Die Choreografin und Performance Künstlerin Maija Hirvanens lebt in Helsinki und beschäftigt sich u. a. mit der Forschung an interdisziplinären Praktiken, um Glaubens-, Sprach- und Erinnerungssysteme zu untersuchen und verortet ihre Kunst damit in anderen kulturellen Praktiken. Als Kind lief sie oft durch die Wälder und war fasziniert von den Netzwerken der Pilze, erzählt sie in ihrem Video zur Arbeit. Desto tiefer sie eindrang in die Welt der Wälder umso mehr fühlte sie sich selbst wie ein Teil des Myzeliums. Dies nahm sie zum Anlass, nun ein Tanzstück dazu zu schaffen. Schon 2018 war die Finnin mit der Arbeit "Art and Love", beim Berliner internationelen Tanzfestival TANZ im August zu sehen.
Mesh - Netzwerke ist eine Studie in Tanz und Ton zum großen Pilzmyzel und der Frage, was Menschsein bedeutet. Die vier Tänzer*innen durchlaufen die verschiedenen Stadien und Lebensformen in einem solchen Gewebe und werden Teil dessen. So meditativ das Stück mit der Geburt der Myzelwesen beginnt, so dynamisch wird es in seiner Ausbreitung im Tanz des Zusammenkommens und Trennens, in der Bedrohung oder im gemeinsamen Heilen eines absterbenden Parts. Die Choreografie vom sich trennen und finden begleitet das Stück und zieht die Zuschauer nach und nach immer weiter hinein in den Bann des Myzelgeschehens. Rhythmus gestampft, gekratzt, geklopft und Atem oder Tönen und Stöhnen sind die Geräusche, die sich mal im Hall verfangen und so die Weite des Myzels noch verdeutlichen, oder sich von ganz leise, zu ganz laut entwickeln. Das Tönen, eine besondere Kunst des Singens, erinnert an Wolf-artiges und doch bleibt es nie ganz eindeutig zuordenbar, spricht aber sehr wohl die Zuschauer*innen an, webt diese ein in das Geflecht aus getanzten und getönten energetischen Verbindungen. Mal gibt es Momente der Reduktion der Konzentration, um im nächsten daraus wieder neue Formen entstehen zu lassen. Es ist ein besonderes Erlebnis und ganz im Sinne des Antonin Artaudschen Theaters (Theater ist Heilung und der Publikumsraum ist die Bühne) wächst das Myzel denn auch über das Publikum, hüllt es ein in Klang und seine energetischen Ausläufer und durchdringt den Zuschauerraum am Ende. Wer sich drauf einlassen kann, erhält ein Waldbad – ein Myzelnetzbad der besonderen Art.
Um die Tänzer*innen, sich so mit den Bewegungen der Pilznetzwerke vertraut zu machen wurde viel in der Natur und den Wäldern gearbeitet und das Ergebnis ist großartig: Die Tänzer*innen fluoreszieren im Myzeldasein, verlieren die menschliche Identität und berühren gleichzeitig einen fast vergessenen Teil des menschlichen, die Gabe in Netzwerken zu sein, auf einer neuen Ebene. Maija Hirvanens Stück ist eine wichtige Erzählung. Eine über die schon immer vorhandenen Seinsstrukutren auf dieser Welt und eine Möglichkeit, sich mit diesen wieder zu verbinden. Die Erzählung als einen Tanz, der letztlich nur die Bewegungsimpulse der Myzelkörper, Bakterien und anderen kleinst Lebensformen des Waldes als solches Darstellt, ins Licht zu holen ist eine der besten Herangehensweisen. Bewegung mit menschlicher Bewegung darzustellen lässt die Betrachter selbst eintauchen, die Körper mitfühlen. Der Atem ist hier ein wichtiges Instrument. Atem verbindet, verbindet die Tänzer, das Myzel, die Zuschauer. Der Fokus in der Produktion war neben den vielen Bewegungen, die so ein Pilznetzwerk entwickelt, die herauszuarbeiten wo Berührung und Interaktion entsteht. Es ist eine Darstellung, wie das Netzwerk fühlt, denkt, sich bewegt und doch sind auch die Tänzer noch immer sie selbst dabei, ein Teil Myzel und ein Teil Individuum.
Das Stück ist noch am 13. und 14.8. im HAU2 zu sehen.
Karten & Infos: https://www.tanzimaugust.de/produktion/detail/maija-hirvanen-mesh/
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