Dieses Jahr fällt es leichter, auf die Frage „Was machst du Weihnachten?“ zu antworten. Endlich benötige ich keine Ausreden mehr, um an den heiligen Tagen in Ruhe zu Hause zu bleiben. Ich brauche nirgends hinzureisen und bekomme keinen Verwandtenbesuch – denn sie wohnen im downgelockten Ausland. Dem reizenden Postboten habe ich zum wohlverdienten Trinkgeld eine Karte mit der Aufschrift „Stille“ gegeben, er kann sie brauchen. Diese Festtage sind ja so etwas wie der umgedrehte Karneval, ein Ausnahmezustand, in dem heile Familien so besinnlich und still sein sollen wie Jecken laut und lustig.
Trost/Zuversicht/Besinnung/Stille/Liebe/Familienzwist/Schenkzwang drücken auf die sowieso schon genervten Gemüter. Vermutlich kommt ohnehin niemand auf die Idee, mir ein Paket zu schicken; deshalb ist die Chance gering, dass auch ich vor der outgesourcten Postfiliale eine Stunde lang in der Kälte Schlange stehen muss. („Bitte benutzen Sie die andere Seite des Gehsteigs“, fleht die Blumenhändlerin, der Abstand haltende Versender und Empfänger das Geschäft verderben.) Freund***innen und Verwandt***innen wissen ja, dass ich ein***e Weihnachtsmuffel***in bin.
In fortschrittlichen Medien hat sich inzwischen herumgesprochen, dass es Juden und Moslems mit ihren jeweils eigenen Konsumankurbelungsfesten gibt, sie werden in besinnliche Artikel und Sendungen integriert oder sogar inkludiert, allerdings haben sich deutsche Kaufhäuser noch kaum darauf eingestellt, es weihnachtet sehr. In den Papierläden meines Vertrauens fand ich keine verallgemeinernden Saisongrüße (Season’s Greetings), obwohl ja hier in Berlin angeblich 180 verschiedene Sprachen gesprochen werden.
Jahresendgrüße werden, falls überhaupt, erst nach dem heiligen Fest angeboten. Allerdings bin ich nicht eigens nach Berlin-Neukölln gefahren, um das zu überprüfen.
Wo sind die Zeiten der Anti-Weihnachtsfeste, die noch in den 70er Jahren von tanzenden Revoluzzern ohne Baum und Lametta begangen wurden, weil sie sich von ihren spießigen Eltern emanzipieren wollten? Selbstredend ist Konsumieren eine Bürgerpflicht, aber braucht es dazu das heilige Getue? Gewiss wäre nichts auszusetzen an einem netten Fest, bei dem alle sich wohlfühlen, aber wenn ich in die Gesichter schaue und die Tipps fürsorglicher Psychologen über die Verhinderung von Mord und Totschlag in den ohnehin von Corona genervten Familienbanden lese, befallen mich Zweifel, ob die Weihnachtstage so selig und fröhlich werden, wie es Ansprachen unserer verantwortungstragenden Politiker*innen beschwören. Während schwarze, schwule, transsexuelle, lese- und schreibschwache Bürger und Sternchen nunmehr bis in die Vorschriften des Senats der Hauptstadt berücksichtigt werden, sind Agnostiker und erst recht AgnostikerInnen total marginalisiert.
Das aber ist mein Trost. Obwohl ich weiß und privilegiert, zudem aus dem einstigen K.-u.-k.-Kolonialreich bin, das alle Völker vom Balkan bis Polen (vor allem Ungarn) unterdrückt hat, darf ich mich als ausgegrenzte Minderheit diskriminiert fühlen. Ich ziehe mich mit einem guten burgenländischen Zweigelt zurück und lasse mich drei Tage lang nicht kränken von den Getauften und Beschnittenen, die so gern in meine schwarze Seele fassen.
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