Schwarzer außer Rand und Band

Feminismus Alice Schwarzer lobt die "sehr menschliche und kompetente Rede" von Hillary Clinton. Ausgerechnet die Passagen, die ich als unglücklich empfand. Ein Generationskonflikt!

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Ich war nicht wirklich überrascht, dass das EMMA Magazin und dessen Alleinherrscherin Alice Schwarzer auch für Hillary Clinton die Werbetrommel rühren würde. Ich hatte zwar gehofft, dass man aus dem Fehler mit der Merkel gelernt hätte, aber dafür muss man sich - als Steigbügelhalter Merkels - erst einmal bewusst werden, dass man für die Zwecke einer einzigen Frau, den emanzipatorischen Kampf der Frauenbewegung verraten hat.

Nun bin ich aber doch etwas überrascht, dass Alice Schwarzer ausgerechnet die "privaten" Momente des Parteitages lobt. Das waren gestern Nacht die Momente, in denen ich nur mit den Augen gerollt habe.

Obwohl ich oft kritisiere, dass wir Angela Merkel selbst nach über 10 Jahre nicht wirklich kennen, war ich gestern Nacht plötzlich extrem erleichtert, dass man Professor Sauer von der Springer Stiftung so gut wie nie zu Gesicht bekommen.

Leider fielen mir dann aber auch schon die ersten politischen Dynastien in Deutschland ein. Einen Wahlkampf unserer Verteidigungsministerin stelle ich mir leider genau so vor! Guttenberg ist leider auch zuzutrauen, von der eigenen Beliebigkeit, alten Skandalen und den fehlenden Inhalten abzulenken, in dem er seine Familie ins Zentrum seiner PR rückt.

Trotzdem sind wir hier noch weit von amerikanischen Verhältnissen entfernt. Und das ist auch gut so!

Zurück zum Parteitag. Da sprach nun die bereits steinreiche Studentin Chelsea. Sie war die letzte Rednerin vor Hillary Clinton. Und nach all den gelobten Reden der Vortage, wollte sie wohl ihrer Mutter helfen, in dem sie das hohe Niveau der Vorredner weit nach unten drückte.

"Ich bin glücklich hier zu stehen, als die Tochter meiner Mutter und die Mutter meiner Tochter"

Ein Satz der an Hochkultur erinnern lässt. Wer fühlt sich nicht sofort an ...

"The Question Is What Is the Question"

... erinnert?

Chelseas Rede über ihre Mutter mag für Royalisten eine ganz süße Show gewesen sein. Mich hat sie politisch nicht überzeugt.

Dann kam also diese 'Mama'. Sie strahlte und lachte. Sie spielte uns mit Tochter Chelsea und Busines-Lebenspartner Bill ganz große Gefühle vor. So gut, dass den meisten gar nicht aufgefallen ist, dass Bill während ihrer Rede eingenickt zu sein scheint. Aber wer kann es ihm verdenken? Die Rede war halt langweilig. Und als Ehemann kennt man die privaten Anekdoten ja eh schon zu genüge.

Eine dieser Anekdoten ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Und auch Alice Schwarzer erinnert sich an diese Passage:

Wirklich anrührend und auch aufschlussreich waren Hillarys Worte über ihre Mutter und ihre Kindheit. Schließlich ist das der Stoff, aus dem sie ist.

Hillary Rodham, die Universitäts-Stipendiatin und – vor Bill – höchstbezahlte Juristin der USA, ist die Tochter eines von den Eltern verstoßenen Kindes und späteren Dienstmädchens. Diese Frau hat sie dazu erzogen, stark zu werden. „Wenn Kinder mich hänselten“, erzählte sie, „und ich ins Haus laufen wollte, verschloss meine Mutter die Tür und sagte: Geh hin, zeig’s ihnen.“

"Anrührend" empfand ich es nicht. "Aufschlussreich" dagegen schon. Sie wurde also aktiv so erzogen, wie man ihr heute nachsagt zu sein.

Mir kam aber auch "Typisch Neoliberalismus" in den Sinn, da ihre Botschaft nicht war, dass sie uns nun vor den Mobbern/Unterdrückern schützen möchte, sondern das jeder für sich selber kämpfen muss und weder Mitleid noch Hilfe erwarten soll.

Generell hat ihre Rede viele Probleme der US-Gesellschaft verharmlost und klein geredet. Es wurde viel gelobt, was sicher lobenswert war, aber niemandem etwas nützt, wenn man kein Geld hat.

Der Parteitag war in etwa so, wie die Ballons, die am Ende der Krönung von der Decke purzelten: ohne Inhalte.

Warum also wieder diese Begeisterung, von Seiten Alice Schwarzers, für eine neoliberale Machtpolitikerin? Ich glaube, es ist ein Generationskonflikt.

Weil sich die älteren Berufsfeministinnen, noch vor dem eigenen Tod, eine Regierungschefin erleben wollen, nehmen sie wirklich jede Vagina, die sich ihnen anbietet. Selbst wenn diese Vaginas eher Stillstand für den Feminismus bedeuten. Selbst dann, wenn diese Frauen, andere Frauen in die Hölle schicken wollen. Nur weil diese jungen Frauen einen viel progressiveren und auch sehr viel feministischeren Schwanzträger wählen wollen, statt dieser reichen Frau, die von ranghohen Republikanern empfohlen wird und auch politisch besser zu den Republikanern passen würde!

Jüngere Generationen scheinen - wie ich - davon überzeugt zu sein, dass man noch eine Frau im Weißen Haus erleben wird. Dafür sind wir den älteren Feministinnen auch unendlich dankbar.

Das wir nun aber aus Sicht älterer Berufsfeministinnen Frauen unterstützen sollen, die nicht wirklich für unsere Sache kämpfen, dass kann man jüngeren Menschen nicht erklären.

Ich bin immer noch traurig, dass ausgerechnet die erste - mutmaßlich weibliche - Kanzlerin viel eiskalter und machtorientierter regiert, als es all ihre männlichen Vorgänger taten. Die Rüstungsexporte schreiben Rekordzahlen. Sie exportiert Waffen in so feministische Kulturen wie Saudi Arabien. Sie rüstet das Militär auf und hat die Bundeswehr bis an die Grenzen Russlands geschickt.

Nun werden Frauen wie Schwarzer erwidern, dass es sexistisch sei, von Frauen zu verlangen, dass sie besser als die Männer sein sollten. Und ja ... das mag stimmen. Das ist auch ungerecht gegenüber alle netten Männer.

Frauen haben das gleiche Recht hartherzig und kalt zu regieren. Aber wenn neben einer solchen StatusQuo-Frau auch noch ein progressiver Mann wie Bernie Sanders nominiert war, dann kann ich Feministinnen wie Schwarzer nicht verstehen. Absolut gar nicht.

Ich bin traurig für die Frauen der Welt. Und traurig, dass die USA ausgerechnet als erste Präsidentin eine Frau erhalten könnten, die zuvor schon First Lady war. Für den Feminismus wäre eine ganz neue, frische, unvorbelastete und vor allem von Mann und Familie unabhängige Frau als erste weibliche POTUS wünschenswerter gewesen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Harm

queer dissenting artist - twittert unter @HarmNeitzel

Harm

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