen gegenüber Empfängern staatlicher Transferleistungen würden entfallen. Auch sozial benachteiligte Menschen -insbesondere Kinder- erhielten bessere Bildungschancen. Dazu wären ergänzend zum BGE bessere staatliche Infrastruktureinrichtungen wie Kitas, Jugendzentren und Bildungseinrichtungen nötig. Ältere Menschen würden bei entsprechender Ausgestaltung eines BGE von Altersarmut befreit werden; ja ein BGE könnte insgesamt zu einer Befreiung aller Menschen von plagenden Existenzängsten führen.

Auf dem Feld der Kultur, die wir in Kunst und Ethik unterteilt haben, sehen wir bei der Kunst keine gravierenden Auswirkungen bei Einführung eines BGE. Wahrscheinlich würden mehr Menschen künstlerisch tätig werden, was die Quantität an Artefakten erhöhen würde. Dadurch könnte sich die Qualität künstlerischer Werke verringern, was von uns allerdings weder negativ noch positiv beurteilt wird. Im Bereich der Ethik begrüßen wir, dass ein BGE die Freiheitsspielräume der Menschen erheblich erweitert. Dies eröffnet mehr Möglichkeiten zur persönlichen Selbstverwirklichung. Doch wir sehen auch erhebliche Nachteile eines BGE. Wie bereits erwähnt, würde der Egoismus nach unserer Ansicht weiter zunehmen und somit altruistisches Denken und Handeln zurückdrängen. Durch entsprechende gesellschaftliche Rahmenbedingungen sowie durch Erziehung und wertebildende Institutionen werden moralische Grundwerte wie Solidarität oder Sinn für Gerechtigkeit deutlich gefördert. Bei einem bedingungslos ausgezahlten Grundeinkommen jedoch könnten viele gemeinschaftsstiftende Faktoren verloren gehen.

Unter Abwägung der von uns analysierten Aspekte auf den Feldern Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur stehen wir einem BGE ablehnend gegenüber. Dabei wiegt für uns die Gefahr einer eskalierenden Entsolidarisierung und eines zunehmenden Egoismus besonders hoch. Außerdem sehen wir den direkten Zusammenhang zwischen staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten als gefährdet an. Wer ein Recht auf Einkommen einfordert, sollte auch Pflichten für das Gemeinwesen akzeptieren. Gleichwohl: auch wenn wir ein BGE ablehnen, so sehen wir doch erheblichen Handlungsbedarf, die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu verbessern. Deshalb schlagen wir einen alternativen Ansatz vor: ein Modell, das sowohl eine Grundsicherung als auch ein an spezielle Bedingungen geknüpftes Grundeinkommen vorsieht.

Nach unseren Vorstellungen hat jeder Mensch Anspruch auf ein Leben in Würde und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Um eine menschenwürdige Existenz sicherzustellen, soll bei Bedürftigkeit eine Grundsicherung von etwa 800,-- Euro monatlich an jede volljährige Person ausgezahlt werden. Dabei wird jeder Mensch ohne ausreichende Einkünfte durch die Agentur für Arbeit betreut und erhält angemessene Arbeitsangebote. Eine Ablehnung zumutbarer Arbeit führt nicht zu einer Kürzung der Grundsicherung. Denn ansonsten würde die in Artikel 1 Grundgesetz garantierte Würde des Menschen verletzt. Allerdings erhalten alle Arbeitssuchenden, die sich zunächst nicht für die Gemeinschaft engagieren wollen, eine motivierende Betreuung durch Sozialarbeiter.

Unter einem Grundeinkommen wiederum verstehen wir eine Alternative (Erweiterung?) zur Grundsicherung. Dabei soll das Grundeinkommen monatlich etwa 1.000,-- Euro betragen. Somit liegt der Betrag um 25% über der Basisabsicherung. Doch der Bezug eines Grundeinkommens wird an Bedingungen geknüpft, die weiter reichen als bei der Grundsicherung. Um das Grundeinkommen zu erhalten, müssen alle Menschen im erwerbsfähigen Alter Gemeinwesenarbeit leisten – zum Beispiel bei Nichtregierungsorganisationen. Auf diesem Wege wird ein Anreiz geschaffen, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Personen, die das 65igste Lebensjahr vollendet haben, beziehen ohne weitere Voraussetzungen ein staatliches Grundeinkommen, also eine Grundrente. Bereits erworbene und gesetzlich garantierte Rentenansprüche bleiben selbstverständlich erhalten. Langfristig aber werden die gesetzliche Rentenversicherung sowie das jetzige Pensionssystem vollständig abgeschafft und durch eine steuerfinanzierte Grundrente ersetzt. Materiell anspruchsvollere Personen sollen private Vorsorge für das Alter betreiben. Kinder erhalten kein eigenes Grundeinkommen. Vielmehr würde das Kindergeld für bedürftige Haushalte angemessen erhöht und staatliche Betreuungs- sowie Bildungseinrichtungen besser ausgestattet werden.

Im Zusammenhang mit unserem Modell stellen sich auch Fragen nach der Gesundheitsfürsorge sowie gesetzlicher Mindestlöhne. Was die Gesundheitsfürsorge betrifft, so werden sämtliche entstehenden Kosten vom Staat getragen und sind steuerfinanziert. Somit fallen für die Menschen keine direkten Ausgaben für Gesundheit an. Außerdem halten wir gesetzliche Mindestlöhne auch bei Einführung eines Grundeinkommens für erforderlich, um ein Arbeiten in Würde zu garantieren. Ein solcher Mindestlohn sollte 9,-- Euro pro Stunde betragen.

Die Finanzierung unseres Modells ist mit staatlichen Mehrausgaben verbunden. Doch darin sehen wir kein Problem. Denn die Staatsquote betrug in Deutschland im Jahr 2011 nur knapp 46%. Wir halten eine Erhöhung dieser Quote auf bis zu 55% für volkswirtschaftlich vertretbar. Bezogen auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 2,6 Billionen Euro in 2011 würden der öffentlichen Hand somit zusätzliche 234 Mrd. Euro jährlich zur Verfügung stehen. Bei einer Anhebung der Staatsquote um bis zu 9% sehen wir mithin keine Finanzierungsprobleme bei Einführung der Grundsicherung sowie des Grundeinkommens. Dabei soll der überwiegende Teil der staatlichen Ausgaben durch ein gerechtes Steuersystem finanziert werden. Dieses System setzt sich aus Einkommen-, Vermögen- und Verbrauchsteuern zusammen.

Durch unser Modell „Grundsicherung und Grundeinkommen“ sehen wir die nötige Basis geschaffen, damit die Menschen in einer freiheitlichen und zugleich solidarischen Gesellschaft zusammenleben können. Und weil diese Leistungen nur einem begrenzten Personenkreis zuflössen, bestünde ausreichender finanzieller Spielraum, um einen leistungsfähigen Sozialstaat aufrecht zu erhalten. Somit könnten die Errungenschaften moderner Wohlfahrtsstaaten bewahrt und humanistische Verbesserungen erreicht werden.

Anne Walberer, Kai Rüsen, Wolfgang Schaefer
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