Seitdem der spektakuläre Vormarsch der Kämpfer des Islamischen Staats (IS) im Sommer 2014 vor Bagdad gestoppt wurde, sind die Gotteskrieger in die Defensive geraten. Wichtige Orte gingen verloren, zuletzt auch Kobane an der türkischen Grenze. In Mosul, der Hauptstadt des „Kalifats“, bereitet man sich auf einen Abwehrkampf vor, doch werden irakische Soldaten die Millionenstadt nicht ohne Beistand zurückerobern. „Wir sind in diesem Kampf fast allein“, klagte Premier Haider al-Abadi kürzlich auf einer Konferenz in London. „Es wird eine Menge gesagt, aber es passiert wenig.“ Man benötige endlich mehr Waffen und Ausbilder. US-Luftangriffe allein reichten nicht mehr aus.
„Amerika kann den IS in einem Tag zerstören, tut e
aceholder infobox-1„Amerika kann den IS in einem Tag zerstören, tut es aber nicht“, artikuliert sich Unmut in Bagdad. Tatsächlich hält Barack Obama an einem begrenzten Einsatz im Irak fest. Bodentruppen oder Beobachter für die Koordinierung der Luftschläge werden nicht erwogen. Die Freigabe von 1,6 Milliarden Dollar steht immer noch aus, mit denen vor allem kurdische Peschmerga-Kämpfer aufgerüstet werden sollen. Sieben Monate nach dem Fall von Mosul bleibt amerikanische Hilfe weiter limitiert, was zur gesamten Irak-Politik des Weißen Hauses passt. Noch im Juni 2014 hatte Außenminister John Kerry die Bitte nach Luftangriffen auf IS-Stellungen als „völlig unverantwortlichen Schritt“ abgelehnt. Zu sehr fürchtete die Obama-Regierung offenbar, in innerirakische Fehden gezogen zu werden.Fest in KerbalaDagegen versprach der Iran sofortigen Beistand. „Sie boten uns an, in jeder gewünschten Form zu helfen, bis hin zur Entsendung von Truppen“, so Iraks Ex-Außenminister Hoshyar Zebari. Es waren iranische Maschinen, die Tage nach dem Fall von Mosul am 9. Juni 2014 Waffen und Hilfsgüter ins bedrohte Bagdad flogen. Dazu wurden Hunderte Soldaten geschickt, um als Militärberater einzugreifen. Mit Hilfe von Qassem Suleimani, dem Kommandeur der Quds-Brigade der Revolutionsgarden, wurde die Verteidigung von Bagdad reorganisiert. Premier al-Abadi zeigte sich dankbar. „Als die Stadt bedroht war, haben die Iraner nicht gezögert, uns zu helfen, und den Kurden beigestanden, als Erbil bedroht war.“Teheran nimmt diesen Dank gern zur Kenntnis. Seit schiitische Milizionäre unter iranischer Anleitung die Städte Amerli, Jurf al-Sakher und die größte Erdölraffinerie des Landes in Baiji zurückerobern konnten, empfiehlt sich der Iran als Waffenbruder. Auf einer Pressekonferenz mit seinem irakischen Amtskollegen meinte Außenminister Dschawad Sarif am 8. Dezember: „Heute hat die Welt verstanden – das erste Land, welches der irakischen Bevölkerung in ihrem Kampf gegen Extremismus und Terror zu Hilfe kam, war die Islamische Republik Iran.“ Angesichts der schwankenden Position des Westens und seiner regionalen Partner Türkei, Katar und Saudi-Arabien findet solches Selbstbewusstsein Anklang in Bagdad. Dort heißt es, die Amerikaner wollten nicht klar mit dem IS brechen, dessen Kämpfer sie einst gegen das syrische Regime unterstützt hätten. Insofern erntet Quds-Kommandeur Suleimani Zustimmung, wenn er sagt: „Wir sind nicht wie die Amerikaner. Wir lassen unsere Freunde nicht im Stich.“Placeholder infobox-2Doch bleibt die Allianz für Premier Abadi ein zwiespältiges Unterfangen. Das Engagement der Quds-Brigade wie der Organisationen Kata’ib Hisbollah oder Asa’ib Ahl al-Haqq kommt vor allem schiitischen Irakern zugute. In ihre Regionen wagen sich die IS-Dschihadisten kaum vor. Im Dezember konnten so gut 17 Millionen Gläubige in Frieden zum schiitischen Al-Arba’un-Gedenkfest in Kerbala ziehen. Umgekehrt schürt das Vorgehen der Milizen bei sunnitischen Irakern Ängste vor ethnischen Säuberungen. Die Kriegsführung im sunnitischen Norden des Landes wird durch die Ethnisierung des Konflikts nicht einfacher. Soviel die Regierung Abadi dem Iran auch verdankt, so nährt doch der Eindruck, in Bagdad hätten die schiitischen „Perser“ die Macht an sich gerissen, fatalerweise den Widerstand der sunnitischen Bevölkerung. Die Entscheidung des Parlaments, mit Mohammed Salem al-Ghabban sogar ein Führungsmitglied der Badr-Organisation zum Innen- und Polizeiminister zu wählen, hat das Misstrauen der Sunniten eher verstärkt.Premier Abadi verspricht deshalb allen Bevölkerungsgruppen „gleiche Bürgerrechte“ und will die Aussöhnung zwischen Schiiten und Sunniten vorantreiben. Der Irak solle ein „Ort der Koexistenz von Religionen, Nationalitäten und Bekenntnissen“ bleiben. Dass dies mehr ist als bloße Lippenbekenntnisse, macht Abadis Werben um sunnitische Alliierte deutlich. Sunnitischen Anti-IS-Kämpfern in der Provinz Anbar ließ er Mittel für eigene Milizen zukommen. Die neuen „Nationalgarden“ sollen künftig in den sunnitischen Landesteilen für Ruhe sorgen, parallel dazu die irakischen Streitkräfte zu einer überparteilichen Institution werden, in der Professionalität statt Partikularinteresse zählt. So entließ Abadi über 300 Kommandeure und ernannte Khalid al-Obeidi zum Verteidigungsminister, einen sunnitischen Berufsoffizier aus der Armee von Ex-Diktator Saddam Hussein.Souveränität in GefahrWill der Premier mit seiner Aussöhnung Erfolg haben und durch eine Militärreform für eine Armee sorgen, deren Loyalität über jeden Zweifel erhaben ist, kann ihm iranische Waffenhilfe auf Dauer nicht gefallen. Sie erschwert das Bemühen, in einer verängstigten Gesellschaft für gegenseitiges Vertrauen zu werben. Zugleich wachsen Gefahren für die eigene Souveränität: Starken Einfluss auf Bagdad hat der Iran bereits seit 2003 – als Vermittler zwischen den politischen Parteien, als Mäzen der Schiiten-Milizen und als Wirtschaftspartner, dessen Firmen einen Großteil der irakischen Konsumgüter liefern –, doch die Abhängigkeit von iranischer Militärhilfe steigert dies nun ins Übermächtige. Um souverän zu bleiben, muss Haider al-Abadi eine Balance auch zu anderen Partnern finden, vorrangig zu den USA.In Washington wird seit einiger Zeit nach einem Modus Vivendi in den Beziehungen mit Teheran gesucht. Bereits im Juni 2014 hatte John Kerry erklärt, man sei für Gespräche offen. „Wenn sich der Iran gegen den IS engagiert und dies etwas bewirkt, wird das einen positiven Gesamteffekt haben.“ Im November wurde zudem bekannt, dass Barack Obama der Führung in Teheran per Brief ein Bündnis gegen den IS angeboten hatte, sollte es gelingen, den Streit um das Atomprogramm beizulegen. Obama gab damit zu verstehen, dass er bereit ist, iranische Präsenz im Irak anzuerkennen.Placeholder authorbio-1Placeholder link-1