"Hilfe ... der Mob wird selbstständig!"

Lanz I Zuerst waren sie amüsiert, jetzt alarmiert. Die Verblüffung der Medien über die Lanz-Petition ist enorm! Dem gewöhnlichen Schreiberling gefällt das scheinbar gar nicht.

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Ja, anfangs fanden sie die Petition noch lustig. So wirkte die Petition auf viele Journalisten auf dem ersten Blick unpolitisch und hauptsächlich gegen Lanz gerichtet. Das gefiel den Medienmenschen, weil sie genau das seit der Verkündung, das Lanz "Wetten Dass" übernehmen würde, immer und immer wieder getan haben. Man hat Lanz mit Scheiße beworfen! Von irgendwo müssen die Menschen das mit Scheiße werfen ja gelernt haben. Und wir lernten von den Besten. Der BILD zum Beispiel! Aber in den Redaktionen war man bislang gewohnt, diesen Scheißesturm zu lenken. Man hatte noch die Deutungshoheit über Lanz, über sein Versagen als "Wetten Dass" Gastgeber und generell über alles! Man hatte die Kontrolle über den Mob. Und die Schreiberlinge ließen sich ihre oft sehr hart formulierte Kritik an Lanz auch gerne durch den Mob bestätigen, in Form vieler Online-Umfragen, welche fast allesamt weit schlimmer als die Petition formuliert waren. Und auch wenn jede Umfrage höchstens ein paar wenige Tausend Teilnehmer fand, summierten sie sich, wenn man die Anzahl dieser anklagenden "Umfragen" berücksichtigt!

Nur wenige Medienmacher stellten sich schon zu Beginn der Petition schützend vor Lanz. Nur wenige raunten schon zu Beginn in die Runde: "Dann schaltet doch einfach um!" oder "Die Fernbedienung würde das Problem lösen!". Entweder hatten sie die politische Aussage der Petition früher verstanden und begannen sofort mit der Diffamierung des Protests. Oder sie wollten die Petition ganz bewusst nicht verstehen, weil für diese "Journalisten" ein mündiger Zuschauer zuwider und ohnehin undenkbar ist.

Doch dann kippte die Stimmung in den Redaktionen der Republik. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern duckte man sich ja eh schon gleich zu Beginn weg. Aber die privaten Medien brauchten etwas Zeit, um zu verstehen, was sich da gerade entlädt. Und plötzlich fielen den Schreiberlingen die Schuppen von den Augen und sie rieben sie sich verwundert:

"Hilfe! Unser Mob lenkt sich ja plötzlich selbst!"

Sie begriffen, dass die Unterstützer der Petition, Lanz nicht mehr einfach nur als Menschen angegriffen haben, sondern eine längst überfällige politische Debatte über die Qualität und die Strukturen der öffentlich-rechtlichen Sendern angestossen haben. Das Mindeste was man als Nonkonformist noch demokratisch in diesem Land gegen die Allmacht der Meinungsmonopolisten versuchen kann. Wenn man schon kein Einfluß auf private Medien hat, so sollte man doch wenigstens die vermeintlich "unabhängigen" Medien mitgestalten können!

Jetzt mehren sich die kritischen Medienstimmen. Wie immer, wenn Nonkomformisten mal Erfolge gegen das "alternativlose" Meinungsmonopol verbuchen können! Das kennen alle Bewegungen links des Mainstreams. So schaute man auch schon verwundert auf die weltweiten Demonstrationen. Auch hierzulande, sofern sie überhaupt mediale Beachtung fanden. Unsere Medien sympathisieren ja grundsätzlich eher mit Demonstranten in fernen Ländern. Rechte Demonstranten und Putschisten bevorzugt. Hauptsache wir sind abgelenkt vom Protest vor der eigenen Tür. Wir könnten uns ja den hiesigen Demonstrationen, gegen unsere Regierung und gegen den Neoliberalismus, anschließen!

Statt mal mit Demonstranten zu sprechen und ganze Talkshows nur mal ihnen und ihren Forderungen zu widmen, sitzen immer die üblichen Lobbyisten in den Talkshows und sprechen - wie immer - über diese Menschen, statt mit ihnen! Obwohl jedem erfahrenen Zuschauer schon vor dem jeweiligen Talk klar sein dürfte, dass Arnulf Baring nicht viel für Anti-Kapitalismus übrig hat. Darf er ja auch gar nicht, wenn er INSM-Lobbyist & Lieblingsgeschichtsverdreher der Nation bleiben möchte. Und das will er ja unbedingt, so wie er sich beim Unsinn reden Mühe gibt. Und als informierter Zuschauer bleibt man wie immer fragend zurück: Warum werden Lobbyisten nicht als solche untertitelt? Warum wird Baring als "Historiker" angekündigt? Warum steht nie "INSM-Lobbyist" unter den bekannten neoliberalen Meinungsmachern, wenn sie abwechselnd in Talkshows platziert werden? Warum wird da auch noch geschönt, wenn man schon an ihrer Rhetorik merkt, aus welchen Gründen sie in der Talkshow sitzen?

Und so wird jetzt wieder einmal genau analysiert, ob man die Zahlen der Petition ernst nehmen kann, weil nicht alle Unterstützer mit einem "elektronischen Personalausweis" verifiziert wurden. Und das ist auch sicher richtig, wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen vermutlich - wie ich - keine Ahnung haben, was genau damit gemeint ist. Geht das mit einem alten Perso überhaupt? Und wenn mein alter Perso das nicht kann, macht mich das dann zu einem irrelevanten Menschen innerhalb dieser Demokratie? Das würde auch viele andere Petitionen für nichtig erklären, weil die meisten Petitions-Plattformen so eine Verifizierung gar nicht anbieten. Nicht einmal die offizielle Petitionsseite vom Bundestag hat diese Verifizerung verlangt, als ich das letzte Mal eine Petition unterstützt habe.
Aber die Halbwahrheit steht erst einmal im Raum und wie jede Lüge, die einmal ausgesprochen wurde, lebt diese Halbwahrheit in vielen Köpfen weiter. Es wabert ein "Ach, das sind doch gar nicht soviele Lanz-Gegner!" durchs Land. Man spricht zwar weiter oberflächlich über die Petition, aber immer mehr Menschen wenden sich genervt ab und rollen die Augen.

Ironischerweise wurde nie ein Haar in der Suppe der homophoben Petition gesucht, welche seit Wochen durch die Medienberichterstattung überhaupt erst bekannt gemacht wurde.
Und so bleibt der fade Beigeschmack, dass für viele Schreiberlinge eine Petition gegen viele homosexuelle Nicht-(Nur)-Millionäre weniger kritikwürdig ist, als eine medienkritische Petitionen gegen einen absolut fehlplatzierten und überbezahlten Moderator. Vielen Dank auch, liebe Journalisten. Ich merke schon, dass Eure Empathie wirklich groß ist. So heucheln sie uns lieber nur für einen einzigen Mann ihr Mitleid vor ... der soviel Mitleid noch nicht einmal verdient hat. Warum sollte man auch eine homophobe Petition mit selber Energie dämonisieren, wenn man viel leichter diese gelungene Medienkritik verteufeln kann?

Und so wird der Pranger sicher noch weiter seine Kreise ziehen. Nachdem sich jetzt zuletzt der Petitions-Unterzeichner überraschend am Lanz-Pranger wiederfand, der einst für Sahra Wagenknecht vorbereitet war, stelle ich jetzt die Medien als Ganzes an den Pranger.

Viel Spaß beim diskutieren!

Hochachtungsvoll
Euer Harm



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Geschrieben von

Harm

queer dissenting artist - twittert unter @HarmNeitzel

Harm

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