Der Waffenbruder von nebenan

Irak Mehr als die USA engagiert sich der Iran gegen den IS. Wird der Einfluss auf die Regierung in Bagdad zu groß?
Ausgabe 06/2015
Außenministertreffen in Genf: John Kerry (USA) beim Händeschlag mit Javad Zarik (Iran)
Außenministertreffen in Genf: John Kerry (USA) beim Händeschlag mit Javad Zarik (Iran)

Foto: Rick Wilking/AFP/Getty Images

Seitdem der spektakuläre Vormarsch der Kämpfer des Islamischen Staats (IS) im Sommer 2014 vor Bagdad gestoppt wurde, sind die Gotteskrieger in die Defensive geraten. Wichtige Orte gingen verloren, zuletzt auch Kobane an der türkischen Grenze. In Mosul, der Hauptstadt des „Kalifats“, bereitet man sich auf einen Abwehrkampf vor, doch werden irakische Soldaten die Millionenstadt nicht ohne Beistand zurückerobern. „Wir sind in diesem Kampf fast allein“, klagte Premier Haider al-Abadi kürzlich auf einer Konferenz in London. „Es wird eine Menge gesagt, aber es passiert wenig.“ Man benötige endlich mehr Waffen und Ausbilder. US-Luftangriffe allein reichten nicht mehr aus.

Sicherheitskonferenz

Zum 51. Mal treffen sich am Wochenende Staatschefs, Außen- und Verteidigungsminister in München. Ihre Agenda: der islamistische Vormarsch im Nahen Osten und in Afrika, der ukrainische Bürgerkrieg sowie das zerrüttete Verhältnis zwischen Europäischer Union und Russland. Unsere Analysen und Lösungsansätze

„Amerika kann den IS in einem Tag zerstören, tut es aber nicht“, artikuliert sich Unmut in Bagdad. Tatsächlich hält Barack Obama an einem begrenzten Einsatz im Irak fest. Bodentruppen oder Beobachter für die Koordinierung der Luftschläge werden nicht erwogen. Die Freigabe von 1,6 Milliarden Dollar steht immer noch aus, mit denen vor allem kurdische Peschmerga-Kämpfer aufgerüstet werden sollen. Sieben Monate nach dem Fall von Mosul bleibt amerikanische Hilfe weiter limitiert, was zur gesamten Irak-Politik des Weißen Hauses passt. Noch im Juni 2014 hatte Außenminister John Kerry die Bitte nach Luftangriffen auf IS-Stellungen als „völlig unverantwortlichen Schritt“ abgelehnt. Zu sehr fürchtete die Obama-Regierung offenbar, in innerirakische Fehden gezogen zu werden.

Fest in Kerbala

Dagegen versprach der Iran sofortigen Beistand. „Sie boten uns an, in jeder gewünschten Form zu helfen, bis hin zur Entsendung von Truppen“, so Iraks Ex-Außenminister Hoshyar Zebari. Es waren iranische Maschinen, die Tage nach dem Fall von Mosul am 9. Juni 2014 Waffen und Hilfsgüter ins bedrohte Bagdad flogen. Dazu wurden Hunderte Soldaten geschickt, um als Militärberater einzugreifen. Mit Hilfe von Qassem Suleimani, dem Kommandeur der Quds-Brigade der Revolutionsgarden, wurde die Verteidigung von Bagdad reorganisiert. Premier al-Abadi zeigte sich dankbar. „Als die Stadt bedroht war, haben die Iraner nicht gezögert, uns zu helfen, und den Kurden beigestanden, als Erbil bedroht war.“

Teheran nimmt diesen Dank gern zur Kenntnis. Seit schiitische Milizionäre unter iranischer Anleitung die Städte Amerli, Jurf al-Sakher und die größte Erdölraffinerie des Landes in Baiji zurückerobern konnten, empfiehlt sich der Iran als Waffenbruder. Auf einer Pressekonferenz mit seinem irakischen Amtskollegen meinte Außenminister Dschawad Sarif am 8. Dezember: „Heute hat die Welt verstanden – das erste Land, welches der irakischen Bevölkerung in ihrem Kampf gegen Extremismus und Terror zu Hilfe kam, war die Islamische Republik Iran.“ Angesichts der schwankenden Position des Westens und seiner regionalen Partner Türkei, Katar und Saudi-Arabien findet solches Selbstbewusstsein Anklang in Bagdad. Dort heißt es, die Amerikaner wollten nicht klar mit dem IS brechen, dessen Kämpfer sie einst gegen das syrische Regime unterstützt hätten. Insofern erntet Quds-Kommandeur Suleimani Zustimmung, wenn er sagt: „Wir sind nicht wie die Amerikaner. Wir lassen unsere Freunde nicht im Stich.“

Filialen des Dschihad

Ansar Dine

Durch den Führer Iyad Ag Ghaly führt die Geschichte der Organisation zurück in die neunziger Jahre, als die „Unterstützer des Glaubens“ mit der „Volksbewegung von Azawad“ (MPA) für einen Tuareg-Staat in Nordmali kämpften. Dieser soll nun in Form eines Kalifats verwirklicht werden.

Boko Haram

Militant islamistische Formation, die im Norden Nigerias einen (Gottes-) Staat errichten will, von einem 20-köpfigen Rat geführt wird und gegenwärtig 15.000 bis 20.000 Kombattanten rekrutiert. Kontakte gibt es nach Kamerun, in den Tschad und Niger.

Al-Qaida im Islamischen Maghreb

Entstanden 2007, liegt das Aktionsfeld der salafistischen Gruppe im Süden Algeriens und in Mali. Ihren Haushalt verdankt sie transnationaler Konfliktökonomie (Waffen-/Drogenschmuggel) und vereint 1.000 bis 1.500 Kämpfer.

Al-Nusra-Front

Im syrischen Bürgerkrieg 2012 gegründet, steht diese Front des Dschihad in Rivalität zum IS. Ihre Führer bekennen sich zu al-Qaida und ihren salafistischen Wurzeln. Sie wollen die Christen vertreiben und ein Kalifat in der Levante. Gegner sind ebenso die Assad-Armee und Kurden-Milizen.

Al-Shabaab

Sich selbst definiert die Gruppe als „Bewegung der Mudschaheddin-Jugend“ in Somalia. Sie ging als Miliz 2006 aus der Union Islamischer Gerichte (DMG) hervor. Die al-Shabaab kämpft gegen die Übergangsregierung sowie deren äthiopische Helfer und kontrolliert Teile Südsomalias.

Al-Qaida im Jemen

9/11 wird zur Geburtsstunde dieser Filiale des Al-Qaida-Netzwerkes, die heute ein innerer Machtfaktor im Jemen ist. Zuletzt waren dort zeitweilig bis zu 10.000 Regierungssoldaten gegen geschätzte 800 Al-Qaida-Aktivisten im Einsatz.

Der Islamische Staat

Als Geheimbund operiert der IS bereits seit 2003. Machtbasis sind sunnitische Offiziere der Armee Saddam Husseins, die zu Dschihadisten wurden. Im Moment kontrolliert der IS ein zusammenhängendes Gebiet im Nordwesten des Irak und in Ostsyrien. Kampfstärke etwa 10.000 bis 15.000 Mann.

Ansar al-Scharia

Derzeit stärkste islamistische Miliz in Libyen mit Ausläufern nach Tunesien. Als Militärverband profitierte die Gruppe vom Gaddafi-Sturz im Oktober 2011. Das Kommando residiert in Bengasi und führt Einheiten von bis zu 10.000 Milizionären.

Doch bleibt die Allianz für Premier Abadi ein zwiespältiges Unterfangen. Das Engagement der Quds-Brigade wie der Organisationen Kata’ib Hisbollah oder Asa’ib Ahl al-Haqq kommt vor allem schiitischen Irakern zugute. In ihre Regionen wagen sich die IS-Dschihadisten kaum vor. Im Dezember konnten so gut 17 Millionen Gläubige in Frieden zum schiitischen Al-Arba’un-Gedenkfest in Kerbala ziehen. Umgekehrt schürt das Vorgehen der Milizen bei sunnitischen Irakern Ängste vor ethnischen Säuberungen. Die Kriegsführung im sunnitischen Norden des Landes wird durch die Ethnisierung des Konflikts nicht einfacher. Soviel die Regierung Abadi dem Iran auch verdankt, so nährt doch der Eindruck, in Bagdad hätten die schiitischen „Perser“ die Macht an sich gerissen, fatalerweise den Widerstand der sunnitischen Bevölkerung. Die Entscheidung des Parlaments, mit Mohammed Salem al-Ghabban sogar ein Führungsmitglied der Badr-Organisation zum Innen- und Polizeiminister zu wählen, hat das Misstrauen der Sunniten eher verstärkt.

Premier Abadi verspricht deshalb allen Bevölkerungsgruppen „gleiche Bürgerrechte“ und will die Aussöhnung zwischen Schiiten und Sunniten vorantreiben. Der Irak solle ein „Ort der Koexistenz von Religionen, Nationalitäten und Bekenntnissen“ bleiben. Dass dies mehr ist als bloße Lippenbekenntnisse, macht Abadis Werben um sunnitische Alliierte deutlich. Sunnitischen Anti-IS-Kämpfern in der Provinz Anbar ließ er Mittel für eigene Milizen zukommen. Die neuen „Nationalgarden“ sollen künftig in den sunnitischen Landesteilen für Ruhe sorgen, parallel dazu die irakischen Streitkräfte zu einer überparteilichen Institution werden, in der Professionalität statt Partikularinteresse zählt. So entließ Abadi über 300 Kommandeure und ernannte Khalid al-Obeidi zum Verteidigungsminister, einen sunnitischen Berufsoffizier aus der Armee von Ex-Diktator Saddam Hussein.

Souveränität in Gefahr

Will der Premier mit seiner Aussöhnung Erfolg haben und durch eine Militärreform für eine Armee sorgen, deren Loyalität über jeden Zweifel erhaben ist, kann ihm iranische Waffenhilfe auf Dauer nicht gefallen. Sie erschwert das Bemühen, in einer verängstigten Gesellschaft für gegenseitiges Vertrauen zu werben. Zugleich wachsen Gefahren für die eigene Souveränität: Starken Einfluss auf Bagdad hat der Iran bereits seit 2003 – als Vermittler zwischen den politischen Parteien, als Mäzen der Schiiten-Milizen und als Wirtschaftspartner, dessen Firmen einen Großteil der irakischen Konsumgüter liefern –, doch die Abhängigkeit von iranischer Militärhilfe steigert dies nun ins Übermächtige. Um souverän zu bleiben, muss Haider al-Abadi eine Balance auch zu anderen Partnern finden, vorrangig zu den USA.

In Washington wird seit einiger Zeit nach einem Modus Vivendi in den Beziehungen mit Teheran gesucht. Bereits im Juni 2014 hatte John Kerry erklärt, man sei für Gespräche offen. „Wenn sich der Iran gegen den IS engagiert und dies etwas bewirkt, wird das einen positiven Gesamteffekt haben.“ Im November wurde zudem bekannt, dass Barack Obama der Führung in Teheran per Brief ein Bündnis gegen den IS angeboten hatte, sollte es gelingen, den Streit um das Atomprogramm beizulegen. Obama gab damit zu verstehen, dass er bereit ist, iranische Präsenz im Irak anzuerkennen.

Hauke Feickert arbeitet als Nahost-Wissenschaftler an der Universität Marburg

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden