Diskurspop mit Heino

Deutsche Popmusik Heinos Coveralbum ist ein Medienhype geworden. Die musikalischen Qualitäten sind zweifelhaft, doch es bietet interessanten Stoff für kulturanalytische Interpretationen.

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Das allseits diskutierte Coveralbum "Mit freundlichen Grüßen", veröffentlicht vom Schlager- und Heimatmusiksänger Heino, stellt einen Fall von kultureller Regression dar. Diese ist auf zwei Ebenen anzusiedeln und kann – eine solche Lesart entspräche dem kulturellen Zeitgeist – als postmodern-ironisch gewendet beschrieben werden.

Regression auf zwei Ebenen

Aus einem allgemeinen Blickwinkel heraus wird offensichtlich, dass der deutschen Mainstreamkultur durch Heinos Comeback ein Untoter aus Zeiten der überwunden geglaubten Ödnis von Schlager und Heimatmusik entgegentritt. Durch seinen Erfolg nährt er zudem die Befürchtung, aus der Gruft, welcher er entstiegen ist, könnten noch mehr heinoartige Geschöpfe ans Licht der Öffentlichkeit drängen. Darüber hinaus wurde mit Heinos Album ein Projekt des deutschsprachigen Independent der letzten 25 Jahre auf paradoxe Weise zu seinem Ende gebracht: Einerseits stellt "Mit freundlichen Grüßen" die konsequente Vervollständigung dieses Projektes dar, zugleich wird es damit, wenn auch unter veränderten Vorzeichen, wieder auf seinen Anfang zurückverwiesen.

Der kulturelle und politische Gesamtraum

Zur Heimsuchung für die Mainstreamkultur erwächst die kulturelle Randnotiz Heino deshalb, weil sich der Meister des gerollten Rrrr neuerdings nicht mehr damit zufrieden gibt, in seinem ursprünglichen Publikumssegment auf die Jagd nach Aufmerksamkeit und Applaus zu gehen. Heino covert stattdessen Songs jüngerer Künstler und hat, zusammen mit Management und Plattenfirma, einen ebenso professionellen wie perfiden Medienhype erzeugt.

Dabei meint er es auf eine seltsame Weise ernst, denn seinen Songschreibern wider Willens wirft er öffentlich und mit verkniffener Biestigkeit den Fehdehandschuh entgegen: Er verweigert ihnen den Respekt bzw. lässt diesen nur mit Hilfe vergifteter Komplimente durchscheinen. Offenbar wird dies, wenn er ihre Songs als Volkslieder bezeichnet (was als klare Provokation durchgeht), sich über den begrenzten tonalen Raum mancher Melodien auslässt (als ob das eine Qualitätskategorie wäre) und jede sich bietende Gelegenheit nutzt, um sich auf ihre Kosten zu erhöhen (vorgebliche Bekanntschaft zu Mick Jagger, großer Vorsprung bei den Tonträgerverkäufen etc.)

Ernst ist es ihm also damit, sein Projekt als von niederen Instinkten geleitete Racheaktion verstanden zu wissen. Doch zugleich kann er dies nicht ernst meinen, denn sein gesamtes Album besteht aus Songs von denjenigen, die er öffentlich vorführt. Zu einer win-win-Situation wird diese ironische Konstellation für Heino deshalb, weil sein Publikum die normative Kraft von bekannten Künstlern anzuerkennen scheint und mittels der ironischen Brechung auch bereit ist, sich rezeptiv auf deren – ihnen eigentlich fremde – Songs einzulassen. Zugleich fördert die öffentliche Herablassung Heinos gegenüber den Originalkünstlern das Zusammengehörigkeitsgefühl seines angestammten Publikums und dessen Treue zu ihm, denn so gibt er sich als Verfechter des kulturellen Selbstverständnisses der Schlager- und Heimatmusikfans aus; er bleibt authentisch.

Auf Basis dieser Erkenntnisse wird nun die Tatsache verständlich, warum Heino überhaupt Songs von Musikern, die er im Grunde verachtet, auf sein Album nahm. Wenn wir davon ausgehen, dass Heino und sein Team von Anfang an jene große Öffentlichkeit ansprechen wollten, die sie nun auch erreicht haben, dann musste er Songs bekannter Künstler auswählen, weil damit potentiell besser Aufmerksamkeit erzeugt werden kann, als wenn es sich um die Werke unbekannter Autoren handeln würde. Zugleich ging es ihm um die kulturelle Differenz von Schlager vs. Pop- und Rockmusik, welche er benötigte, um sie einerseits für seinen medial inszenierten Hype um den "Rockerkrieg" zu instrumentalisieren und um sie andererseits provokativ einebnen zu können.

Hier kommen wir auf die Frage der Regression zurück: Nach Stationen wie der Militarisierung deutscher Außenpolitik, Fußball-WM 2006 und Deutschlands Dominanz in der EU – all das kann als eine zumindest von der Mehrheit als "Normalisierungsvorgang" gut geheißene Entwicklung beschrieben werden – liegt mit Heinos Coveralbum der Versuch vor, die beerdigt geglaubte Heimatmusik mittels ihrer Grabredner wieder zum Leben zu erwecken und auf die kulturelle Höhe der Zeit zu hieven. Selbstredend muss darauf hingewiesen werden, dass wir nicht mehr 1959 haben und Schlager bzw. Heimatmusik durch veränderte Kontexte mit anderen Bedeutungen versehen sind als zu früheren Zeiten. Dennoch: Die erwähnten Beispiele lassen keinen anderen Schluss zu, als dass "Normalisierung" hier nichts weiter ist als ein Euphemismus für Regression.

Heino als Vollender der Hamburger Schule

Ins Spezielle gewendet, so hieß es eingangs, kommt mit Heinos Coveralbum eine Entwicklung des deutschen Independent der letzten 25 Jahre auf paradoxe Weise an ihr Ende.

Eine Band wie Blumfeld, die sehr prägend und anfangs auf eine offensichtlich kritische und sich gegen Mehrheitsvereinnahmung immunisierende Weise an einer avancierten deutschsprachigen Popmusik arbeitete, hat zusammen mit weiteren Protagonisten letztendlich dafür gesorgt, dass die deutsche Sprache vollständig im Mainstream der Pop- und Rockmusik etabliert worden ist.

Zur Zeit ihrer künstlerischen Anfänge mit Sprechgesang, teils sexuell und politisch expliziten Texten und einem minimalistisch geschrammelten Indierock waren Blumfeld die Lieblinge einer sich gerade entwickelnden und noch kleinen alternativen Szene. Beim Durchschreiten des kulturellen Möglichkeitsraumes fanden sie über Zwischenstationen in den späten 1990er Jahren zu einer allgemeineren Sprache und massentauglicheren Art zu singen, was ihnen teils unvorteilhafte Schlagervergleiche, teils enthusiastisches Kritikerlob bescherte. Dieser Vorgang kann auch als der Wechsel von Independent zu Mainstream beschrieben werden, wobei darauf hinzuweisen ist, dass diese Kategorien in erster Linie sozialer und ökonomischer Natur sind, erst in zweiter Instanz musikalischer Art. Aber genau aus diesem Grund wurde die Wendung von Blumfeld so kontrovers diskutiert, nur deshalb konnte sie eine solche Sprengkraft entwickeln: Sie haben nicht nur ihren Sound verändert, sondern sie adressierten nun ausdrücklich den kulturellen Mainstream. Da in der Popmusik kulturelle und moralische Urteile in engster Verbindung stehen und häufig zu einem einheitlichen ideologischen Weltbild zusammengefügt sind, kam die Entwicklung Blumfelds für Teile des Independent einem Affront gleich.

Das historische Urteil indes gibt Blumfeld Recht – bezogen auf die Reichhaltigkeit der durch sie angestoßenen künstlerischen Möglichkeiten. Ihr Wechsel zum Mainstream kann als der respektgebietende Schachzug gelesen werden, ihren Nachahmern zu enteilen, indem sie mit übergroßen Schritten eine kommende Entwicklung antizipierten bzw. anbahnten. Blumfeld befreiten die deutschsprachige Pop- und Rockmusik von den ihr auferlegten engen künstlerischen Fesseln. Doch nun waren die Geister herbeigerufen, und was auf der einen Seite als eine kulturell interessante und subversive Strategie daherkam, trug auf der anderen Seite die eigene Aufhebung in sich: Die Grenzen waren eingerissen, ab nun schien alles erlaubt. Das vorläufige Ende des beschriebenen kulturellen Verlaufs stellt Heinos Coveralbum dar. Ohne die erfolgte Etablierung eines deutschsprachigen Pop- oder Rockmainstreams hätte es für ihn weder Material gegeben, dieses Album einzuspielen, noch würde es auf ein solch breites Interesse stoßen.

... Fortsetzung folgt

Ob die kulturelle Aktualisierung von Schlager und Heimatmusik gelingen wird, sei dahingestellt, ebenso, ob die Differenz zu Pop- und Rockmusik, sofern sie bestand und hier nicht nur als Konstrukt argumentativ ins Konzept passte, sich tatsächlich Einebnungstendenzen ausgesetzt sieht oder sich in Zukunft gar wieder vergrößern wird. Für die Autoren der gecoverten Songs jedenfalls könnte der Umstand, dass ihre Lieder dazu taugen, von Heino nachgesungen zu werden, am kulturellen Selbstverständnis rütteln. Eine der vornehmsten Qualitäten von Popmusik besteht zwar in ihrer interpretatorischen Offenheit, denn nur auf diese Weise ist sie in der Lage, ein breites Publikum quer durch die sozialen Klassen und unterschiedlichen Lebenswelten zu erreichen. Und um genau jene Offenheit geht es vielen deutschsprachigen Musikern, sie verspricht große Bekanntheit und kommerziellen Erfolg. Doch sie bedeutet auch, und das ist die neue Erkenntnis, sich der Gefahr auszusetzen, von jemandem wie Heino gecovert zu werden.

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