Gut gemeint und doch daneben!

Medienkritik Warum das Unwort des Jahres 2014 gut gemeint war, aber doch falsch gewählt wurde.

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"Lügenpresse" wurde das Unwort des Jahres 2014.

Die "Sprachkritische Aktion" begründete diese Wahl des Unwortes in ihrer Pressemitteilung so:

"Das Wort „Lügenpresse“ war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien. Gerade die Tatsache, dass diese sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks einem Großteil derjenigen, die ihn seit dem letzten Jahr als „besorgte Bürger“ skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen."

Der Hinweis auf die Geschichte des Wortes ist sehr wichtig und lobenswert. Auch ich habe als linker Medienkritiker - ohne die Geschichte des Wortes gekannt zu haben - diesen Begriff hier und da mal humorvoll benutzt und bin dankbar für diese kleine Lektion in Wörterkunde. Auch wenn das Wort heute ganz gegensätzlich verwendet wird. Nämlich gegen die heimischen Medien, während es in der Geschichte gegen systemkritische und ausländische "Feindmedien" verwendet wurde. Trotzdem war dieser Verweis auf die Vergangenheit dieses Wortes sinnvoll und lobenswert.

Auch die kritisierten Medien waren dankbar für diese Wahl. Sie freuten sich so sehr, dass sie dabei ein paar Anmerkungen der Jury unerwähnt ließen! Wie z.B. ...

"Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel."

... und das man mit der Wahl dieses Unwortes nicht etwa alle Medienkritiker pauschal und gleichermassen verurteilen wollte, sondern lediglich die vermeintlichen "Medienkritiker" von der auch sonst wenig aufgeklärten PEGIDA-Bewegung!

Und so half leider die "Sprachkritische Aktion" versehentlich den Medien all ihre Kritiker pauschal zu diffamieren, obwohl die Unwörter der vergangenen Jahre durchaus darauf hindeuten, dass die "Sprachkritische Aktion" auch immer mal wieder am Vokabular unserer Kampagnen-Journalisten verzweifeln. Gäbe es denn überhaupt all die vergangenen "Unwörter", wenn Medienkampagnen diese Wörter nicht bis zum erbrechen wiederholt hätten?

So kam es auch, dass sich die dominierenden Medien mal wieder als Gewinner über die Deutungshoheit fühlten. Und nun folgt oft nur noch ein gelangweiltes, vermeintlich "selbst-/ironisches" ...

"Wir von der CIA-gesteuerten Lügenpresse" [oder so ähnlich]

... vom Redaktions-Praktikanten, wenn mal wieder ein Kommentar in den sozialen Netzwerken den Inhalt eines Artikels/Beitrags als unglaubwürdig bezeichnet.

Das Unwort des Jahres 2014 verkommt so leider zu einem Schutzschild, welches von den Medienmachern demonstrativ vor sich hergetragen werden kann. Und jeder, der jetzt immer noch an der Glaubwürdigkeit "unserer" "guten"Medien (ver)zweifelt, macht sich jetzt indirekt mit den Nazis gemein. Wird zumindest suggeriert! Und so wird auch jede berechtigte Kritik an unseren Medien mit dem Verweis auf das Unwort des Jahres und dessen Nazi-Vergangenheit ganz einfach abgeschmettert und lächerlich gemacht. Obwohl die Nazis mit diesem Kampfbegriff natürlich nicht ihre eigenen treuen Medien meinten, sondern vor allem die ausländischen Medien denunziert haben! Wie zum Beispiel die russische "Propaganda". Oder kleine, linke Zeitungen der Opposition, bevor man sie verboten hat.

Und somit kommen wir zum eigentlichen Knackpunkt:

Offiziell verurteilen wir also den Gebrauch dieses Kampfbegriffs, weil das Wort einst in der Vergangenheit auch von Nazis gegen deren Kritiker und Gegner verwendet wurde.
Aber eigentlich kritisieren die meisten Journalisten nur den heutigen Gebrauch des Wortes. Wenn also Oppositionelle jeglicher Coleur und aus allen Bildungsschichten das Wort gegen die heimischen Medien verwenden, statt - wie gewünscht - gegen ... ähhh ... die "Kreml-Propaganda" von "Russia Today" zum Beispiel.

Und so wundert es mich auch nicht, dass ich erst heute - aufgrund meiner Recherche für diesen Kommentar - in der Pressemitteilung lese, dass auch der Begriff "Russland-Versteher" von der "Sprachkritischen Aktion" abgemahnt wurde:

„Russland-Versteher“

Zum Unwort wird dieser in der aktuellen außenpolitischen Debatte gebrauchte Ausdruck vor allem, weil er das positive Wort „verstehen“ diffamierend verwendet (und zwar ohne die Ironie, wie sie beispielsweise hinter der analogen Bildung des „Frauen-Verstehers“ steht). Wie Erhard Eppler im in seinem kritischen Essay „Wir reaktionären Versteher“ (Spiegel 18/2014 vom 28.04.2014) darlegt, sollte das Bemühen, fremde Gesellschaften und Kulturen zu verstehen, Grundlage einer jeden Außenpolitik sein, weil die Alternative nur Hass sein kann. Eine fremde Perspektive zu verstehen, bedeutet keinesfalls, damit zugleich Verständnis für daraus resultierende (politische) Handlungen zu haben. Andere polemisierend als „Versteher“ zu kritisieren, ist damit unsachlich und kann die inhaltliche Diskussion nicht ersetzen. Ein ganzes Volk zudem pauschal für eine politische Richtung haftbar zu machen und es mit dem Ausdruck „Putin-Versteher“ auf einen Autokraten zu reduzieren, zeugt von mangelnder Sprachreflexion oder aber gezielter Diffamierung.

Das konnte man sicher auch am Rande in irgendwelchen deutschen Medien erfahren, war mir aber bis heute unbekannt. Obwohl ich extrem viel Zeit mit dem lesen unterschiedlicher Medien verbringe.

Ist es nicht interessant, dass dieser Teil der Pressemitteilung weitesgehend unbeachtet geblieben ist und zum Teil ganz unter den Tisch gefallen ist? Dabei benutzen vor allem unsere Medien den Begriff "Russland-/Putin-Versteher" genauso, wie einst die Nazis den Begriff "Lügenpresse" verwendet haben ... als Kampfbegriff um den Feindsender als unglaubwürdig zu denunzieren und Leser zu verunsichern, die sich nicht nur auf die heimische Presse verlassen wollen, bevor sie sich eine eigene Meinung über Weltereignisse bilden!

So kommt es nun, dass mein Kommentar anders endet, als ursprünglich geplant war. Ich wollte darauf hinweisen, dass der "Putin-Versteher" quasi die "Lügenpresse" der Gegenwart ist und somit als "Unwort des Jahres 2014" die bessere Wahl gewesen wäre. Da ja dieser Kampfbegriff genauso verwendet wird, wie die Nazis einst das Wort "Lügenpresse" verwendet haben. Doch musste ich lernen, dass "Russland-Versteher" ohnehin beinahe das Unwort des Jahres geworden wäre:

"... Die häufigsten Einsendungen (je über 10 Einsendungen), die den Kriterien der Jury entsprechen, waren Putin-Versteher / Russland-Versteher (zusammen 60-mal), ..."

Es wäre die bessere Wahl gewesen, um die Methoden der Nazis zu kritisieren. Vielleicht wäre es aber auch sinnvoll gewesen, wenn man ausnahmsweise beide Wörter zu den Unwörtern des Jahres 2014 gemacht hätte, um ganz generell gegen pauschalisierende Denunziationen aufmerksam zu machen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Harm

queer dissenting artist - twittert unter @HarmNeitzel

Harm

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