Das Kreuz mit der Parallelgesellschaft

Der NSU - Komplex Eine ärgerliche, tödliche Entwicklung im 'vereinten Vaterland' steht in München vor der Strafjustiz. Unabhängig und kritisch wäre die Mordserie aufzuklären.

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Korrekt übersetzt heißt NSU Mörderbande. An die verblichene Motorrad- und Automarke mit den drei Buchstaben sollte man sich weniger erinnern. Eher damit befassen, dass moderne Kommunikationstechnik auch und gerade in einer Demokratie dunkle Seiten und Widersprüche des Handelns in Staat und Gesellschaft nicht automatisch beleuchtet. Die Erfinder der kriminellen Vereinigung legen Wert auf Nazi-Motivation, die ihren Taten zugrunde liegen sollte. Deckadresse: ‚Untergrund‘. Unsere politisch Verantwortlichen, Ermittlungsbehörden und Gerichte sehen keinen Grund, Licht in den terroristisch ausgerichteten, verzweigten Zusammenhang der Vereinigung zu bringen. Es scheint, als wollten sie Schlimmeres verbergen. Denn in dieser Hinsicht nehmen Peinlichkeiten seit Jahren kein Ende. Und ob die Anklage im Münchner ‚Mammutprozess‘, dem Ablenkungsinteresse an Sensationen Rechnung tragend, überhaupt den richtigen Inhalt und Ton findet, ist bis heute zweifelhaft.

Faktisch waren sie nicht schlecht vernetzt: Mit ‚rechtsextremistischen‘ Gruppen in Deutschland, einer typischen Parallelgesellschaft, in der gerne Gewalt verherrlichender Sound zwecks 'Meinungsaustausch' organisiert wird; über die nationalen Grenzen hinaus hatten sie sicher Kontakte; mit einem delikaten Zipfel der NPD waren sie gemein; mit der inoffiziellen Ebene des Verfassungsschutzes (und Kriminalämtern ?), haben sie kooperiert; schließlich haben sie sich im Normalbetrieb ihrer Freizeitgestaltung als nette Nachbarn und Urlaubsbekannte gezeigt.

In dieser Vernetzung und gesellschaftlichen Verankerung, nachvollziehbar dokumentiert, wird die Grundlage sichtbar, auf der die Akteure ihre gezielt fremdenfeindlich motivierten Morde begehen. Die faschistoide Handschrift ist in jedem einzelnen erkennbar. Der Nagel-Bombenanschlag in einer Kölner Geschäftsstraße und der Heilbronner Mord an einer Polizeibeamtin, deren Waffe bei den mutmaßlichen Mördern auftaucht, haben unterschiedliche Spekulationen hervorgerufen. Im Hintergrund lauert jedoch stets das Thema der ‚Überfremdung‘ und das Selbstverständnis der Mörder, die zynisch in höherem Auftrag sich unterwegs wähnen. Natürlich gehören über den Zeitraum eines Jahrzehnts, da sie ‚unentdeckt‘ sind, viele ungeklärte Fälle verschiedenartiger Verbrechen zu ihrer Spur. Warum diese jedoch im November 2011 in Eisenach endet, inwieweit hier ‚Selbstmord‘ unausweichlich ist, darüber können nur Zeugnisse des Netzwerks Auskunft geben. Wie heimtückisch und voller widersprüchlicher Emotionen das Tänzchen der Thüringer Heimatverliebten auf der Rasierklinge war, bleibt uns vorerst verborgen.

Und genau in dieser Hinsicht stößt heute der Aufklärungswille auf ein undurchdringliches Dickicht aus gewolltem Mangel an Beweisstücken, gezielter Aktenvernichtung und präparierter Zeugen. Minister beteuern beschränkte Erkenntnismöglichkeiten, um ihre irreführenden öffentlichen Erklärungen zu rechtfertigen. Peinlich berührt die damalige Ermittlungspraxis noch heute den, der nachempfindet, wie rücksichtslos und arrogant bei Angehörigen der Mordopfer nachgesetzt wurde, um das interessierte Vorurteil von der Kriminalität der ‚Ausländer‘ zu bekräftigen. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse betonen beim Blick auf das ungestörte/gestörte Treiben des ‚rechtsterroristischen‘ Untergrunds ‚Versagen‘ der Staatsschutzorgane, wollen allerdings von einer politischen Verantwortung nichts wissen.

An welcher Wahrheit war seinerzeit Volker Bouffier interessiert, als er im Kasseler Mordfall seinen in Verdacht geratenen Verfassungsschutzbeamten aus der Schusslinie entfernte? Einen Beamten, dem die makabre Witzelei seiner Kollegen vom ‚kleinen Hitler‘ vorauseilte, und der heute immer noch vor Gericht und Untersuchungsausschüssen elaborierte Unwahrheiten bzw. sein beredtes Schweigen absondert.

Soll im Münchner Strafverfahren gegen Beate Zschäpe und den Ex-NPD Funktionär Rolf Wohlleben wirklich aufgeklärt werden? Wohlleben, scharfer Einpeitscher wie heute Höcke, und weitere Angeklagte wurden vor Prozessbeginn nicht zur '3-köpfigen Terrorzelle' gerechnet. Beweistüchtige Akten von Verfassungsgericht, Staatsschutz und Anklagebehörden stehen nicht zur Verfügung. Man muss sich mit Anhaltspunkten aus zugänglichen Quellen begnügen. Wie konnte es geschehen, dass die aus Zwickau bzw. Chemnitz anreisenden Mörder ihre ahnungslosen Opfer in Nürnberg, Kassel und Dortmund bequem aufsuchen und im geeigneten Moment deren Leben auslöschen? Wer liefert ihnen die Geografie der Tatorte und die Identitätsmerkmale der selektierten Opfer?

Wie abgezockt und cool Beamte im Kölner Bundesamt mit ihrem Wissen zur ‚Quellenlage‘ in Thüringen umgehen, wird vielleicht noch vor Ende des Münchner Prozesses zum Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens. Das jedenfalls strengen die Angehörigen des Dortmunder Mordopfers an. Dem repressiv formierten Rechtsstaat sind die Münchner Nebenkläger bekannt, die hilflos, enttäuscht und wütend reagieren angesichts der von der Kanzlerin persönlich versprochenen Aufklärung. Diese droht kritischen Prozessbeobachtern brutal ins Gegenteil abzudriften, in eine klammheimliche Aufwertung der bisher verstockten Angeklagten. Tatsächlich harren diese immer noch hinter dem Schutzschild des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus, deren Beamte offenbar politische Narrenfreiheit genießen.

Spricht Zschäpe, nach drei Jahren und über 300 Verhandlungstagen, ‚erstmals im NSU-Prozess‘ ? Journalisten glauben in der präparierten, abgelesenen Erklärung einen unglaubwürdigen Versuch der ‚mutmaßlichen Rechtsterroristin‘ zu erkennen, die sich vom 'nationalistischen Gedankengut‘ distanziert und eigenes ‚Fehlverhalten‘ bedauert. Ihre ‚neuen‘ Verteidiger zauberten bereits vorher eine passgenaue Idee aus dem Hut: Die Mandantin lege Wert darauf, dass sie mit den Verbrechen ihrer langjährigen Mitbewohner im ‚Untergrund‘ nichts zu schaffen habe - eine rührende Geschichte von Freundschaft und Ergebenheit

Wer auch immer hier eine falsche Spur legen will, nichts stimmt daran, auch nicht an der öffentlichen Inszenierung der Geschichte. Das ‚nationalistische Gedankengut‘ ist im Vergleich zum nationalsozialistischen harmlos genug, um über das ‚Fehlverhalten‘ der mindestens 10 Morde hinwegzusehen. So kann das ‚Bedauern‘ der Zschäpe als moralisch unbefriedigend und doch schließlich als Lösungsstichwort einer bösen Geschichte akzeptabel erscheinen.

Es ist Zeit, den idyllischen Glauben an das ‚Versagen‘ der Staatsschutzbehörden, an die ‚Suizide‘ der beiden Mordbuben einer kritischen Untersuchung zu unterziehen. Der innere Zusammenhang, der faschistoide Nenner, zwischen ‚Rechtsterrorismus‘ und ‚islamistischem Terror‘ ist höchst aktuell. Das wird opportunistisch geleugnet und beschwiegen. Noch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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