Bürgerbühne und Bühne für Bürger

Bühne Das Staatsschauspiel Dresden war in den 80er Jahren Mittelpunkt des kulturellen Interesses der Stadt. Jetzt soll die Bühne für die Bürger zurückgewonnen werden

Durch Bauzäune sollen die Capulets und Montagues getrennt werden, dennoch gehen sie rappend und randalierend mit Degen und Stöcken aufeinander los: Shakespeares Stück als von szenischer Energie berstende Fightnight virtuoser Kampfsportler. Regisseur Simon Solberg hat den Text radikal in unsere Zeit geholt. Cooler Alltagston bedrängt Romeo und Julia. Man versteckt sich hinter Zitaten von Medien- und Popfiguren, spielt Heath Ledger als Joker und Mickey Rourke als Wrestler oder bindet sich Politikermasken um.

Mit Geld und Besitz übertrumpfen sich die Familienclans. Gegen einen kirchenähnlichen Bau der Capulets setzen die Montagues eine Art Fernsehturm, gegen einen Geländewagen als Hochzeitskutsche einen Panzer – zum Schluss hängt der Himmel voller Raketen.

Über allem dröhnt der Überwachungshelikopter des Herzogs: Dieser, nicht die Lerche, weckt das Paar. Die tolle körpersprachliche Energie des Anfangs geht dem Abend allerdings verloren, wenn später Shakespeares Texte mit innerer Leidenschaft gegeben werden. Trotzdem: eine Romeo und Julia-Inszenierung mit so viel Energie und Spielfreude war lange nicht zu sehen, erst recht nicht in Dresden. Wo der neue Intendant Wilfried Schulz das Publikum gewinnen soll.

Das Staatsschauspiel Dresden stand in den achtziger Jahren im Zentrum des kulturellen Interesses der Stadt. Dann traten die Schauspieler aus ihren Rollen heraus, und mit der Gesellschaft veränderten sich die Funktion des Theaters und das Interesse des Publikums. Nun will Schulz die Bürger als Zuschauer und mit Bürgerbühnen auch als Mitspieler zurück gewinnen.

Die neue Zeit am Staatsschauspiel Dresden begann mit einer Reverenz an die alte. Martin Heckmanns nach Gesprächen mit drei seit 40 Jahren engagierten Schauspielerinnen geschriebener Theaterprolog Zukunft für immer reflektiert Schauspielerdasein in sich wandelnden Zeiten. Von Simone Blattner zurückhaltend inszeniert und von Hannelore Koch, Regina Jeske und Ursula Werner mit souveränem Witz vor dem Bühnenvorhang gespielt, war dies ein umjubeltes Ereignis.

Die anderen drei Premieren boten unterhaltsames Theater einer jungen Generation um die 30. Eine Bühnenversion von Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre inszenierte Friederike Heller als großes, buntes Spektakel mit Puppen-, Masken- und Menschentheater. Es wird flott gefochten und am Seil geschwebt, die Drehbühne und die Videoabteilungen zeigen, was sie können, und eine Pop-Band wandert musizierend über die Bühne. Doch dahinter verliert sich der philosophische Kern des Romans.

Die Uraufführung einer Bühnenfassung von Ingo Schulzes Roman Adam und Evelyn, in dem ein Paar seine Vertreibung aus dem Paradies in Wendetagen erlebt, inszenierte Julia Hölscher als ein bewegtes Spiel der Körperlichkeiten. In einem hellen Bühnenraum fließen die poetischen und kabarettistischen Szenen ineinander über, und die Erinnerungen springen hin und her. Ein poetisch-politischer Abend, auch er wie alle Premieren getragen von einem tollen Ensemble. Insgesamt war das ein wirklich starker Neubeginn am Staatsschauspiel Dresden.


Zukunft für immer wieder am 16. Oktober; Wilhelm Meisters Lehrjahre wieder am 1., 5. und 9. Oktober; Romeo und Julia wieder am 8., 13. und 21. Oktober; Adam und Evelyn wieder am 26. September, 3. und 11. Oktober am Staatsschauspiel Dresden

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