L wie Lindenstraße

A-Z Spezial Fernsehen ist blöd? Stimmt gar nicht. Harry Rowohlt erzählt in unserem A-Z Spezial zu Fernsehserien, warum er die "Lindenstraße" so liebt

Naturgemäß sehe ich jede Folge der Lindenstraße, schon weil ich die Drehbücher nie vorher lese. Die Drehbücher lese ich nicht etwa aus mangelndem Interesse nicht, sondern a), um mir nicht die Spannung zu verderben, und b), weil ich unter der Folter oder aus Güte jeden neuen Handlungsstrang verraten würde und 30.000 Euro Konventionalstrafe zahlen müsste. Unvorstellbar, wozu Frauen bereit sind, wenn man ihnen verrät, ob Erich Schiller nicht doch noch ein Spenderherz bekommt. Aber man verrät es ihnen nicht. Weil man es nicht weiß. Weil man es nicht wei-heiß!!!

Ich habe neulich nachgezählt und festgestellt, dass ich fünf Jobs habe, von denen jeder einzelne ausgesprochenen Hobby-Charakter hat, die aber zusammengenommen den ganzen Menschen fordern: Belletristischer Übersetzer, CD-Vollquatscher, mit Betonung vorlesender Über-die-Käffer-Tingler, Zeit-Kolumnist und Kleindarsteller in der Lindenstraße.

Stramm nach Typ besetzt

Der Job in der Lindenstraße, sage ich immer, ist der einzige, bei dem ich nichts zu können brauche. Das liegt daran, dass ein kleiner Teil der Rollen – wie meine – stramm nach Typ besetzt ist. Ich brauche mir also nicht den alten Mohr zu erarbeiten: Ich muss einfach so tun, als wäre ich ich. Der weitaus größere Teil der Rollen wird von ganz überragenden Schauspielern gespielt. Das glauben Sie nicht? Daran merken Sie, dass es stimmt. Nur bei lausigen Schauspielern hat man den Eindruck, sie wären gute Schauspieler. Bei guten merkt man nicht, dass sie überhaupt welche sind.

Der Regisseur Kaspar Heidelbach hat mal gesagt: „Die Vorurteile gegenüber Schauspielern treffen nur zu aller-, allerhöchstens knapp 95 Prozent zu“, und in den fast 15 Jahren, die ich bei „Lindi, der Ursoap“ (Rebecca Siemoneit-Barum alias Iffi Zenker) wirke, habe ich ganz langsam gemerkt, dass es hier genau umgekehrt ist. Zu gut fünf Prozent. Seitdem ich 1969 in dem kleinen linken Elite-Verlag Grove Press in New York gearbeitet habe, habe ich eine solche Dichte an putzmunteren, netten Kollegen nicht erlebt, und das führt zu ungewöhnlich vielen weitererzählbaren Anekdoten, also bitte:

Garderobe. Lautsprecherstimme: „Die Komparsen bitte nach draußen auf die Lindenstraße.“ Ich fahre vom Sofa hoch, lasse mich wieder fallen und sage zu dem Schweizer Schauspieler Joris Gratwohl: „Entschuldigung. Alter Reflex. Hab mich hochgefickt.“

Ich komme am – natürlich sperrangelweit offenen – Büro von Herwig Fischer vorbei. Regisseur Fischer sitzt mit einer Gitarre hinter seinem Schreibtisch. Ich: „Schulst du um?“ Herwig Fischer: „Ich hab schon umgeschult. Auf Regisseur.“

Jemand, der mich versteht

Na gut. Noch eine. Auf dem aktuellen Plakat mit dem ganzen Ensemble stehen in der letzten Reihe Cosima Viola, die das ehemalige Straßenkind Jack spielt, und ich. Während das Foto entsteht, entspinnt sich folgender Dialog. CV: „Meine Mutter hat ein Kinderbuch geschrieben. Meinst du, es hat einen Sinn, wenn sie dir das mal schickt?“ Ich: „Wenn das ordentlich getippt ist, kann ich die Rückseiten als Faxpapier verwenden.“ CV: „Du bist ein echter Stinkstiefel, weißt du das?“ Ich: „Endlich jemand, der mich versteht.“

Ein befreundeter Regisseur, der in der Kantine auf mich wartete, weil ich – wieder mal – Gott sprechen sollte, sagte: „Ich habe schon mit drei Fernsehserien zu tun gehabt: Da wurde man überall behandelt wie bei einer Nachtübung in Feindesland. Bei der Lindenstraße sitzt man in der Kantine, kuckt ein bisschen unglücklich, schon kommt jemand, tröstet einen, schminkt einen, stellt einen irgendwohin und gibt einem anschließend 50 Euro Komparsengeld. Lass dich da bloß nicht rausschreiben.“

Fernsehen muss nicht schlecht sein. Diese Woche widmet sich der Freitag in einem monothematischen A-Z Fernsehserien. Warum schauen wir sie? Wann schauen wir sie? Und was bedeuten sie uns? Die weiteren Teile des A-Z Spezial finden Sie hier.

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