Die Innenstädte blühen wieder auf

Spekulation Veröden die Stadtzentren durch Corona endgültig? Nein, es wird anders kommen, ahnt unsere Autorin
Ausgabe 06/2021
Die Innenstädte blühen wieder auf

Foto: Lisa Rock für der Freitag

Gerade hat der dritte Laden in meiner Straße aufgemacht, in dem es nur Zigaretten, viele Getränke und Knabberzeug zu kaufen gibt. Vermutlich auch nur eine Zwischennutzung. Das Geschäft in diesem neu in die Lücke gebauten Haus stand lange leer, gut vorstellbar, dass der Laden nach Corona wieder auszieht. Der Eigentümer könnte sich aber irren, wenn er meint, nach Corona könnte er höhere Mieten verlangen. Wenn, wie nun überall befürchtet, die Innenstädte leer werden, werden sie auch für die Käufer von Drittwohnungen unattraktiv, die ja zur Verödung beitragen, weil sie, wenn überhaupt, kaum in ihrem Spekulationsobjekt wohnen und keine Läden nutzen. Fußgängerzonen mit Bänken und Pollern haben sich nicht bewährt; Weinen hilft nicht, aber man wird doch träumen dürfen.

In Tübingen gab es schon vor vielen Jahren in der Innenstadt keinen Lebensmittelladen mehr. Da haben sich ein paar Zivilgesellschaftler, ich glaube vor allem -innen, zusammengetan und in einem der leer stehenden Gebäude ein Supermärktle aufgemacht, ehrenamtlich.

Wenn erst alle Schreibtischtäter in Heimarbeit tippen und telefonieren, stehen Häuser leer, in denen Kinder spielen, betreut von arbeitslosen Künstlern, deren Frauen in die Politik gegangen sind. Wo Parkplatz war, kommen Zirkusarenen, weil Seiltanzen, Jonglieren und Tigerreiten für die ungewisse Zukunft fit machen. Dazu gibt es Kochschulen mit Bewirtung und Vorleser mit Grundeinkommen. Kinder können auf der Straße spielen, während Mama und Papa homeoffizieren. Nicht weil Autoverkehr verboten oder reguliert wird, sondern weil hier ausgebildete Afrikaner ohne Aufenthaltsrecht in ihre Heimatländer zurückkehren und dafür sorgen, dass die Preise für die Rohstoffe der E-Auto-Batterien in den Himmel steigen. Diesel ist ohnehin out, bei Erdöl und Erdgas gibt es wegen moralischer Bedenken gegen Saudi-Arabien, Russland etc. zunehmend Schwierigkeiten mit den Lieferketten. Vor allem die Wertediskussion der EU wird unsere Innenstädte retten, weil die Außengrenzen gegen Geldwäsche und Spekulanten geschützt werden. Man hat aus dem Impf-Nationalismus gelernt und kümmert sich um die eigenen Angelegenheiten; Kasachen, Russen, Chinesen dürfen infolge des verschärften EU-Patriotismus nicht mehr ganze Stadtviertel aufkaufen, die Immobilienpreise werden in den Keller rutschen.

Sie werden also nicht leer, die Innenstädte. Da die Menschen nicht aufhören, ihre Waren online zu bestellen, werden auch die Schlangen von Paketabholern und Zurückschickenden vor den privatisierten Post-Filialen länger. Ein innovatives Management führt dazu, dass die Leute nicht mehr auf der Straße warten müssen, es wird eine Art neues Kino geben, mit Filmen, die so kurz oder lang dauern, bis ein Chip signalisiert, wann der gestresste Gehilfe das Päckchen gefunden hat. Spekulation wird, da wissenschaftlich erwiesen, als quasi pandemisch eingestuft und mit harten Maßnahmen bekämpft. Die leer stehenden Bürotürme werden von (im Osten geschulten) Spezialtrupps abgerissen, was an Brache nicht Spielplatz wird, wird Urban Gardening, einige der Türme werden vertikal begrünt, an Fitness-Center vermietet oder in Co-Working-Spaces verwandelt.

Auf die setze ich große Hoffnungen. Denn Freiberufler und Nerds, die sich nicht auf einem Hocker in der Küche den Rücken kaputtmachen wollen, werden diese hübsch eingerichteten Arbeitshäuser besetzen und – wahrscheinlich keine Gewerkschaft, aber so was Ähnliches ins Leben rufen und den Arbeitsminister, der sich für ihre Rechte einsetzt, unter Druck setzen, damit endlich geklärt wird, wer die Miete, den ergonomischen Stuhl und den Putzmann bezahlt.

Ich aber werde ein Büro zur Erforschung und Beurkundung von Migrationshintergründen eröffnen. Als promovierte Österreicherin und gelernte Historikerin sollte es mir nicht schwerfallen, die für eine Einstellung im öffentlichen Dienst nötigen Genealogien zu erfinden. Arbeitsplätze für junge Männer, die Farsi, Arabisch, Albanisch etc. sprechen, werden sicher gefördert.

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