Dagobert live im Ritter Butzke

Popkonzert Der groß gehypte Sänger Dagobert spielte im Ritter Butzke. Weiß er auf der Bühne zu überzeugen? Und was soll das alles überhaupt? Ein etwas breiter angelegter Bericht

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Dagobert live im Ritter Butzke

Foto: Fabian Frost

Vorspann

Das Konzert im Ritter Butzke war der Homecoming-Gig des in Berlin ansässigen Schweizer Musikers Dagobert. Auf dem Hamburger Label Buback (ursprünglich von den Goldenen Zitronen gegründet und sie noch immer beheimatend) hat er vor kurzem sein Debutalbum veröffentlicht und ist damit auf breite Resonanz in der Medienlandschaft gestoßen. Während die meisten Veranstaltungsorte seiner aktuellen Tournee eher klein angesetzt waren – in München konnte er mit gut 50 Besuchern ein ausverkauftes Haus vorweisen – ist das Ritter Butzke, ansonsten eher für Elektropartys bekannt, in der Lage, ein Vielfaches der Zuschauer von München zu fassen. Doch das sollte kein Problem darstellen, denn die Gäste waren schon lange vor Beginn des Konzertes außerordentlich zahlreich erschienen. Und so ergab sich die Gelegenheit, die einzige Konstellation, in der unsereins noch zu einigen stringenten Gedankengängen in der Lage ist – inmitten einer Geräusche von sich gebenden Menschenmenge – für eben jenes Unterfangen zu nutzen und sich dabei angemessen großstädtisch zu fühlen.

Eine Liebe zum Schlager

Nun ist es so eine Sache mit den Hypes. Die Unterstützung von Presse und Radio allein sorgt noch nicht dafür, dass sich die Menschen tatsächlich für einen Künstler interessieren. Mediale Aufmerksamkeit ist auch in Zeiten der sozialen Netzwerke eine wichtige Voraussetzung für popmusikalischen Erfolg, doch das Interesse von Kulturjournalisten an einem bestimmten Phänomen geht allzu oft am Interesse der Hörerschaft vorbei. Es sei hier an den seinerzeit mit sehr viel Vorschusslorbeeren bedachten Jens Friebe erinnert, der kommerziell – vollkommen zu Unrecht im Übrigen, da er ein wirklich großer und mit Talent gesegneten Popstar ist – nie die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllte. Bei seinem zweiten Album wurden mehr Zeitungsartikel geschrieben als Platten verkauft. Im Fall von Dagobert scheint dies anders zu sein, sofern man die Anzahl der hier erschienenen Gäste als ein erstes Indiz nehmen mag.

Dagobert bezeichnet sich selbst als Schlagersänger und meint dies absolut ernst. Darüber zu diskutieren, ob er tatsächlich Schlager macht, ist einigermaßen müßig, denn Genrekategorien in der Popmusik sind stets offen und werden ständig neu ausgehandelt. Falls Dagobert meint, er mache Schlager, dann soll er halt seinen Willen bekommen und wir werden seine Musik dann und wann auch so bezeichnen. Streckenweise beeindruckend gute Popmusik ist es in jedem Fall. Dagobert singt auf Deutsch und nahezu ausschließlich Liebeslieder, welche das romantisch-bürgerliche Ideal von lebenslanger Symbiose in der Paarbeziehung nebst Haus und Kindern in aller Ausführlichkeit ausloten. Oftmals gelingt es ihm dabei, diese Thematik ohne die meist übliche Abgeschmackheit zu bearbeiten (darin erinnert er zuweilen an Blumfeld ab 1999) und Lieder zu schreiben, die eine bis an den Grund des Herzens gehende Wahrhaftigkeit aufweisen. Mehrere Produzenten, die ihn teils mit großem Orchester inszenieren wollten, hatte er verschlissen, bis er mit Markus Ganter einen Partner fand, der ihm einen eher schlichten und leicht elektronisch gewendeten Synthie-Popsound bastelte. Dieser Sound steht den Songs oftmals gut, manchmal auch nicht. Zudem weist er eine hohe Radiotauglichkeit auf und bietet durchaus Potential, Dagobert genau dahin zu führen, wo er erklärtermaßen hin will: auf die großen Bühnen, zu Reichtum und Berühmtheit.

Der Vergleich zu Alexander Marcus, den manche vorschnell ziehen mögen, ist insofern sinnvoll, als dass er die Unterschiede betont: Wo Alexander Marcus übertreibt, persifliert und komplett auf das Herausarbeiten der ungewollt grotesken Seiten des gegenwärtigen Schlagers setzt (eine postmoderne Vervielfachung der Verweisebenen), da reduziert Dagobert und konzentriert sich ohne die schützende Hülle der Ironie auf Gefühle wie Sehnsucht und Melancholie. Aus seiner ernsthaften Grundhaltung und aus dem Abwerfen des Ballasts von wild durch die Gegend marodierenden Zeichen erwächst Dagoberts Musik die Fähigkeit, tief und wahrhaftig zu ergreifen. Wenn man so will, dann kann Dagobert dahingehend durchaus im Kontext eines neuen Biedermeier gelesen werden, der sich als Deutungsmuster durch die Feuilletons schlängelt. Eine Vereinfachung der Kommunikationsstruktur, die Reduktion von Komplexität: beides Strategien, um sich in der unübersichtlichen Moderne einen gangbaren Weg zu bahnen. (Man möge mir den wüsten soziophilosophischen Konzeptecluster verzeihen.) Doch ich kann mir nicht helfen, mit der späthippiesken Biederkeit der „neuen Deutschpoeten“ – es fällt mir bereits schwer, diese bekloppte Bezeichnung hier einzutippen – hat die elegante und tragische Grandezza von Dagobert wenig gemein. Solch eine ungeschützte Tiefe des Gefühls und Beschreibung existentieller Zustände vermögen jene nicht hinzubekommen. Sie blasen Nichtigkeiten durch bedeutungsschwangere Worthülsen in solch einem Maße auf, dass man gerne ins Radio treten möchte. Dagobert dagegen ist in der Lage, die Schönheit von Sehnsucht, Leiden und Glück in ergreifender Schlichtheit zu beschreiben und entgeht mit traumwandlerischer Sicherheit der Gefahr, Banalität mit Einfachheit zu verwechseln. Darin mag er Jochen Distelmeyer ähnlich sein: in der Suche nach einem eigenen künstlerischen Ausdruck für das Gefühl Liebe und alles, was damit zusammen hängt – ohne Rücksicht auf existierende einschränkende Szenecodes. Es ist sein eigener Code, den er hier etabliert. Man muss diesen Code nicht mögen, doch einen Neuigkeitswert kann man ihm nicht absprechen.

Neben der Musik sollte nicht zu gering geschätzt werden, dass Dagobert optisch eher einem Tom Ford Model gleicht denn einem Schlagersänger und dass er ziemlich gute Geschichten über seine Person auf Lager hat. So erzählt der Pfarrerssohn gerne von seinem Schweizer Kulturstipendium, dass er für einen sechsmonatigen Aufenthalt in Berlin nutzte und zur einen Hälfte in Alkohol und zur anderen Hälfte in maßgeschneiderte Kleidung investierte. Eine andere Narration handelt davon, dass er anschließend mehrere Jahre alleine in den Schweizer Bergen zubrachte, um Musik und Texte für unerreichbare Frauen zu schreiben und sich dabei von einer Tasse Reis am Tag zu ernähren. Zudem habe er sich in vollster Absicht der finanziellen Mittellosigkeit verschrieben und sei Fan der Scorpions und der Flippers. Wie mir aus seinem Freundeskreis glaubwürdig versicht wird, entsprechen sämtliche dieser Geschichten der Wahrheit. Alles in allem, so kann man im Vorhinein bilanzieren, ein gut gemachter und clever inszenierter Popentwurf.

Vorhang auf für den Charismatiker auf der Bühne

Wie eingangs bereits erwähnt: Das Ritter Butzke war sehr gut gefüllt, als Veranstalter Ran Huber, wie üblich bei seinen Konzerten, auf die Bühne geht und die Künstler ankündigt. Im Vorprogramm Franz von Reden, von dem ich noch nie etwas gehört hatte und der als zum Playback singender Einzelkünstler nicht besonders zu überzeugen wusste. Mag sein, dass ihm seine stilistische Nähe zu Dagobert zum Nachteil gereichte, denn wir wollten ja Dagobert und keinen, der auf so ähnlich macht, wenn auch in englischer Sprache.

Der Vorhang ging zu, die Spannung stieg ein bisschen, irgendwann kam Rauch, die Spannung stieg ein bisschen mehr, der Vorhang wurde wieder geöffnet und Jubel hob an. Da stand er nun stoisch im Bühnennebel, das Licht von hinten. Die Klänge des Playbacks ertönten und nahezu regungslos sang er den ersten Song. Anschließend eine kurze Begrüßung und weiter im Programm.

Es ist beeindruckend, mit welcher Selbstverständlichkeit Dagobert die Gesten eines Popsängers drauf hat, zumal er über recht wenig Bühnenerfahrung verfügt. Doch die Kunstfigur Dagobert – sofern es eine ist, da er sie auch im öffentlichen Leben außerhalb der Bühne komplett aufrecht erhält – scheint er sich und seiner Musik ebenso passend auf den Leib geschneidert zu haben, wie ihm der Kollege von der Maßanfertigung den Frack. Vielleicht rührt seine eigentümliche Gelassenheit aber auch aus dem vom ihm selbst kolportierten Umstand her, dass er nichts zu verlieren hat, ohne jegliche materielle Absicherung auskommen kann und einfach nur Musik machen möchte. Das behaupten viele, doch tatsächlich scheint ihm auf eine wohltuende Art das businessmäßige Strebertum vieler junger Künstler abzugehen. Man wird sehen, ob diese Haltung auch einen möglicherweise größeren Erfolg überdauern kann. Zu wünschen wäre es. Denn gute Kunst (und oft genug auch das gute Leben) erwachsen aus dem Projekt des fortgesetzten Ausprobierens, welches Scheitern beim Versuch, etwas Großes zu erreichen, dem Gelingen im ängstlichen Stillhalten vorzieht.

Die Musik, das fällt bald auf, ist eher leise gemischt, man soll wohl jedes Wort seiner Texte verstehen. Doch dieser Umstand hält Teile des Publikums, das vom Alter her von 18 bis über die 50 hinaus reicht, nicht davon ab, recht bald in ausgelassenen Walzertanz zu verfallen und lauthals mitzusingen. Mit freundlicher Lakonie nimmt Dagobert all dies entgegen und unterstützt durch schlichte Gesten die Sympathiebekundungen. Bald schon fällt auf, dass seine Stimme kein allzu großes Volumen aufweist, insbesondere die Parts, in denen er sich zu Haltetönen aufschwingt, wissen live nicht sonderlich zu überzeugen, ja, sie fangen an, auf die Nerven zu gehen. Nach einigen Songs, die zum Playback gesungen wurden, probiert Dagobert zum ersten Mal die Eigenheit aus, das Mikrofon auf dem Boden zu werfen, was ein lautes Knallen zur Folge hat. Mein Herz hängt in diesem Augenblick beim Tontechniker und ich überlege, ob dazu wohl im Technikrider was geschrieben steht. Anschließend Abgang. In geringfügig veränderter Garderobe folgen einige von einem Keyboarder begleitete Songs, die sich durchaus sehen lassen können. Das nächste Mikrofonknallen (es werden noch einige folgen) und wieder Abgang. Ein wildes Gitarrensolo in der Pause, Rückkehr im dritten Stück Oberbekleidung und der zweite Teil des Hauptsets mit Playbacks vom MP3-Player. Höhepunkte des Konzertes sind im meinen Ohren die auch live zu Herzen gehenden Songs „Morgens um halb vier“, „Ich bin zu jung“ und „Raumpilot“.

Im ersten der genannten Songs heißt es „es gibt nur eins was zählt {...} welche Liebe kommt zurück“. Das ist groß, ebenso die Doppelbödigkeit von „Ich bin zu jung“. Darin geht es einerseits um eine Form der Selbstanklage, andererseits um den Vorwurf nach außen, denn der Erzähler ist zu jung sowohl für die guten als auch für die schlechten Dinge, welche die Frauen von ihm verlangen. Einerseits kann er sich noch kein Leben mit ihnen vorstellen, keine Gewissheit für die Zukunft mit ihm geben, was einschließen würde, Kompromisse einzugehen. Andererseits ist er auch zu jung, um egozentrischen Manipulationen aufzusitzen. Man mag das ohne Verrenkungen auch auf Kontexte außerhalb des Systems Paarbeziehung beziehen. Zu gefallen weiß das Lied in seiner produzierten Hitvariante ebenso wie in der reduzierten akustischen Version.

Zwiespältig bleibt das Konzert aufgrund der teils überbordenden Kirmeshaftigkeit einiger Songs, so kann man sich seinen Bierzeltkracher sehr gut eben dort vorstellen, was keine besonders anregende Imagination ist. Im Publikum kamen diese Stücke allerdings gut an und es mag sein, dass nur halb so viele Zuschauer gekommen wären, würde sich Dagobert auf den melancholischen Teil seines künstlerischen Outputs beschränken. Doch wie war das mit der guten Kunst und dem guten Leben?

Nachhall

Das Konzert ist vorbei und erneut ergibt sich die Gelegenheit, umgeben von einer lärmenden Menge die Gedanken zu sammeln. An anderer Stelle wurde von mir die Vermutung geäußert, dass mit Heino eine von Blumfeld angestoßene Entwicklung der Popmusik in deutscher Sprache zu ihrem vorläufigen Ende gekommen ist. Wenn auch zu einem Ende, das Blumfeld sicher nicht so intendiert hatten, welches aber dennoch zu guten Teilen in ihrer Tradition steht. Vielleicht ist Dagobert schon der erste Schritt danach. Er ist die Einsicht, dass Schlager in gewissen Spielformen der Popmusik unumgänglich ist und dass es nun darum geht, ihn sich einigermaßen würdevoll anzueignen. Das jedenfalls gelingt Dagobert in seinen besten Momenten grandios, den Kirmesquatsch sollte er besser lassen. Für den Erfolg auf den Stadionbühnen sicher nicht, für seine künstlerische Reputation auf jeden Fall.

Vielleicht wachen wir alle morgen auf und reiben uns die Augen, welchem Scharlatan wir da aufgesessen sind. Aber das ist Popmusik, es geht um die Faszination für den Augenblick und auch um die Begeisterung für etwas, von dem man eigentlich nicht begeistert sein mag.

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