Aktuell wie lange nicht mehr

Theaterrezension 1961 geschrieben, warnt Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ vor der Bedrohung eines atomaren Weltkriegs. „Die Andere Welt Bühne“ setzt es gekonnt für unsere Zeit in Szene

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Auch er ist einer von Friedrich Dürrenmatts vermeintlichen Physikern: Albert Einstein
Auch er ist einer von Friedrich Dürrenmatts vermeintlichen Physikern: Albert Einstein

Foto: Keystone/Getty Images

In der Anderen Welt Bühne, Strausberg läuft im Sommerprogramm die Friedrich Dürrenmatt Komödie „Die Physiker“. Der bekannte Schweizer Autor verfasste diese in seinem 40. Lebensjahr, mitten im Kalten Krieg und vor der Bedrohung eines atomaren Weltkrieges 1961. Heute, einundsechzig Jahre später, sind die Fragen des Einfluss der Wissenschaft auf globale Konflikte so aktuell wie lange nicht mehr.

Das Off-Theater Die Andere Welt Bühne, zerlegt die Komödie gekonnt in ihre Essenz und bringt sie mit einer extra Portion Humor zeitgemäß in fluoreszierendem Tempo auf die Bretter der Strausberger Welt. Da ist nichts vom altem sechziger Jahre Mief, nichts von Lehrmeisterhaftigkeit. Das Stück enthält natürlich viele Metaphern, die die Menschen damals wie heute zum Nachdenken und Innehalten bringen sollten. Die Verantwortung zum Erhalt der Welt, der Menschheit, die mittels der Wissenschaften per Knopfdruck ausradiert werden kann, die Gier nach Macht, Manipulation und Intrigen, Schein und Sein, all dies sind Themen, die Dürrenmatt bewegten und uns bis heute beschäftigen.

Das Ensemble in diesem besonderen kleinen Theater spielt begeistert und gekonnt zusammen unter der Regie von Jessica Weisskirchen und der Dramaturgin Marie Senf. Es ist ein wahrer Genuss, die bekannte Tragikomödie mit derart charmantem Witz und dazu hochprofessionell neu sehen zu können. Die Rollenbesetzung der insgesamt acht darzustellenden Personen (drei Physiker, drei Schwestern, Anstaltsleitung und Kommissar), gespielt von den fünf SchauspielerInnen: Cynthia Buchheim, Ines Burdow, Inga Dietrich, Chris Eckert und Melanie Seeland sind köstlich im Wechselbad der dargestellten Ernsthaftigkeit, des selbstverliebten Irrglaubens und des Wandels vom Täter zum Opfer erlebbar. Die fein gewählten Kostüme von Sophie Leypold überzeugen in Ästhetik und die moderne Technikcrew (Bühne/Video/Mapping: Alexander Nikolaew Sounddesign/ Ton: Jonas Albani Licht: Paul Klinder) holt den Atompilz und das flirren alter Fernseher nicht nur optisch in dem Raum.

Immer neue Perspektiven

Ein Theaterraum, der mit seiner wandelbaren hölzernen Drehbühne (Entwurf nach einer Bauhauskreation) immer wieder neue Perspektiven auf schon längst gesagtes ermöglicht und einer Crew, die kreativ diesen Raum spannend und zeitgemäß zu füllen weiß. Kein Stück zum Einschlafen um von König Salomon zu träumen, sondern zum Aufwachen und Nachdenken in der Wirklichkeit. Dem Theater ist für diese Kunst wahrlich zu danken. Dieses hervorragende Stück, in dem die Frage nach der Wirklichkeit und der Kriegstreiberei nicht nur vom Autor sondern auch von den SchauspielerInnen grotesk-komisch verhandelt wird ist im Juni 2022 nochmals zu sehen.

Die Andere Welt Bühne ist inzwischen mehr als ein Geheimtipp. Es empfiehlt sich die Karten zuvor zu reservieren und etwas früher anzureisen, um in der kleinen Gastwirtschaft Schmorpost, die mit zum Ensemble gehört, Köstlichkeiten in Form von Speis` und Trank zu sich zu nehmen. Mit der S 5 bis Bahnhof Hegern Mühle, (dann noch 8 Minuten Fußweg) ist das Theater prima umweltschonend mit den Berliner Öffentlichen erreichbar und bis Mitternacht kann dort problemlos die Rückreise angetreten werden.

Adresse:

dieAndere Welt Bühne
Garzauer Strasse 20
15344 Strausberg

Zeichnungen zum Stück siehe auch @Instagram: Textfontana_hai

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Textfontana

Freie Journalistin, Bloggerin und Heilpraktikerin mit Schwerpunkt TCM. Themen Frauen-/Gesundheit, Kultur, Theater/Performances und Tanz.

*Würzburg 1966, seit 1987 in Berlin lebend. Selbstständig tätig im Gesundheitsbereich seit 1994. Journalistik Studienabschluss an der FJS Berlin 2019. Mitredakteurin bei bzw-weiterdenken.de seit 2019.

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