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Homosexualität Wie man sich als Queer unter lauter "toleranten" Homo-Verstehern fühlt.

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Wer eine alternative Sexualität (aus)lebt, kennt in diesen Tagen vielleicht das Gefühl, von den Medien auf schreckliche Art und Weise vereinnahmt zu werden.

Es schlägt einem eine Welle von Verständnis entgegen. Man könnte glauben, dass die queere Vielfalt endlich die gesellschaftliche Akzeptanz erfährt, die sie verdient hätte.

Nur wie kommt es dann, dass man sich aktuell eher benutzt als akzeptiert fühlt?

Es könnte daran liegen, dass Medien uns bereits als etabliert genug empfinden, dass sie sogar mit Heten über "Schwule" reden, als könnten diese Heten mittlerweile genauso gut Fragen zum Thema Homosexualität und Coming Out beantworten, wie die Menschen, um die es ja eigentlich geht, selbst!

Der mutige und vorbildliche Hitzlsperger

So kam es, dass heterosexuelle Sportjournalisten zum Thema "Hitzlsperger-Outing" in den öffentlich-rechtlichen Sendungen Sätze wie "Das war der richtige Zeitpunkt für ein Outing!" oder "Das war ein mutiger Schritt!" sagen konnten, ohne auch nur rot zu werden.

Wenn man sie doch nur einmal zurück gefragt hätte, wann sie denn ihr Outing hatten oder ob sie damit auch bis nach Karriere-Ende warten wollen, wie es der "mutige" Hitzlsperger getan hat.

All diese Sportjournalisten vergessen dabei nämlich, dass nicht jeder Homosexuelle sich den "Mut" leisten können sollte, bis zur Rente/Pension mit dem Outing zu warten. Nicht jeder hat mit Anfang 30 bereits seinen Zenit erreicht.

Die Logik der Umkleidekabine

Aber die Logik dieser Sportjournalisten ist mir natürlich bekannt. Mein Vater hätte es auch lieber gesehen, wenn ich mit meiner Sexualität nicht direkt hausieren gegangen wäre. Aus reiner Sorge um meiner beruflichen Zukunft natürlich. Deswegen sollte es vermutlich auch erst einmal in der Familie geheim bleiben. Die hatten ja soviele Firmen und die damit verbundenen Job-Angebote für mich. (Hatten sie nicht. Das war Sarkasmus.)

Das "mutige" Coming-Out hätte meinem Vater sicher gefallen und ihn bestätigt. Umso undankbarer bin ich diesem "mutigen" Feigling!

Was natürlich ungerecht ist, weil Hitzlsperger ja auch nur Opfer seiner falschen Berater ist. Man muss als Homosexueller kein Profisportler sein, um nachempfinden zu können, wie es ist, wenn einem das eigene Umfeld lieber weiter verstecken würde. Selbst wenn es aus Sorge/Liebe ist. Gerade dann tut es weh.

Sicher hätte Hitzlsperger von den gegnerischen Fans sein Fett weg bekommen. Die nutzen jede vermeintliche "Schwäche". Aber andere Spieler können ihre Hautfarbe auch nicht bis zum Karriere-Ende einfärben, um den Rassisten zu gefallen und erst nach Karriere-Ende selbstbewusst zu sich selbst zu stehen!

Es hätte Hitzlsperger theoretisch auch noch besser machen können, wenn sein Umfeld ihm den Rücken gestärkt und ihm gesagt hätte: "Thomas, Du bist ein großartiger Spieler und Mensch! Uns ist egal mit wem Du fickst! Uns ist nur wichtig, dass unsere Spieler sich während des Spiels frei fühlen und nicht mit einer permanenten Lebenslüge im Rücken aufs Spielfeld gehen müssen!"

Wer so einen Rückhalt hat, dem können die Sprüche der Gegner eigentlich nur noch egal sein. Wer aber vom eigenen Umfeld abgeraten bekommt, zu sich selbst zu stehen, der bekommt suggeriert, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Das man etwas an sich hat, was man der Öffentlichkeit vorerst besser verheimlichen sollte.

Es gibt kein richtig oder falsch!

Es gibt schlichtweg keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt für ein Outing. Nicht einmal Homosexuelle können sich gegenseitig den richtigen Zeitpunkt sagen. Es gibt vielleicht sogar unterschiedliche Zeitpunkte, die ideal wären. Und es gibt viele Zeitfenster, in denen man es sich unnötig schwerer macht. Da weiß niemand so genau.

Ich persönlich habe keine Ahnung, ob ich den richtigen Zeitpunkt gewählt habe oder nicht. Ich bin nur froh, dass ich schon mit 17 Jahren damit begonnen habe, um mich dann als junger Erwachsener freier entfalten zu können. Ohne noch weitere Jahre mit einer heterosexuellen Lebenslüge zu verschwenden!

Man kann sich jedoch sicher sein, dass Vertreter des queeren Spektrums diese Fragen glaubwürdiger diskutieren können. Nicht weil sie den besten Zeitpunkt benennen könnten. Sie haben schlichtweg mehr Erfahrungen. Direkte und indirekte. Sogar dann, wenn man selbst ein positives Outing erlebt hat! So hat fast jeder Mal miterlebt oder erzählt bekommen, wie jemand vor der Reaktion der eigenen Eltern Angst hatte. Zum Glück oft zu Unrecht, aber leider auch noch zu oft zu Recht!

Es stimmt aber leider auch ...

Ich gebe den heterosexuellen (Sport-)Journalisten in einer Sache Recht: Wer glaubt, dass Karriere wichtiger als das eigene Leben ist, der darf sich Hitzlsperger durchaus als Vorbild nehmen. Es ist auch in diesem Land immer noch so, dass man seine (oft boulevard-esque) homosexuelle Promi-Biografie besser und prominenter verkaufen kann, wenn man die Karriere mit einer heterosexuellen Lüge begonnen hat. Dann promotet man später mal die eigene Feigheit in großen Fernsehinterviews.

Wer sich schon als Teenager geoutet hat, kann eventuell noch als bunter Paradiesvogel Karriere machen oder lesenswertere Bücher schreiben, welche dann allerdings weniger sichtbar im Regal für homosexuelle Lektüre auf ihre winzige Zielgruppe warten.

Aber ich empfehle lieber das Leben zu leben, statt es mit Karriere zu verschwenden!

Zum Abschluß eine sehr humorvolle Antwort - meiner guten Freundin Jurassica Parka - auf das Hitzlsperger-Outing: Ihr ganz persönliches Halbzeit-Outing ...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Harm

queer dissenting artist - twittert unter @HarmNeitzel

Harm

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